Die alltägliche Gewalt gegen Frauen wird auch von TV-Formaten wie dem Tatort gern kritisch thematisiert. Doch die Darstellung dieser Gewalt eskaliert dabei gegenwärtig immer mehr, beobachtet die Medienjournalistin DORIS PRIESCHING. ANDREA HEINZ sprach mit ihr über Brutalisierung und Emotionalisierung im Hauptabendprogramm.
an.schläge: In letzter Zeit gab es in den Tatort-Krimis vermehrt Fälle von Vergewaltigung, Frauenmord und Mädchenhandel. Nimmt Gewalt gegen Frauen im Fernsehen zu?
Doris Priesching: Es gibt mehr ermordete Frauen, nicht nur im Tatort, sondern allgemein im deutschsprachigen Krimi. Das ist eine Brutalisierung, angesichts derer ich mich langsam frage, ob das überhaupt noch für ein Publikum im Hauptabend geeignet ist. Zum Beispiel der Tatort „Wegwerfmädchen“, in dem es um Mädchenhandel ging(1): Da habe ich, obwohl ich nicht unbedingt sehr zartbesaitet bin, abgeschaltet. Solche Gewaltdarstellung, die sich in erster Linie gegen Frauen richtet, eskaliert im Moment etwas.
Warum wird Gewalt in einem solchem Ausmaß und so explizit gezeigt?
Zum einen erklärt sich das aus der Geschichte. Den Tatort gibt es seit 1970. Er ist wahrscheinlich so etwas wie ein Spiegelbild der Fernsehkrimigeschichte, und die hat mit einem Überschuss an männlichen Ermittlern begonnen. 1978 war beim Tatort erstmals eine Frau im Ermittlungsteam. Seither werden die Ermittlerinnen immer mehr und mehr. Die große Popularisierungswelle hat mit Ulrike Folkerts begonnen. Man hat gesehen, das funktioniert, zumindest auf der ErmittlerInnenseite …
… und auf der Opferseite funktioniert es also auch?
Das hat sicher zu tun mit den Autoren, der Dramaturgie – und vielleicht auch mit einer gewissen Abstumpfung. Früher hat es gereicht, einen Mord darzustellen, um bei den ZuschauerInnen Gefühle zu wecken. Mittlerweile hat der Autor das Gefühl, er muss inmitten dieser Fülle an Krimi-Stoffen irgendetwas finden, das Emotionen erzeugt. Und wie macht er das? Indem er das Verletzlichste vernichtet, ermordet, auslöscht.
Und dieses Verletzlichste sind die Frauen?
Es gab auch eine Phase in den 1990er Jahren, in der es unglaublich viele Kindermorde im Tatort gab. Jetzt ist die als verletzlichste bestimmte Figur die Frau. Ich würde nicht sagen, dass die Frauen die Schwächsten der Schwachen sind. Es geht einfach darum, einen anderen Teil der Gesellschaft als schwach zu definieren.
Es gab einen Tatort, in dem es die ganzen neunzig Minuten lang immer wieder um die vergewaltigte Frau ging, bzw. darum, wie sie die Tat verarbeitet(2). Drängt das Frauen nicht in die Opferrolle?
Es gibt Gewalt gegen Frauen. Und es ist meiner Meinung nach erlaubt und wichtig, das aufzuzeigen. Gerade im Tatort, der sich als Vermittlungsinstanz für Sozialkritik versteht. Die Frage ist nur, wie es gemacht wird. Und in sehr vielen Fällen ist es einfach ein platter Versuch, Betroffenheit zu erzeugen.
Grenzt das nicht bisweilen auch an Voyeurismus?
Ich will das den AutorInnen und RegisseurInnen nicht unterstellen. Ich glaube, dass sie es manchmal einfach nicht besser wissen. Dass sie mit einem redlichen Anliegen an diese Sache herangehen, aber aus irgendwelchen Gründen – man hört immer wieder, dass RedakteurInnen dreinreden – gibt es dann oft Ergebnisse, die Frauen gegenüber nicht sehr einfühlsam sind.
Liegt das nicht auch daran, dass großteils Männer am Werk sind?
Es gibt zwar immer noch eine eklatante männliche Dominanz in diesem Bereich, aber die Frauen werden mehr. Wobei ich nicht sagen kann, ob sie so viel anders an die Sache herangehen. Ich erinnere mich allerdings an einen Fall mit Andrea Sawatzki, geschrieben von einer Drehbuchautorin(3), der sich tatsächlich abhob. Da ging es um eine Frau, die verdächtigt wurde, ihr Kind ermordet zu haben. Das war eine liebevolle Mutter, aber sozial auffällig, und es wurde gezeigt, wie die Gesellschaft diese Frau verurteilt, einfach weil sie eine Außenseiterin ist. Das ist ein Krimi, wie er sein soll: Er führt die ZuschauerInnen in eine Welt, in der sie noch nie waren und wo sie auch nie hinkommen werden. Das Publikum eintauchen zu lassen in die sehr beengte, isolierte Angstwelt dieser Frau, das ist eine große Kunst.
Ist Gewalt gegen Frauen in Fernsehkrimis auch deshalb gerade jetzt ein Thema, weil es durch die neuesten Vorfälle in Indien und die sogenannte Sexismus-Debatte in den Medien so präsent ist?
Da sind andere Dinge viel ausschlaggebender. Die ZuschauerInnenzahlen zeigen: Männer schauen in der Mehrheit Sport. Fiktive Formate sehen sich dagegen hauptsächlich Frauen an. Bei einem Drehbuch ist es das primäre Ziel, Emotionen zu wecken. Das könnte man prinzipiell hinterfragen. Man will den Zuschauer, die Zuschauerin packen. Wie packt man sie aber am Besten? An ihrer Identität. Und das ist nun einmal eine weibliche.
Quasi der Gedanke: Das könnte auch ich sein?
Das ist der naheliegendste Grund. Doch die Zuschauerin identifiziert sich wahrscheinlich eher mit der Kommissarin. Das weibliche Opfer geht aber einfach viel mehr ans Herz als ein Mann. Weil es irgendwie verletzlicher ist. Ein fragwürdiges Spiel.
Einerseits wird vermittelt, die Frau ist das Opfer. Andererseits ist aber auch die ermittelnde Kommissarin eine Frau.
Deswegen ist es so verzwickt. Und sehr hinterhältig. Man wird nie sagen können, „da werden Frauen zu Opfern gemacht“, weil sie auf der anderen Seite ja auch die Heldinnen sind.
Sie haben Ihre Dissertation über Krisenphänomene der Gegenwart und damit einhergehende Angstbewältigungsstrategien geschrieben. Wird mit solchen fiktiven Stoffen auch ein Bedrohungsgefühl erzeugt?
Nicht unbedingt. Wir leben in einer Angstgesellschaft und die realen Bedrohungen sind in einem Ausmaß vorhanden, das die Gesellschaft durchaus prägt. Interessanterweise gibt es zugleich eine Angstbereitschaft, die mit einem gelernten Verhalten zusammenhängt: Wir wollen diese Ängste bewältigen. Im Fall des Krimis geht es um eine Angstlust. Die Menschen wissen genau, dass das, was sie sehen, nicht real ist. Ihnen ist bewusst, dass sie in eine Welt eintauchen, in der sie als Außenstehende eine maximale Sicherheit haben.
Relativiert sich das, wenn TV-Filme wie „Operation Zucker“, der von Mädchenhandel erzählt, bekanntgeben, dass die Handlung auf Fakten basiert?
Trotzdem kann man sagen, „gut, dass ich nicht in dieser Situation bin“. Man darf das Mitgefühl der Menschen nicht überbewerten. Wenn etwa eine Frau in einer U-Bahn, und zwar mitten in Wien, überfallen wird, dann frage ich mich: Wie kann so etwas passieren? Es heißt, da war niemand. Ich glaube eher, da hat niemand hingeschaut. Weil so etwas wie Empathie bei vielen Menschen nur in sehr verkümmertem Ausmaß vorhanden ist. Und nicht jedeR hat Zivilcourage. Das hat nichts mit Krimi zu tun, aber es zeigt, dass es mit der Empathie oft nicht sehr weit her ist. Ziel von Krimis ist auf jeden Fall, ihn oder sie zu rühren, und das gelingt. Dass man damit neue Wirklichkeiten schafft, ist klar. Man bringt die Gewalt ins Wohnzimmer.
Doch diese Gewalt scheint sich immer weiter zu steigern …
Im Moment ist Mädchenhandel der Aufhänger, bei dem man das Gefühl hat, das berührt die ZuschauerInnen noch. Schlimmeres kann man sich im Grunde gar nicht vorstellen. Prinzipiell hat im Fernsehen nichts Bestand. Man kann davon ausgehen, dass es bald ein paar Ermittlerinnen weniger, dafür ein paar Drehbuchautorinnen und Regisseurinnen mehr geben wird. Sabine Derflinger(4) zum Beispiel hat mit einem fast ausschließlich weiblichen Team einen Tatort gedreht, auf den ich mich sehr freue. Überhaupt wäre es wünschenswert, wenn die Frauen nicht mehr nur die Figuren sind, sondern die, die die Fäden ziehen. Das macht ja die aktuelle Situation so suspekt, dass es mehrheitlich Männer sind, die diese Kriminalität entwerfen.
Doris Priesching ist Medienredakteurin bei der Tageszeitung „Der Standard“. Mit der Arbeit „Angst im Nacken: Modell ‚Angstbewältigungszentrierte Mediendynamiken‘. Medienphilosophische Untersuchung von Krisenphänomenen der Gegenwart“ promovierte sie an der Universität Klagenfurt.
Fußnoten
(1) Wegwerfmädchen/Das goldene Band, Lindholm, 2012. R: Franziska Meletzky. B: Stefan Dähnert
(2) Nie wieder frei sein, Batic und Leitmayr, 2010. R: Christian Zübert. B: Dinah Marte Golch
(3) Der frühe Abschied, Sänger und Dellwo, 2008. R: Lars Kraume. B: Judith Angerbauer
(4) Angezählt, Fellner und Eisner. R: Sabine Derflinger. B: Martin Ambrosch, http://sabine.derflinger.org/index.php?id=422
2 Kommentare zu „„Das Verletzlichste vernichten, ermorden, auslöschen““
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Danke schön für das Interview! Ich habe mir die Frage besonders seit dem letzten Ludigshafener Tatort gefragt, warum im Tatort in den letzten Monaten eigentlich nicht nur ständig Frauen die Mordopfer sind, sondern sie auch auf besonders grausame Weise umgebracht werden und die Täter seltsam Allmächtige-Unbekannte bleiben. Ich würde die Überlegung, dass Frauen damit als schwach definiert werden sollen, gerne noch damit ergänzen, dass Gewalt gegen Frauen, anders als im schon älteren Münsteraner Tatort ‘wolfsstunde’ als jenseits der Normalität dargestellt wird. Aber ich kann mir nicht recht erklären, warum? Woher diese Vernichttungswünsche gegen Frauen gerade jetzt? Warum wird fast nie nur eine Frau ermordet, sondern gleich ganze Serienmorde begangen? Ich kann nur vermuten, dass die starken Frauen als Gegenfiguren, die Ermittlerinnen in diesen Fällen, nicht akzeptiert werden, ohne dass sie (nicht nur die Zuschauerinnen) mit ihren ohnmächtigen Seiten konfrontiert werden. Wogegen allerdings spricht, dass die meisten dieser Ermittlerinnen schon lange im ‘Dienst’ sind und dass Menschen selten gegen wirklich starke Figuren Vernichtungswünsche hegen. Ich versteh’s also immer noch nicht recht.