Die Herrin des Hauses oder die Hausfrau in der Heimhölle? Die Beziehung von Weiblichkeit & Wohnen währt schon lange und ist komplex. Von LEA SUSEMICHEL
Der Markt an Wohnzeitschriften wie „Schöner Wohnen“ ist riesig. Sie alle sprechen eine vornehmlich weibliche Zielgruppe an, dieselbe, die auch die boomende Home-Decor- und Einrichtungsbranche mit Läden wie Interio und Depot erfolgreich adressiert. Einen Boom erleben auch diverse „Home-Makeover“-Fernsehsendungen, in denen vornehmlich Frauen abendfüllend beraten werden, ob der skandivanische Stil wohl auch für ihre Küche passt.
Doch woher rührt diese weibliche Zuständigkeit fürs Hübsch- und Heimeligmachen und wo liegen ihre historischen Wurzeln?
In Stein gemeißelt. Wir bauen uns buchstäblich unsere Gesellschaft, denn Machtverhältnisse sind nicht selten tatsächlich in Stein gemeißelt. Sie geben vor, womit wir uns – wortwörtlich – wohl oder übel einzurichten haben.
Allerdings ist die politische Relevanz von Stadtentwicklung und urbaner Raumplanung weit offensichtlicher als die von Inneneinrichtung oder gar Dekoration. Dieses Ungleichgewicht zeigt sich auch in der architekturgeschichtlich stiefkindlichen Rolle, die das Thema Wohnen und Innenarchitektur im Vergleich zu Baugeschichte und Stadtplanung hat. In dieser Asymmetrie spiegeln sich deutlich Geschlechterhierarchien: Der männliche Stararchitekt sucht mit dem repräsentativen Monumentalbau den großen Wurf, in dem er sich verewigen kann. Um Details wie Küchenorganisation oder Möblierung kümmern sich dann in aller Regel Innenarchitektinnen oder – weit häufiger – die Bewohnerinnen selbst. Selbst die Entwicklung von Haushaltstechnologie blieb aufgrund dieser Geringschätzung oft ungewürdigt, wie die britische Soziologin Cynthia Cockburn gezeigt hat.
Wohnpolitik ist also auch aus feministischer Perspektive ein brennendes Thema. Nicht nur deshalb, weil angesichts explodierender Mieten und wahnwitziger Immobilienspekulation menschenwürdiges Wohnen zur umkämpften Ware und zum für viele unleistbaren Luxus wird. Der Androzentrismus der Architektur, der auch traditionellen Geschlechterverhältnissen ständig neue Denkmäler baut, macht Wohnverhältnisse überdies zu einem dezidiert geschlechterpolitischen Thema. „Das Private ist politisch“ gilt also insbesondere für die Intimsphäre der eigenen vier Wände.
A Room Of One’s Own. „Ein Zimmer für sich allein“: Virginia Woolfs in ihrem berühmten Essay von 1929 aufgestellte Forderung kann als ein Leitspruch feministischer Wohnpolitik gelten. Denn damit auch Frauen „große Literatur“ schaffen können, brauche es der Schriftstellerin zufolge zumindest: „fünfhundert (Pfund) im Jahr und ein eigenes Zimmer“. Aber nicht nur angehende Autorinnen haben Rückzugsraum nötig, den allermeisten Frauen der vergangenen Jahrhunderte mangelte es daran. Traditionell waren Frauen in die Welt des Privaten und Häuslichen (griech.: Oikos) verbannt, die der politischen Sphäre der Öffentlichkeit (Polis) entgegengesetzt und altgriechischem Ideal entsprechend auch dem weiblichen (so wie Polis dem männlichen) Prinzip zugeordnet wurde. Doch obwohl das Haus symbolisch wie faktisch also „ihr Reich“ ist, bedeutet das bekanntlich nicht, dass es nach den Bedürfnissen von Frauen gestaltet wird und sie dort Ruhe und Privatsphäre haben. Denn das Zuhause war und ist für sie in erster Linie ein Arbeitsort.
Das Zusammenfallen von Wohn- und Arbeitsstätte, das Verschwimmen der Grenzen zwischen Freizeit und Arbeitszeit, das angesichts neoliberaler Arbeitsweisen derzeit als vermeintlich neues Phänomen diskutiert wird, ist für viele Frauen immer schon Realität.
Die Küche. Ein wiederkehrendes feministisches Motiv ist dementsprechend die in der kleinbürgerlichen Heimhölle isolierte Hausfrau, die ihr tristes Dasein zwischen Herd und Bügelbrett fristet. Feministinnen forderten deshalb nicht nur städtebauliche und infrastrukturelle Reformen, um sie von diesem Schicksal zu erlösen. Auch eine Änderung der Häuser und Wohnungen selbst wurde gefordert, insbesondere der klassischen Wohngrundrisse mit ihren reinen Arbeitsküchen, in denen Reproduktionsarbeit unsichtbar bleibt. In der bürgerlichen Wohnung waren nur die repräsentativen Wohnräume sichtbar, die kleine Küche und die in ihr stattfindende Versorgungsarbeit lag zumeist verborgen hinter dem Esszimmer.
Allerdings blieben auch Pionierinnen wie Margarete Schütte-Lihotzky bei dieser kleinen Arbeitsküche. Mit ihrer berühmten Frankfurter Küche (vgl. Seite 26), in der typische Küchenarbeiten mit der Stoppuhr gemessen wurden, um dadurch „die größte Schritt- und Griffersparnis“ zu erzielen, ging es der Architektin in erster Linie um Arbeitserleichterung und darum, „Frauen sehr viel Zeit zu ersparen“.
Doch bereits Schütte-Lihotzky wusste um die vielen Bedürfnisse, die Wohnraum möglichst noch befriedigen sollte: „Zum Schlafen und Arbeiten, zum Kochen und Essen, zum Alleinsein und zum Leben in der Familie und in Gesellschaft muss die Wohnung Raum bieten.“
Dieses Ideal spiegelte sich auch in den revolutionären Ideen der Wohnpolitik des roten Wien (vgl. Seite 24), in denen die nun geräumigeren Küchen auch Platz für Muße und zur Frauenbildung bieten sollten. Bei sozialreformerischer Architektur, die radikale gesellschaftliche Änderungen zum Ziel hatte – wie etwa auch dem Bauhaus mit seinem „klassenlosen Design“ –, ging es allerdings oft um den bereits erwähnten männlichen großen Gestus. Paradebeispiel ist das vom Frühsozialisten Charles Fourier bereits im frühen 19. Jahrhundert erdachte Phalanstère, ein Bau für mehr als 1600 Menschen, der nach dem Vorbild des Schlosses von Versaille entworfen worden war, nun allerdings als Palast der freien Liebe dienen sollte.
Eine der wenigen Frauen, die im 20. Jahrhundert ähnlich ambitionierte Projekte verwirklichten wie Corbusier und Co, war die französische Architektin Renée Gailhoustet, die mit ihren ungewöhnlichen Sozialbauten mit Gärten für alle neue Standards setzte.
Einküchenhaus. Radikal war auch das auf die Idee der sozialdemokratischen Frauenrechtlerin Lily Braun zurückgehende Modell des Einküchenhauses, in dem Hauswirtschaft kollektiviert und entlohnt wurde. Das Bezahlen von Köchinnen und Wäscherinnen kann dabei sowohl als logische Konsequenz der „Lohn für Hausarbeit“- Forderung gefeiert wie auch als Auslagerung unliebsamer Arbeiten an weniger privilegierte Frauen kritisiert werden. Jedenfalls sahen die in vielen europäischen Städten tatsächlich realisierten Einküchenhäuser eine zentrale Gemeinschaftsküche vor, aus der die Mahlzeiten per Speiseaufzug in die küchenlose Wohnung geordert werden konnten, sowie oft auch eine hauseigene Wäscherei.
In zahllosen besetzten Häusern, linken WGs und Frauenwohnprojekten war die gerechte Vergemeinschaftung (wenn auch nicht bezahlte Auslagerung) von Reproduktionsarbeit ebenfalls zentraler Grundkonsens. Alternative Wohnprojekte sehen auch heute meist zumindest Gemeinschaftsräume und kollektiv genutzte Flächen vor.
Sorgearbeit & Schönheitspflege. Auch in Einfamilienwohnungen bzw. -häusern geht der Trend zu kommunikativen, offenen Wohnküchen, was häufig als emanzipatorischer Fortschritt interpretiert wird. Schließlich wird die darin verrichtete Hausarbeit für alle sichtbar und die Küche als Kommunikationsraum, in dem auch Gäste empfangen werden, kann symbolisch als Vorstoß vom Privaten ins Öffentliche interpretiert werden.
Allerdings bedeutet die Öffnung bekanntlich nicht, dass auch die Arbeitsaufteilung gerechter ist. Zudem geht die räumliche Dominanz der Wohnküche oft zulasten von ausreichend Rückzugsraum, der insbesondere Frauen befähigen würde, sich Sorgearbeit zu entziehen – dem „room of one’s own“ also.
Während Männern je nach Milieu und finanzieller Möglichkeit zumindest ein Arbeitszimmer oder ein Hobbyraum im Keller zugestanden wird (und weil getrennte Schlafzimmer weitgehend ein Privileg der Oberschicht sind), bleibt den Frauen weiterhin oft bloß das Badezimmer. Dieses hat – zumindest in Katalogen und Wohnzeitschriften – nur noch wenig mit der einstigen „Nasszelle“ zu tun, sondern soll zur sorgfältig designten Wellnessoase werden, in der sich Frauen nach getaner Sorgearbeit „entspannt und genüsslich“ ihrer zweiten Kernaufgabe widmen dürfen: der Schönheits- und Körperpflege.
Die Wohnung als Ausstellungsort. Doch die Wohnung ist meist nicht nur Reproduktions-, sondern auch Repräsentationsort. Das gilt nicht nur für die gute Adresse, die imposante Bibliothek und die exklusive Einrichtung der Oberschicht oder für die Reisesouvenirs, die in der obligatorischen kleinbürgerlichen Vitrine ausgestellt werden. Auch mit dem coolen Rennrad an der Wand des Studentenzimmers und dem ironischen Häkelbild mit Kampfspruch in der feministischen WG-Küche werden Statements gesetzt.
Denn Wohnen und Einrichtung sollen heute unbedingt auch Individualität und Originalität zum Ausdruck bringen, zugleich ist dieser Bereich jedoch weiterhin sozial stark reglementiert. Die Maxime „Zeig mir deine Wohnung und ich sage dir, wer du bist“ bringt sinngemäß auch die einflussreiche Studie „Die feinen Unterschiede“ des Soziologen Pierre Bourdieus auf den Punkt, in der er zeigt, dass Klassendistinktion vor allem über das Zurschaustellen des vermeintlichen „guten Geschmacks“ betrieben wird. Es ist natürlich die gebildete Oberschichtkultur, die diesen „guten Geschmack“ vorgibt und damit die ästhetischen und kulturellen Vorlieben der Mittelschicht und des Proletariats entwertet.
In ihrer Untersuchung „Schöner Wohnen: Zur Kritik von Bourdieus ‚feinen Unterschieden‘“ wirft die Soziologin Christine Resch Bourdieu Blindheit für Beziehungen und das Geschlechterverhältnis beim Wohnen vor. Denn laut Resch, die für ihre Studie die Wohnungseinrichtungen unterschiedlicher Milieus untersucht hat, sind in der sogenannten Unterschicht und der Mittelschicht in erster Linie die Frauen für Einrichtungsfragen und damit auch für den „Familiengeschmack“ zuständig. Die wichtige Repräsentationsaufgabe beim Wohnen ist also ebenfalls Teil weiblicher Reproduktionsarbeit. „In der gebildeteren Schicht ziehen sich die Männer und besonders die jungen Väter in ihr Arbeitszimmer, sofern vorhanden, zurück. Dort und nur dort haben sie auch die Hoheit über die Dekoration“, schreibt Resch. „Den Bereich der Wohnung, der von der ganzen Familie bewohnt wird, dominieren die Frauen, die Männer können nur in ihrem Raum schalten und walten, wie sie es gerne wollen. Das erinnert an ‚Jugendzimmer‘, in denen den Jugendlichen überlassen wird, wie sie leben wollen, und in das sie sich zurückziehen, sobald die familiären Verpflichtungen erledigt sind.“
Deko als Beziehungsarbeit. Darin spiegele sich auch deutlich, dass vornehmlich Frauen für Beziehungsarbeit zuständig sind. Denn Frauen schaffen auch durch das Einrichten und Dekorieren der Zimmer familiäre Harmonie und befriedigen Bedürfnisse. Und sie zelebrieren mit Bildern und Erinnerungsstücken ihre Beziehungen. Die Souvenirs von Männern hingegen, etwa Reiseandenken oder „eine von Franz Beckenbauer signierte Uhr“, haben laut Resch die Aufgabe, an „bessere (vorfamiliäre) Zeiten“ zu erinnern, in denen sie noch frei und unabhängig waren. Männliche Unabhängigkeit wird dabei häufig als Nomadentum fantasiert, bei dem materieller Ballast nur ein Hindernis sei.
Je wichtiger die Repräsentationsaufgabe des Heims ist, desto eher hat jedoch der Mann das Sagen. In der Oberschicht ist es daher oft er, der über Einrichtungsfragen (zumindest mit-)entscheidet, dort ist der „gute Geschmack“ oft weit wichtiger als die persönliche Beziehung zum Gegenstand oder Komfortkriterien (also ob das teure Sofa auch gemütlich ist).
Doch auch in anderen Milieus bedeutet für die Einrichtungsarbeit zuständig zu sein keineswegs, dass Frauen zu Hause absolute Verfügungsgewalt hätten. Größere Anschaffungen wie eine schönere Kommode müssen oft vom eigenen Geld angespart oder die neue Lampe dem Gatten abgeschmeichelt werden, wie Resch zeigt.
Wände & Wohnutopien. Feministische Wohnutopien müssen all diese verschiedenen Apekte und Ebenen unbedingt berücksichtigen. Sie sollten dabei Eigentumsverhältnisse ebenso wie subtile Machtgefälle im Blick haben. (Laut einer aktuellen Studie verlieren Frauen zu Hause sogar den „Kampf ums Thermostat“, denn Männer setzen sich weit häufiger bei der Raumtemperatur durch.)
Diese Utopien könnten sich dabei durchaus manchmal männliches „Think Big“ zum Vorbild nehmen und große Entwürfe wagen, die auch neue Technologien als Emanzipationsmittel nutzen. Sie sollten daneben aber unbedingt auch die kleinen Subversionen würdigen und die Freiheitsund Wohlfühlnischen anerkennen und fördern, die sich Frauen* unter widrigsten Bedingungen immer schon geschaffen haben – u. a. eben einfach dadurch, dass sie es sich möglichst hübsch und heimelig gemacht haben.
„Frauen haben seit Millionen Jahren in geschlossenen Räumen gesessen, sodass inzwischen sogar die Wände durchdrungen sind von ihrer Schaffenskraft“, schreibt Virginia Woolf in „Ein Zimmer für sich allein“. Und mit dieser Kraft durchbrechen sie diese Wände langsam, aber sicher.