Die 20-jährige Britin Arlo Parks ist Schwarz, bisexuell und wortgewandt. Mit ihrem Coming-of-Age-Album „Collapsed In Sunbeams“ gilt sie als neue Indie-Pop-Hoffnung. Von Michaela Pichler
Ein Post im Instagram-Feed, eine übers ganze Gesicht strahlende Arlo Parks vor einem Club in Westlondon. Es ist das denkmalgeschützte O2 Shepherds Bush Empire. Ein Musikort, der im Gedächtnis der Singer-Songwriterin einen besonderen Platz hat. Dort hat Parks zum ersten Mal einen Live-Gig erlebt, das erste Mal gespürt, wie ein kollektives Erleben von Musik die Zeit für ein paar Stunden stillstehen lässt. Kurz vor der globalen Pandemie bewunderte sie auf dieser Bühne Kolleginnen wie die US-amerikanische Pop-Musikerin Clairo.
Nun prangt in leuchtenden Gelb- und Blautönen eine Wandmalerei der Künstlerin Kate Philipson an der Außenfassade des Lokals: „A force of light and power, she is completely herself“, steht da geschrieben, inspiriert von einem Gedicht aus Parks Feder. Es wurde dort platziert zu Ehren des Women’s History Month im März. So kurz dieses Zitat ist, beschreibt es doch ziemlich gut, was den Zauber um die Newcomerin Parks ausmacht.
Gerade hat die 20-jährige Anaïs Oluwatoyin Estelle Marinho unter ihrem Künstlernamen Arlo Parks ihr Debütalbum „Collapsed In Sunbeams“ via Transgressive Records veröffentlicht. Nicht nur dafür ist sie bei den Brit Awards 2021 nominiert, auch in den Kategorien „Best Solo Female Artist“ und „Breakthrough Artist“ winken Auszeichnungen. Aufgewachsen ist die britische Musikerin im Londoner Stadtteil Hammersmith, mit Jazz-Platten im Ohr, die ihr Vater zu Hause auflegt. Als Teenager bringt sie sich Akkorde auf der Akustik-Gitarre bei und untermalt ihre Gedichte, die sie schon als Kind in Notizhefte kritzelt. In Arlo Parks’ Bücherregal finden sich große Namen, die ihr Schreiben beeinflusst haben: Zadie Smith, Sylvia Plath, Audre Lorde, Virginia Woolf oder Pat Parker. Sie alle kommen in und zwischen den Songzeilen auf „Collapsed In Sunbeams“ vor.
Die Schwarze, feministische Dichterin und Aktivistin Pat Parker beispielsweise hat die junge Musikerin zum Stück „Green Eyes“ inspiriert. „My Lover Is A Woman“ heißt das ursprüngliche Gedicht, in dem Parker über den täglichen Kampf als queere Person of Color zwischen Homofeindlichkeit und Rassismus schreibt. „Felt their eyes judgin’ our love and beggin’ for blood“, singt Arlo Parks drei Jahrzehnte nach dem Tod der Poetin. Ihre eigene Bisexualität macht die Newcomerin nicht nur hier zum Thema. In „Eugene“ verschwimmen die Grenzen zwischen bester Freundinnenschaft und erstem Verliebtsein. Der Aufprall ist allerdings hart, wenn die ersten großen Gefühle nicht auf Gegenseitigkeit beruhen.
Kennt man die schriftstellerischen Pfade, auf denen Parks wandert, ist es wohl kein Wunder, dass „Collapsed In Sunbeams“ ein vertontes Poesiealbum geworden ist. Unter dieser Prämisse beginnt die Platte mit dem titelgebenden Spoken-Word-Stück, in dem gleich zu Beginn von Selbstakzeptanz die Rede ist. Dass dies auch immer mit dem Eingestehen der eigenen vermeintlichen Schwächen einhergeht, wird auch in den restlichen elf Tracks hörbar: Das Album feiert Verletzlichkeit als vielleicht größte Superpower der Gegenwart, vor allem der „Super Sad Generation“, wie auch die erste EP 2019 heißt.
In den Songs liefert Parks immer wieder Projektionsfläche für das Aufwachsen in einer Gesellschaft, die durch das Scheitern des Neoliberalismus geprägt ist. Ein ausbeuterisches System, das krank macht. Arlo Parks fängt diese zerfallende Welt zwischen Social-Media-Perfektionismus, Depression und Angststörungen ein und verwandelt sie in bittersüßen Pop, der sich aus smoothen Harmonien, stolpernden Lo-Fi-Beats und softem R’n’B speist. In ihrer Stimme steckt Wärme, mit der die Singer-Songwriterin genau die richtige Art von Nähe herstellt. Die einen nennen das authentisch, die anderen sehen darin eine strahlende Identifikationsfigur. Und Arlo Parks? Die ist vielleicht einfach nur sie selbst.