Boygroup war gestern: Auf Youtube machen sich Mädchen heute selbst zum Star. Von BRIGITTE THEIßL
Rund viertausend Mädchen drängen an einem Samstagnachmittag in die Shoppingcity Seiersberg nahe Graz, um sich ein Selfie mit ihrem Idol abzuholen. Doch noch bevor Bibi mit der für 17 Uhr angesetzten Autogrammstunde beginnt, bricht die Polizei die Veranstaltung ab – dem Ansturm der „Bibinators“ sahen sich die Sicherheitskräfte nicht gewachsen.
Bibi, das ist Bianca Heinicke, Videobloggerin – und zwar eine der beliebtesten im deutschsprachigen Raum: Ihren Youtube-Kanal „Bibis Beauty Palace“ haben rund 2,5 Millionen Menschen abonniert. In Medienberichten wird die 22-Jährige aus Köln gerne als Studentin oder „Youtuberin“ geführt, aber sie ist vor allem eines: erfolgreiche Unternehmerin. Auf dem Cover des „Bravo“-Magazins, auf dem in den 90er-Jahren noch vorrangig Bands wie Take That oder die Spice Girls zu sehen waren, hat Heinicke bereits einen Stammplatz, Sony brachte vor Kurzem ein eigenes Bibi-Smartphone auf den Markt.
Fernsehen war einmal. Das „Bravo“-Cover spielt heute allerdings eine untergeordnete Rolle. Während noch vor zwanzig Jahren rund 1,4 Millionen Exemplare des Jugendmagazins verkauft wurden, waren es im dritten Quartal 2015 nicht einmal 173.000 Stück. Printmedien haben in der jungen Zielgruppe ebenso an Bedeutung verloren wie das Fernsehen. Bei der täglichen Nutzungsdauer hat das Internet im Segment der 14- bis 29-Jährigen das Fernsehen längst überholt (233 zu 128 Minuten). Zum Vergleich: 2014 haben die Deutschen immer noch doppelt so lange ferngesehen wie im Internet gesurft. (1) „Vom Beliebtheitsgrad her kann man durchaus behaupten, dass Youtube die Funktion des Fernsehens übernommen hat“, sagt Martina Schorn vom Wiener Institut für Jugendkulturforschung auf an.schläge-Anfrage. Die meist kurzen Beiträge auf der Video-Plattform seien unter anderem deshalb so beliebt, weil diese „als Medium nebenbei konsumiert werden können und eine geringere Aufmerksamkeitsspanne abverlangen als Filme oder Fernsehserien“.
Shopping und Candy. Die Inhalte, die Videoblogging-Stars wie Bibi oder die stets perfekt gestylte und gut gelaunte Dagi Bee auf ihren Kanälen bieten, lassen sich am ehesten in die Kategorie Lifestyle einordnen. Auch wenn Bibi einen „Beauty Palace“ betreibt, liefert sie nur noch selten Make-up-Tipps oder Frisuren-Tutorials. Weit häufiger filmt sie sich gemeinsam mit ihrem Freund oder Vlogging-KollegInnen bei angesagten „Challenges“: vermeintliche Mutproben wie scharfe Süßigkeiten aus dem Asia-Supermarkt zu essen oder sich Haushaltsgegenstände an den Kopf zu kleben. Nilam Farooq alias Daaruum, die auch als Schauspielerin in deutschen Krimiserien auftritt, nimmt ihre ZuseherInnen auf Reisen nach Südafrika oder in die USA mit. In einem ihrer erfolgreichsten Videos aus New York präsentiert sie ihren Lebensmitteleinkauf aus dem Whole-Foods-Biomarkt. Sogenannte Hauls, also die „Beute“ von ausgiebigen Shopping-Touren, sind der Renner auf Youtube, ebenso beliebt sind „Unboxing“-Videos, in denen VloggerInnen vor der Kamera etwa das eben gekaufte iPhone oder ihre neueste Glossybox (2) auspacken.
Umfassende geschlechtsspezifische Daten zu Vlogs auf Youtube gibt es nicht, es falle aber auf, dass „Mädchen Youtube stärker für Lifestyle-Themen nutzen, während für Burschen der Spaßfaktor im Vordergrund steht“, sagt Jugendforscherin Schorn. Solche Spaßmacher sind etwa das männliche Comedy-Trio Y-Titty das über drei Millionen AbonnentInnen hat und vorwiegend Pop-Hits parodiert. Der ebenso beliebte Vlogger LeFloid hingegen kombiniert Soft News mit Unterhaltung und traf im Sommer auf eine sehr prominente Interviewpartnerin: Angela Merkel. Auch die Politik hat mittlerweile erkannt, dass sich auf Youtube eine Zielgruppe adressieren lässt, die über traditionelle Medien zunehmend schlechter zu erreichen ist.
Gemeinschaftsgefühl. Die Youtube-Stars besitzen zudem eine ganz besonders wertvolle Währung: Glaubwürdigkeit. Auch wenn Bibi nicht mehr wirklich das „Mädchen von nebenan“ ist, vermittelt sie in ihren Videos aus dem heimischen Wohnzimmer eine Authentizität, die FernsehmoderatorInnen oder Popstars fehlt. Die selbst ernannten „Bibinators“ haben das Gefühl, am Leben ihres Idols teilzuhaben – dazu gehört auch Bibis Beziehung zu Freund Julian Claßen, der in vielen Videos auftaucht, und mittlerweile einen eigenen Kanal betreibt. Ihre Follower – überwiegend Mädchen zwischen zehn und fünfzehn Jahren – tauschen sich auf Social-Media-Kanälen wie Twitter, Instagram oder Whatsapp über die gemeinsame Fanliebe aus, auch persönliche Treffen werden immer wieder organisiert. „Bibi muntert mich auf, wenn ich traurig bin“, erzählt eine Elfjährige bei einer Fan-Veranstaltung in Bremen.
Dass Bibinators oder Dagi-Bee-Fans ein besonders beliebtes Ziel von Spott im Netz sind, macht einen sexistischen Bias deutlich: Wenn männliche Youtuber stundenlang vor der Kamera Games wie Minecraft spielen und das tausendfach kommentiert wird, fühlt sich kaum jemand bemüßigt, diese Community ins Lächerliche zu ziehen.
Klingende Kassen. Dass Youtube-Stars jedoch nicht nur für ihre Fans interessant sind, liegt auf der Hand: An kaum einem anderen Ort lässt sich die für die Werbung so interessante jugendliche Zielgruppe derart treffsicher erreichen. Das deutsche Unternehmen Mediakraft vermarktet ein riesiges Netzwerk an VloggerInnen, Geld wird vorrangig mit Werbeclips und Product-Placement verdient. Diese Geschäftspraktiken stehen in der Kritik. Jan Böhmermann rechnete in seinem „Neo Magazin Royale“ im ZDF vor, wie viel Bibi und ihr Management potenziell mit einer von ihr beworbenen Marken-Armbanduhr verdienen, die mit einem Preis von 250 Euro das Budget der durchschnittlichen Jugendlichen bei Weitem übersteigt. Mit Schleichwerbung „13-Jährigen das Geld aus der Tasche ziehen“ nennt das der Fernsehmoderator. Doch über genaue Summen spricht man in der Branche ungern – Youtube, Teil des Google- Konzerns, und die Vlogging-Szene hüllen sich in Schweigen.
Teenie-Talente. Besonders eng arbeitet die Kosmetikbranche mit Videobloggerinnen zusammen. Die Anzahl an Beauty-Kanälen ist kaum noch überschaubar und auch wenn bislang nur wenige davon leben, können Mode- und Kosmetikblogs für junge Frauen den Schritt in die Selbstständigkeit bedeuten. Die professionelle Kommunikation über verschiedene soziale Netzwerke und gekonntes Eigenmarketing haben diese Jungunternehmerinnen bereits im Teenie-Alter erlernt. „Das Internet ist Informations-, Kommunikations- und Unterhaltungsmedium gleichermaßen und ist in allen Lebensbereichen Jugendlicher eingebettet“, bringt es Martina Schorn auf den Punkt. Doch nicht nur Lippenstifte und Gesichtsbürsten werden verkauft. Die 18-jährige Bree Farmer erklärt auf ihrem Youtube-Channel „Precious Star Pads“ unglaublich eloquent, wie eine Menstruationskappe richtig einführt wird oder Trans-Frauen eine Monatsblutung simulieren können. Ihr Unternehmen hat sie bereits mit 15 aufgebaut, die zunächst selbst hergestellten Stoffbinden bald um andere wiederverwendbare Menstruationsprodukte erweitert. Vor der Kamera wirkt Bree, als hätte sie niemals etwas anderes gemacht – es ist die Medien- und Selbstdarstellungskompetenz der Digital Natives.
(1) Grunddaten Jugend und Medien 2015. Internationales Zentralinstitut für das Jugend- und Bildungsfernsehen. Online: www.br-online.de/jugend/izi/deutsch/Grundddaten_Jugend_Medien_2015.pdf
(2) Kosmetikproben im monatlichen Abo