Ein Leben als Hetero-Frau, ganz ohne romantische Beziehungen? Für immer mehr junge Frauen ein erstrebenswertes Modell. Haben Bewegungen wie 4B und Decentering Men Zukunft? Von Brigitte Theißl
Männer gehen Partnerschaften ein, weil sie sich die kostenlose Arbeit von Frauen einverleiben wollen. Frauen gehen Partnerschaften ein, weil uns beigebracht wurde, nach romantischer Liebe zu streben – um jeden Preis.« In ihren Videos kommt Ashley rasch zum Punkt. @Professionalsassatron nennt sie sich auf TikTok, oder auch: Your Boyfriend’s Worst Nightmare. Wer über ihr Profil scrollt, könnte meinen, auf der Seite einer Influencerin gelandet zu sein, wie es sie zu Tausenden im Netz gibt: Ashley zeigt sich im Fitnessstudio, präsentiert ihre Skincare-Routine – vor allem aber liefert sie scharfe Analysen über Beziehungen zu Männern, die sie selbst aus ihrem Leben verbannt hat, und geht auch mit Frauen hart ins Gericht, die „enabler“ sind, also über das sexistische Verhalten von Männern einfach hinwegsehen.
Ashleys erfolgreichste Videos wurden bereits über eine Million Mal angesehen, rund 140.000 Menschen folgen ihr auf TikTok.
DECENTERING MEN. Männern abzuschwören, oder sie zumindest nicht länger in den Mittelpunkt des eigenen Lebens zu stellen („decentering men“), ist auf Social Media längst kein Nischenprogramm mehr. Hunderttausende Videos finden sich unter Hashtags wie #decentermen oder #allmen, es sind überwiegend junge Frauen, die offenbar die Nase voll haben vom Konzept der heteronormativen Zweierbeziehung.
Auch Bettina Zehetner, im Vorstand und Mitarbeiterin bei Frauen* beraten Frauen, kennt solche Schilderungen aus der Beratungspraxis. „Da gibt es zum Beispiel Frauen, die sich in einen Mann verliebt haben, und nachdem sie zusammengezogen sind oder ein Kind bekommen haben, hat sich dann das Besitzdenken des Partners gezeigt“, erzählt Zehetner im an.schläge-Gespräch. Oft würden sich die Frauen allein gelassen fühlen: mit der Hausarbeit und der Kindererziehung, mit der Verantwortung für die Familie. „Sie sollen sich um das Funktionieren der Beziehung bemühen und sich dann auch noch um sein Wohlergehen kümmern, so erleben es viele Frauen“, sagt Zehetner.
RESSOURCE FRAU. Die ungleich verteilte, unbezahlte Arbeit zwischen den Geschlechtern belegen unzählige Studien – auch in Österreich. So zeigte die aktuelle Zeitverwendungsstudie der Statistik Austria, dass Frauen immer noch zwei Stunden pro Tag mehr aufwenden für Hausarbeiten und Kindererziehung, für Pflege oder freiwilliges Engagement. Seit vielen Jahrzehnten schon erklären Feministinnen, dass diese Arbeitsteilung kein Zufall oder gar biologisches Schicksal ist, sondern tief verankert im Kapitalismus und im Patriarchat. In einem neuen „Geschlechtervertrag“ wurden Frauen „zu Müttern, Ehefrauen, Töchtern und Witwen“, den Männern wurde der „Zugriff auf die Körper und die Arbeit sowohl der Frauen als auch der Kinder ermöglicht“, so skizziert die italienische Feministin Silvia Federici in „Caliban und die Hexe“ den europäischen Übergang vom Feudalismus zum Kapitalismus. Frauen „wurden zum grundlegendsten Produktionsmittel und zu einem öffentlichen Gut“, die ihnen zugeschriebene Arbeit abgewertet. Umso dringlicher fordern feministische Ökonominnen eine neue Care-Ökonomie ein, die die unerlässliche Reproduktionsarbeit ins Zentrum des Wirtschaftens stellt.
4B AUF TIKTOK. Sich auf individueller Ebene nicht länger für das Wohlergehen aller Familienmitglieder verantwortlich zu fühlen, ist indes für Frauen oft harte Arbeit. Dazu tragen nicht nur rigide Geschlechterregime, sondern auch neue Formen der neoliberalen Selbstoptimierung bei. Zur besten Version des Ich gehört auch eine glückliche Partnerschaft, in der nicht über den Abwasch gestritten wird. Und auch im bedürfnisorientierten Muttersein ganz aufzugehen passt perfekt in jedes Instagram-Profil. Selbst der postmoderne Feminismus der Nuller-Jahre schlug sich ungern mit den ermüdenden Debatten um unbezahlte Reproduktionsarbeit herum – umso bemerkenswerter also, dass so viele junge Frauen plötzlich freimütig von schmutziger Wäsche und gescheiterten Beziehungen berichten. Jedes TikTok-Video, jedes Reddit-Posting sendet nicht zuletzt die Botschaft: Nicht du persönlich hast versagt, sondern Care-Arbeit auf Frauen abzuladen und sie nicht einmal wertzuschätzen, hat im Patriarchat System. Eine besonders radikale Bewegung formierte sich zuletzt in Südkorea, wo Frauen unter dem Schlagwort „4B“ Beziehungen, Sex, Ehen und Kinder mit Männern ablehnen, laut eigenen Angaben haben sich rund 4.000 Frauen der Gruppe angeschlossen. 4B wehrt sich gegen die patriarchale Kontrolle, die in Südkorea besonders brutale Formen angenommen hat. Frauen heimlich auf öffentlichen Toiletten oder in der U-Bahn zu filmen, ist dort ein florierendes Geschäft, berichtet Vox.com. 2016 erstellte die Regierung eine „Geburtenlandkarte“, die Gebiete mit besonders vielen Frauen im „gebärfähigen Alter“ sichtbar machte. „Sie zählten die fruchtbaren Frauen wie das Vieh“, formulierte es eine feministische Bloggerin. Nach der Wiederwahl Donald Trumps, der besonders stark von Männern unterstützt wurde, schwappte die Bewegung in die Vereinigten Staaten – und trifft dort auf eine völlig andere, individualisierte Tradition des Feminismus.
POLITISCHE LESBEN. Mit Männern keine romantischen und sexuellen Beziehungen einzugehen – selbst, wenn man sich zu ihnen hingezogen fühlt – ist indes keine neue feministische Idee. In den späten 1960er- und -70er-Jahren formulierten Radikalfeministinnen das Konzept des „politischen Lesbentums“. Denkerinnen wie Sheila Jeffreys stellten die Frage, ob nicht alle Feministinnen Lesben sein müssten, wenn sie ihre politische Haltung ernst nehmen würden. „Das heterosexuelle Paar ist die Grundeinheit männlicher Vorherrschaft“, so ist es im 1981 publizierten Papier „Love your enemy?“ zu lesen. Mit dem radikalfeministischen Denken der 70er- und 80er-Jahre ging freilich eine Totalablehnung von Pornografie und Sexarbeit einher, trans Frauen wurde häufig das Frausein abgesprochen, Frauenräume sollten exklusiv cis Frauen vorbehalten sein. Grund genug also für innerfeministische Kritik und feministische Strömungen, die sich bewusst vom Radikalfeminismus abgrenzten. Einzelne Denkerinnen wie Andrea Dworkin („Woman Hating“) wirkten lange gar als das Schreckbild der männerhassenden Emanze, von der es sich zu distanzieren galt – umso erstaunlicher, dass Dworkin ausgerechnet auf TikTok eine Renaissance erfährt. „Als ich das Patriarchat und die brutale Misogynie in vollem Umfang verstanden habe, war es für mich nicht mehr möglich, die Augen davor zu verschließen, es auszublenden“, sagt Jasmine Muller in einem Video zwischen Fitness- und Smoothie-Tipps und zitiert Andrea Dworkin. Über 300.000 Menschen haben ihre Analyse gesehen, „It makes you angry. I want to rip them apart“, hat eine Nutzerin darunter gepostet.
AUFBRUCH. Die neue – amerikanische – Version eines 4B-Feminismus hat freilich einen bitteren Beigeschmack. Auffallend viele weiße, gut situierte Frauen sind es, die auf Social Media dem Heteropatriarchat abschwören. Eine Klassenperspektive treibt die wenigsten um, „Decentering Men“-Workshops können inzwischen ebenso online gekauft werden wie allerhand Merchandise mit knackigen Sprüchen. Und dennoch: Gerade angesichts eines Comebacks der idealisierten Hausfrau („Tradwives“) könnte die Bewegung einen wichtigen Schritt raus aus der Romantisierungsfalle darstellen. „Ich glaube, das kann eine emanzipative Kraft entfalten“, sagt auch Bettina Zehetner. „Ich muss nicht unbedingt daten, ich muss nicht heiraten und Kinder kriegen. Ich kann auch so ein erfülltes Leben haben.“ Dass romantische Beziehungen für Männer wesentlich positivere Folgen haben als für Frauen, belegt inzwischen sogar die Wissenschaft. Psychologin Iris Wahring von der Humboldt-Universität in Berlin hat gemeinsam mit Kolleginnen die Ergebnisse von mehr als fünfzig Studien aus den vergangenen zwanzig Jahren analysiert, die Geschlechterunterschiede in heterosexuellen Beziehungen untersuchten. Ihre Conclusio: Männer profitieren sowohl gesundheitlich als auch emotional stärker von Partnerschaften als Frauen. Frauen wiederum initiieren deutlich öfter eine Trennung und verarbeiten sie auch leichter – auch wenn Hollywood uns gerne das Gegenteil erzählt. Für das Patriarchat und jämmerliche Online-Bros, die von einem Neofaschismus mit Gebärzwang träumen, sind das keine guten Nachrichten. „It’s too much, I can’t take it, there needs to be a change. It’s time for us to start getting revenge on the nerds“, formulierte es Rebecca Shaw Mitte Jänner im „Guardian”. Ihr Artikel erschien unter dem schönen Titel: „I knew one day I’d have to watch powerful men burn the world down – I just didn’t expect them to be such losers.“
Brigitte Theißl weiß, wie furchtbar TikTok ist. Die Videos von linken US-Feministinnen könnte sie sich trotzdem endlos reinziehen.