Ein „gewaltiges Werk und absolut überzeugend“, urteilt Judith Butler: Shon Faye hat ein aufrüttelndes Buch über die Lebensrealitäten von trans Menschen geschrieben, das eindringlich für Solidarität innerhalb der LGBTIAQ*-Bewegung plädiert. Von Naomi Lobnig
Der Titel ist bewusst provokant gewählt. Faye, die sich in LGBTIAQ*-Organisationen für die Rechte von trans Personen einsetzt und als Redakteurin tätig ist, will gängige Perspektiven umdrehen: „Trans Personen werden entmenschlicht und auf ein Gesprächsthema oder abstraktes Problem reduziert: eine ‚Frage‘, über die endlos diskutiert und debattiert werden kann. Wenn die Medien über die ‚Transgender-Frage‘ sprechen wollen, heißt das, wie sich herausgestellt hat, dass sie über ihre Probleme mit uns reden wollen und nicht über die Herausforderungen, vor denen wir stehen“, schreibt sie. Letzteres bildet das zentrale Anliegen des aufrüttelnden Buches, das die vielfältigen Lebensrealitäten von trans Personen in den Mittelpunkt stellt.
Fayes Zugang ist ein analytischer, der die Leser*innen dennoch bis zur letzten Seite fesselt. Sie zitiert zahlreiche aktuelle Studien und stellt transspezifische Organisationen und Community-Projekte vor. In persönlichen Gesprächen und Interviews kommen Betroffene selbst zu Wort. Faye widmet sich dabei sonst unterbeleuchteten, aber dafür umso wichtigeren Themen: Bildung, Wohnungslosigkeit, häusliche und sexualisierte Gewalt, Altern und Pflege, körperliche Selbstbestimmung und Gesundheitsvorsorge, Sexarbeit sowie staatliche Diskriminierung. All diese Themen betreffen selbstverständlich nicht nur trans Personen und auch nicht alle trans Personen gleichermaßen. Viel zu oft würden jedoch mehrfach diskriminierte Personen, wie wohnungslose oder unter prekären Umständen lebende trans Personen und trans Sexarbeiter*innen, unsichtbar gemacht.
Ein inhaltlicher Schwerpunkt liegt auf der Rolle der Medien. Ihrem eigenen journalistischen Werdegang geschuldet, nimmt Faye kritisch die derzeitige, vor allem negative mediale Berichterstattung über trans Personen in den Blick. Die zitierten Wortmeldungen vieler Journalist*innen erschrecken – und erinnern nicht zuletzt auch an Beiträge in österreichischen Medien.
Kursierende Mythen und Vorurteile gegenüber trans Menschen dekonstruiert Faye radikal. Anhand konkreter Gesetzeslagen, aktueller Statistiken und persönlicher Erfahrungsberichte wird aufgezeigt, wie in transfeindlichen Debatten konsequent übertrieben und gelogen wird und dabei Einzelfälle instrumentalisiert werden, um transfeindlich Stimmung zu machen.
Faye geht es dabei jedoch keinesfalls darum, Spaltungen zu verstärken und trans Personen als homogene Gruppe zu beschreiben. Stattdessen werden die gemeinsamen unterdrückenden Erfahrungen mit anderen marginalisierten Gruppen wie PoCs, Migrant*innen und Menschen mit Behinderungen betont. Es geht um den gemeinsamen Kampf, der letztendlich die Befreiung aller Menschen zum Ziel hat.
„Nicht nur trans Menschen brauchen den Feminismus, sondern der Feminismus braucht auch trans Menschen.“ Faye verweist auf die notwendige Solidarität untereinander, die sich auf die gemeinsamen Erfahrungen von trans Personen, cis Frauen und LGB-Personen stützt. So bedient sich beispielsweise – historisch und gegenwärtig – die homo- und transfeindliche Berichterstattung ähnlicher pathologisierender und abwertender Argumentationsweisen. Und wie beim Recht auf Abtreibung geht es auch bei der Gesundheitsvorsorge von trans Personen um körperliche Selbstbestimmung – und letztlich aller Personen weltweit. Sie alle eint die Betroffenheit von struktureller Unterdrückung und Gewalt.
„Gemeinsam muss ein LGBTIQ*-Bündnis, in dessen Zentrum Klassenbewusstsein und Antirassismus stehen, seine Radikalität zurückerlangen und erneuert den Widerstand gegen Kapitalismus und Patriarchat betonen. Interne Machtkämpfe und innere Spaltung liegen im Interesse der Rechten, von denen wir unterdrückt werden. […] Im Kern haben Frauenfeindlichkeit, Homofeindlichkeit und Transfeindlichkeit viel gemeinsam. Aus Sicht des Patriarchats liegen wir bei der Gender-Performance alle falsch.“ •
Shon Faye: Die Transgender-Frage. Ein Aufruf zu mehr Gerechtigkeit.
Übersetzung aus dem Englischen von Jayrôme C. Robinet und Claudia Voit
hanserblau 2022, 25 Euro