Beate Hausbichler über den Bodypositivity-Betrug, Feminismus als emotionalisiertes Streitthema und warum Soziale Medien ein feministischer Albtraum sind. Interview: Lea Susemichel
an.schläge: Du schreibst in der Einleitung, dass ein Anstoß zu deinem Buch die Szene beim Women20-Gipfel 2017 in Berlin war, wo sich Ivanka Trump und IWF-Chefin Christine Lagarde als Feministinnen bezeichneten und „die einzige vernünftige Position die von Angela Merkel“ war. Wie kommst du zu dieser Einschätzung? Merkel wurde ja gerade von feministischer Seite scharf kritisiert, weil sie diese Selbstbezeichnung verweigert hat.
Beate Hausbichler: Ich hab es eher sympathisch gefunden, dass an Merkel offenbar vorbeigegangen ist, dass Feminismus jetzt „in“ ist, und sie den Begriff weiterhin an inhaltliche Positionen knüpft, während Lagarde und Trump einfach enthusiastisch die Hände in die Höhe reißen und überhaupt kein Reflexionsvermögen zeigen, was sie denn für die Gleichberechtigung tun, außer selber Karriere zu machen.
Ein zentraler Bereich, in dem sich der „Verkauf des Feminismus“ abspielt, ist das sogenannte „Feminist Washing“, vor allem in der Werbung. Du gehst ausführlicher auf die Marke Dove ein, die ja mit der Kampagne für „Real Beauty“ den Anfang gemacht hat. Was ist daran so falsch, dass wir in der Werbung nicht mehr nur normschöne Frauen sehen?
Solche Kampagnen sind jetzt lange genug abgefeiert worden, nur weil sie nicht mehr ganz so misogyne Werbung machen wie früher. Doch dieser Einsatz von Körperbewusstseinsthemen in der Werbung verschleiert, dass weiterhin Schönheitsprodukte verkauft werden. Dinge verkaufen ist der Zweck der Sache, nicht Gleichstellung. Bei der Diskussion um Bodypositivity ist auch untergegangen, dass es bei dieser ersten Dove-Kampagne ums Hautstraffen ging. Es gab zwar keine superdünnen Models mehr, aber alle waren straff und ohne Cellulite. Bekomm das einmal hin: Neunzig Kilo zu haben und keine Dellen, das geht nicht!
Gäbe es die Schönheitsindustrie nicht, würden wir unsere Körper nicht so hassen und bräuchten erst gar keine Ermutigung zur Bodypositivity, ist deine Conclusio. Aber auch durch den Aufruf zu „Self-Care“ seien die Anforderungen eigentlich mehr statt weniger geworden, schreibst du.
Ja, das ist ein weiteres Problem: Bodypositivity ist wieder nur Arbeit an sich selbst, die um einiges tiefer geht, als nur gut aussehen zu müssen. Ich muss jetzt auch noch lernen, mich so zu akzeptieren, wie ich bin. Auf jedem Cover von Frauenmagazinen steht plötzlich, dass wir uns bitte selbst lieben sollen. Bodypositivity geht ganz tief ins Innere und schlägt eine Schneise in einen neuen Markt mit positiver Psychologie und Coaching.
Du kritisierst auch das Konzept der Corporate Social Responsibility (CSR) mit freiwilligen Standards und Selbstregulierung der Unternehmen statt verbindlichen Richtlinien. Wieso bringt das nichts?
Bei Corporate Social Responisibility ist nichts verbindlich, wie beim Greenwashing will man damit der Politik zeigen, dass man sich eh bemüht. Es ist aber meist eine reine Imagepolitur, wir sehen beim Klimathema, dass das absolut nicht funktioniert, dass sich die Konzerne keine strengen Beschränkungen auflegen, weil sie nie etwas tun, was ihnen wehtut. Bei politischen Themen lässt sich der Erfolg zudem extrem schwer evaluieren. Ich bin der Meinung, dass die Politik sowieso schon zu viel auf Bewusstseinskampagnen setzt, wir sehen ja, dass sich an der Lohnschere und bei Femiziden nichts ändert.
Konsumentscheidungen sind heute ein wichtiges Mittel für soziale Distinktion, um die eigene Individualität zu inszenieren. Selbstermächtigung und Konsum werden aneinandergebunden. Wie sehr hängt diese Entwicklung damit zusammen, dass es ganz generell und überall immer stärker um individuelle Selbstvermarktung geht?
Die US-Journalistin Andi Zeisler hat schön gezeigt, wie das alles angefangen hat, nämlich damit, dass Kreditkartenfirmen Frauen in ihrer Autonomie, in ihrer Freiheit, etwas konsumieren zu können, angesprochen haben. Frauen werden als autonome Subjekte adressiert, aber nur, um mit ihnen Geld zu verdienen. Durch die Sozialen Medien gibt es immer mehr Möglichkeiten, sich selbst durch Konsum zu entwerfen, und dieses Potenzial sehen auch die Konzerne. Zalando etwa hat mit Unisex plakatiert: Du kannst alles machen, du bist nicht mehr an Geschlechter und Normen gebunden, ist die Botschaft. Diese schnelle kommerzielle Vereinnahmung finde ich beängstigend. Auch Facebook ist ein gutes Beispiel, alle haben sich gefreut, dass es inzwischen siebzig verschiedene Identitätskategorien gibt – „Agender“, „Pangender“, alles ist möglich. Es wurde jedoch übersehen, dass es die Möglichkeit, nichts anzugeben, eben nicht gibt! Denn Unternehmen brauchen Zielgruppen, und die werden vielfältiger. Aber auch das ist nur eine Nische.
Auch auf Social Media geht es vor allem um Selbstinszenierung, du schreibst: „Kurz gesagt sind Soziale Medien ein feministischer Albtraum.“ Warum?
Sie führen zu Vereinzelung und extremer Individualisierung, bei der wir mit uns selbst oder mit unserer Identität umgehen, als ob sie eine Ware wäre. Jia Tolentino beschreibt so gut, dass wir uns im Netz immer als schlüssige Identität einbringen müssten. Sich unsicher zu sein, Fragen aufzuwerfen – das funktioniert auf Instagram oder Twitter einfach nicht. Diese Selbstvermarktung greift auch in politischen Kreisen um sich und wird nicht mehr infrage gestellt. Wir richten uns alle nach dieser Marktlogik aus, da gibt’s viel zu wenig vor allem feministische Reflexion, wie man damit umgehen sollte.
Mit Feminismus lassen sich nicht nur Kosmetik und Slogan-T-Shirts verkaufen, sondern auch Zeitungen. Du analysierst sehr ausführlich, wie Feminismus medial zum emotionalisierten Streitthema gemacht wird. Warum sollten wir uns dieser Medienlogik entziehen?
Es geht dabei fast nie um einen Meinungsaustausch oder konstruktiven Diskurs, sondern darum, auf einem Podium Meinungen aufeinanderknallen zu lassen. Das wurde auch bei #MeToo sichtbar, da saßen völlig inkompetente Menschen, die noch nie was mit Geschlechterpolitik zu tun hatten, in Talkshows und durften anderthalb Stunden über sexualisierte Gewalt reden. Auch die Architektur von Sozialen Medien bringt mit sich, dass es dort nur ums Aufeinanderknallen geht, es kommt inhaltlich doch nichts dabei raus.
Ein Kapitel deines Buches widmet sich auch dem emanzipatorischen Versprechen, das in feministischen – oder feministisch lesbaren – Fernsehserien lag. Allerdings würden US-Serien vor allem einen Lean-in-Feminismus zeigen, also erfolgreiche weiße Frauen und ihre Alltagskämpfe.
Vor zwanzig Jahren gab es ja kaum feministische Serien, man hat aus dem wenigen Material irgendwas herausdestillieren müssen, ich hab das immer sehr lustig und spannend gefunden, vor allem weil man als Zielgruppe nicht so festgelegt wurde, es gab viele selbstbestimmte Lesearten einer Serie. Teilweise sind die Serien heute richtig gut und es gibt auch viel mehr, das ist schon ein großer Fortschritt. Aber in diesen ganzen US-Serien – bei Netflix heißt das „Serien mit starken Frauenrollen“ – kommt z. B. nirgends vor, dass es in den USA keine Karenz, keinen Kündigungsschutz, keinen arbeitsrechtlichen Schutz für Mütter gibt. Es geht immer um Stress, es wird aufs Businesskostüm gekotzt und zum Termin gehetzt, aber das alles findet unter Bedingungen statt, die wir dank der Frauenbewegung in Teilen Europas nicht mehr haben. Doch diese strukturelle Ebene kommt einfach gar nicht vor.
Andi Zeisler, immerhin Mitgründerin des „Bitch-Magazine“, hat in ihrem Buch „Wir waren doch mal Feministinnen“ den Popfeminismus als gescheitert erklärt. In deinen Ausführungen scheint auch wenig Ambivalenz übrig, die ernüchternde Bilanz ist, dass sich der neoliberale Kapitalismus den Feminismus einverleibt hat. Ist es wirklich so hoffnungslos?
Ich bin nicht der Meinung, dass alles schlecht ist, ich bin weiterhin von der Verzahnung von Massenkultur und Feminismus begeistert, ich halte das für eine große Chance. Aber mir ist die Stimmung generell zu positiv. Ich wollte ganz bewusst die Schattenseiten dieser Vermarktbarkeit aufzeigen und nicht noch ein Buch schreiben, wieso Feminismus so toll und wichtig ist.
Beate Hausbichler ist Redakteurin bei der österreichischen Tageszeitung „Der Standard“, seit 2014 leitet sie deren frauenpolitisches Ressort dieStandard.
Beate Hausbichler: Der verkaufte Feminismus. Wie aus einer politischen Bewegung ein profitables Label wurde
Residenz Verlag 2021, 22 Euro