Frauen sind doppelzüngige Lästerbacken, wahre Freundschaft ist männlich, lautet ein bis heute wirkmächtiges uraltes Vorurteil. Stimmt natürlich nicht, sagt LEA SUSEMICHEL. Für eine Politik der Freundinnenschaft.
„Friends“ heißt die Lego-Serie in Pink und Lila, die es eigens für Mädchen gibt. Für gewöhnlich sind es auch Mädchen und nicht Jungs, die zueinander zärtlich „BFF“ (Best Friends Forever) sagen. Danach knüpfen sie Freundschaftsbänder nach Anleitung der „Bravo“, in der es für sie obendrein Ratschläge gibt, wie innige Mädchenfreundschaften die Konkurrenz durch den ersten Boyfriend überleben. Eine seit Jahrzehnten bestehende deutsche Frauenzeitschrift nennt sich „Freundin“ und verkauft damit ebenfalls erfolgreich das Gefühl von Vertrauen, Vertrautheit und Verbundenheit. Romane wie Ratgeberliteratur reproduzieren begleitend das zugrundeliegende Klischee, wonach Mädchen und Frauen fürs Gefühl zuständig seien und deshalb die intensiveren Freundschaftsbeziehungen leben würden, während Männer sich zwischenmenschlich weiterhin einfach nicht richtig öffnen könnten. Pop- und Alltagskultur liefern also scheinbar jede Menge Vorlagen, um weibliche Freundinnenschaft zu feiern. Doch bei näherer Betrachtung stellt sich überraschenderweise heraus: Freundschaft ist dennoch ein kulturell zutiefst männliches Konzept.
Barbie statt Buddy. Was die Popkultur neben einem Freundinnenmodell wie jenem von „Sex and the City“ nämlich nicht nur in Blockbustern und Fernsehserien tatsächlich anbietet, sind vor allem Stereotype rivalisierender Nachbarinnen und zänkischer „Vorstadtweiber“, die in gehässiger Weise übereinander herziehen und sich miteinander ausschließlich über Männer unterhalten oder gar um sie streiten. Der sogenannte Bechdel-Test zeigt: Filme, in denen es erstens mindestens zwei Frauenrollen mit Namen gibt, diese Figuren zweitens miteinander sprechen und drittens sogar über etwas anderes als einen Mann, sind weiterhin die Ausnahme. Die klassischen Buddy-Movies hingegen, in denen zwei Menschen miteinander durch dick und dünn gehen, sind meist rein männlich besetzt. (Rare Gegenbeispiele sind etwa der grandiose Roadmovie „Thelma und Louise“ und die herzzerreißende 1980er-Schmonzette „Freundinnen“ mit Bette Middler.) Bereits Kinder werden deshalb paradoxerweise parallel zum Glitzerherzchen-Freundinnenkult früh an die perfide Bedeutung des vielbeschworenen „Zickenkriegs“ herangeführt und ins Biestigsein eingeübt: Schon in der Barbie-Zeichentrickserie werden Mädchen und Frauen als intrigante Schlangen inszeniert.
Freundschaft! Das Motiv von Missgunst unter Frauen hält sich hartnäckig. Ende des 19. Jahrhunderts schrieb Friedrich Nietzsche: „Noch ist das Weib nicht der Freundschaft fähig“, und an dieser Einschätzung scheint sich offenbar wenig geändert zu haben. Historisch waren Treue, Loyalität und Pflichtbewusstsein traditionell assoziierte Attribute von Freundschaft, die dementsprechend männlich entworfen wurde. Gefühle standen dabei lange nur an zweiter Stelle. So unterscheidet auch Siegfried Kracauer in seinem Werk „Über die Freundschaft“ die reine „Gemütsfreundschaft“ streng von geistiger Verbundenheit, die für ihn wahre Freundschaft auszeichnet. Wir ahnen es: Frauenfreundschaften rechnet Kracauer zur ersten Kategorie.
Auch der seit Ende des 19. Jahrhunderts gebräuchliche sozialistische „Freundschaftsgruß“ weist in diese Richtung. Wer sich mit einem gebrüllten „Freundschaft!“ begrüßt, appelliert nicht ans zärtliche Gefühl, sondern an politisches Gewissen und Gesinnung. Von der Männerfreundschaft zum Männerbund ist es dann kein weiter Weg mehr.
Üble Nachrede. Der Vorwurf weiblicher Gefühlsduselei statt Brüderlichkeit und guter Kameradschaft erscheint jedoch fast harmlos im Vergleich mit dem wirkmächtigsten Vorurteil zur Beziehung zwischen Frauen: Frauen seien einander die größten Feindinnen. Trotz des vordergründigen Freundinnenfetischs könne es loyale, solidarische und stabile freundschaftliche Beziehungen zwischen Frauen folglich nicht geben, unweigerlich käme ihnen ihre Intriganz, Lästersucht und der ständige Konkurrenzkampf dazwischen.
Soll dies entkräftet werden, muss zunächst klargestellt werden, dass es selbstverständlich Frauen gibt, die sich bösartig das Maul zerreißen, kaum ist die Tür hinter der vermeintlichen Freundin ins Schloss gefallen. „Klatsch ist das Opium der Unterdrückten“, schreibt Erika Jong im feministischen Klassiker „Angst vorm Fliegen“. Schließlich dient das Lästern den sonst Wehrlosen auch als vielfältig einsetzbare Waffe.
Doch grundsätzlich muss dem Klischee vom „Zickenkrieg“ entschieden entgegengehalten werden: Strukturell ist Konkurrenzkampf ein Problem (oder mitunter auch ein Privileg), das vorrangig Männer miteinander haben – und das auch die Form ihrer Freundschaft prägt. Frauen sind auf Konfliktlösung und nicht auf offenen Krieg konditioniert. Psychologisch wie soziologisch lässt sich daher zeigen, dass es eher Männer sind, die ein tiefsitzendes Misstrauen gegen Geschlechtsgenossen hegen und sich im ständigen Konkurrenzkampf mit ihnen wähnen. „Freundschaft scheint für einige Männer ein Ort zu sein, der analog zur Geschäftswelt und zu einer Welt des Kampfes strukturiert ist“, stellen Renate Valtin und Reinhard Fatke in ihrer geschlechtssensiblen Studie zu Freundschaft und Liebe (1) fest: „Frauen stellen im Vergleich zu Männern höhere Ansprüche an Bindung, Intimität, Selbstenthüllung und emotionale Unterstützung in ihren Freundschaftsbeziehungen.“ In männlichen Freundschaftsmodellen scheint Offenheit hingegen häufig mit der Angst verbunden zu sein, die Preisgabe intimer Details könne gegen sie verwendet werden.
Sieht man sich die klassisch männliche Beziehungspflege an, werden Freundschaften häufig eher zur Erhöhung des eigenen Sozialprestiges oder als Karrierenetzwerk gepflegt. Ein Balanceakt, denn ein großer Erfolg im Freundeskreis schmückt zwar auch mich selbst, kann aber gleichzeitig das Ego empfindlich treffen. „Erfolgreiche Freunde, Geißel der Menschheit …“, heißt es bei Tocotronic.
Seite an Seite? Empirische Studien der „Social-Support“- und Freundschaftsforschung zeigen, dass Frauenfreundschaften verbreiteter, intensiver und beglückender sind als Männerfreundschaften, Frauen ihre Freundschaften wichtiger nehmen und diese auch mehr konkreten Beistand bedeuten als zwischen Männern, so der Psychologe Horst Heidbrink (2). Heidbrink unterteilt freundschaftliche Beziehungen in häufig von Frauen geführte „Face-to-Face-Freundschaften“, in denen es um aufmerksamen, intensiven Austausch geht, sowie die von Männern bevorzugten „Side-by-Side-Freundschaften“, in denen nicht Gespräche, sondern gemeinsame Aktivitäten wie Sport im Vordergrund stehen.
Ein veritables Hindernis für innige Männerfreundschaft ist außerdem Homophobie. Denn während auch Freundinnen durch die Stigmatisierung als Lesben abgewertet wurden (und werden), ist körperliche Nähe und der Austausch von Zärtlichkeiten zwischen Männern noch weit stärker tabuisiert. Wie bereits der Begriff „Busenfreundin“ verdeutlicht, wird Frauen körperliche, auch homoerotische Intimität eher zugestanden.
Bei solchen Vergleichen muss allerdings unbedingt klar sein, dass es sich bei diesen „weiblichen“ und „männlichen“ Modellen von Freundschaft um tradierte soziokulturelle Konstruktionen handelt, die keinesfalls in essentialistischer Weise notwendig an eine biologische Geschlechtsidentität gebunden sind. Weshalb es z. B. selbstredend auch jede Menge übel tratschender Männer und bis aufs Blut konkurrierender Frauen gibt. Frauen dürfen außerdem keineswegs als frei von Häme und ihre FreundInnenschaften auch nicht als Ort ständiger Harmonie und wechselseitiger Empathie glorifiziert werden – das sind sie nämlich definitiv nicht.
Zudem blenden diese Typisierungen klassenspezifische und ethnokulturelle Eigenheiten weitgehend aus und gründen sich auf ein sehr bürgerliches, heterosexuelles und auch weißes Konzept von Freundschaft. Wie zum Beispiel Queerness, Klassenzugehörigkeit oder ethnische Zuschreibungen Freundschaftserfahrungen prägen (was etwa den weißen „Kumpel“ vom Schwarzen „Bro“ unterscheidet oder wie Lesben ihre FreundInnenschaften beschreiben), wurde bislang bezeichnenderweise so gut wie nicht erforscht.
Doch die vielen Aspekte und Formen von Freundschaftsbeziehungen zwischen Frauen* gäben alleine mehr als genug für ein umfangreiches Forschungsprojekt her. Interessant wäre aber z. B. auch eine Analyse des dominanten Diskurses über die vermeintliche Unmöglichkeit gemischtgeschlechtlicher Freundschaften. Als unmöglich gelten sie nicht nur deshalb, weil sie dem gängigen Klischee zufolge unweigerlich im Bett enden (siehe „Harry und Sally“), sondern weil Männer und Frauen eben einfach aus „verschiedenen Welten“ kämen. Davon offenbar unbeeindruckt geben heterosexuelle Männer jedoch überraschend häufig an, ihre Partnerin sei zugleich ihr „bester Freund“, und Männer haben generell mehr gute Freundinnen als Frauen gute Freunde.
Big Boy Networks. Trotz all dieser Differenzierungen und der dürftigen Datenlage gibt es unterm Strich also genug Hinweise darauf, dass die wahren Freundschaftsexpertinnen Frauen* sind. Und auch wenn die patriarchale Kontrolle und die Isolation von Frauen im Bereich des Häuslichen und Privaten deren Kontakt und freundschaftlichen Austausch außerhalb der Familie lange Zeit tatsächlich sehr erschwert hat, gab es intensive Frauenfreundschaften zu allen Zeiten.
Spätestens seit der freundschaftsversessenen Romantik existieren zahlreiche Dokumente der damals ebenso entstandenen „Schwesternbünde“ sowie Zeugnisse von Brieffreundschaften zwischen Literatinnen und Künstlerinnen. Deren Würdigung ist ein riesengroßes Forschungsdesiderat. „Im Gegensatz zu den ‚Big Boy Networks‘, den männlichen Vernetzungen, Beziehungs- und Kommunikationsstrukturen“, schreibt die Historikerin Eva Labouvie, wüssten wir sehr „wenig über die Beziehungspflege und Kommunikationskulturen von und unter Frauen“.
„Frenemy“. Es sind bislang ausschließlich feministische Autorinnen und Theoretikerinnen, die sich an die Aufarbeitung dieser Lücke machen und gemäß dem feministischen Motto „Das Private ist politisch“ auch ihre persönlichen Beziehungen politisieren wollen. Bedauerlicherweise finden sich jedoch auch bei diesem feministischen Fokus auf Frauenbeziehungen viele Variationen des „women are each other’s worst enemies“-Motivs. So kommt etwa Nina Power in ihrem umstrittenen Buch „Die eindimensionale Frau“ zu dem Ergebnis, Frauen könnten im Kapitalismus keine Freundinnen sein. Ihr Blick aufeinander sei grausam und es gäbe nichts Schlimmeres als das wechselseitige Urteil von Frauen.
Ähnlich niederschmetternd argumentiert die nicht allein für ihre transfeindlichen Äußerungen scharf kritisierte radikalfeministische lesbische Aktivistin Janice G. Raymond. In „ A Passion for Friends: Toward a Philosophy of Female Affection“ schreibt sie, die patriarchale Rede vom Hass unter Frauen habe diesen tatsächlich heraufbeschworen. Raymonds Tiraden gegen den von ihr so genannten „Therapism“ bzw. die „Tyrannei der Gefühle“, die das psychologisierende Kommunikations- und Beziehungsverhalten von Frauen prägten, statt dass sich diese als Freundinnen tatsächlich unterstützen und politisch engagieren oder beruflich etablieren würden (eine durchaus diskussionswürdige These), münden wie auch bei Power leider in einer undifferenzierten Generalabrechnung, die vor Frauenfeindlichkeit strotzt.
Solidarität & Sisterhood. Doch es gibt daneben zum Glück auch den vielfachen Versuch, Freundinnenschaft als gelebte Solidarität und Sisterhood zu feiern – so existiert beispielsweise die Forderung, den Valentinstag in einen feministischen „Freundinnentag“ umzuwandeln. Frauenfreundschaft wird dabei als zentrale Ressource nicht alleine im gemeinsamen Kampf um Emanzipation, sondern vor allem fürs eigene Leben verstanden. So kann der FreundInnenkreis als Wahlfamilie dienen, die notfalls das Zwangssystem Verwandtschaft ersetzt und im Idealfall sogar soziale Sicherung bieten kann. Und abgesehen von der konkreten Unterstützung, die Freundinnen einander auf unterschiedlichen Ebenen zukommen lassen, sind sie in erster Linie eines: geliebte Gefährtinnen, die fürs eigene Glück unentbehrlich sind.
Insgesamt wird der Bedeutung von Freundinnenschaft jedoch viel zu wenig Aufmerksamkeit zuteil, daran hat selbst der jüngste „affective turn“ in den Geistes- und Sozialwissenschaften wenig geändert. Denn auch wenn der gesamte Bereich der „Gefühlsarbeit“ nun auch außerhalb der Gender Studies als wichtiger sozialer und politischer Faktor erkannt wurde, wird der Beitrag von Frauen dabei vornehmlich im Bereich reproduktive Arbeit bzw. Care-Arbeit verortet. Dabei wird analysiert, wie familiäre und freundschaftliche Fürsorgetätigkeiten und Liebesdienste von Frauen neoliberale Ausfälle kompensieren bzw. ihre affektive Arbeit sogar als Dienstleitung vermarktet wird.
Die poststrukturalistischen Figuren einer „Politik der Freundschaft“, wie sie im Anschluss an Jacques Derrida im Rahmen dieser „affective politics“ entworfen werden, scheinen hingegen insgeheim weiterhin ein eher männliches Konzept zu bleiben. Zumindest wurde die Rolle, die insbesondere Frauen – als die für soziale Beziehungen Hauptzuständigen – bei Widerstand und solidarisch-subversiver Vernetzung spielen, bislang wenig explizit zum Thema gemacht.
Gesundheit & Glück. Jaques Derrida entwickelt seine Philosophie der Freundschaft im Anschluss an Aristoteles, der bereits um 300 v. Chr. als erster die politische Dimension von Freundschaft hervorgehoben hatte, galt sie ihm doch als Garant für gesellschaftlichen Zusammenhalt und gute Ordnung. Allerdings stand für Aristoteles dabei die „Freundschaft unter Gleichen“ an höchster Stelle. Das derridasche Freundschaftskonzept betont hingegen gerade die Offenheit für Alterität, also – auch radikale – Andersheit. Diese Empfänglichkeit für die Erfahrungen und Lebensrealitäten anderer macht solch ein Freundschaftskonzept für die Bildung von Allianzen zwischen unterschiedlichsten Menschen so wertvoll.
Doch nicht nur politisch, auch privat scheint die Pflege von FreundInnenschaften für alle ratsam zu sein. Selbst die große Liebesforscherin Eva Illouz wendet sich neuerdings lieber der Freundschaft zu und lobt sie als das viel wertvollere Gefühl. Eine Studie will herausgefunden haben, dass regelmäßiger Kontakt mit guten FreundInnen sogar gesünder ist, als sich das Rauchen abzugewöhnen. Das gilt geschlechtsunabhängig. Wie übrigens auch das ausschlaggebende Kriterium, weshalb jemand als bester Freund oder beste Freundin bezeichnet wird: das gute Gefühl nämlich, von diesem Menschen in der eigenen Identität erkannt und respektiert zu werden.
(1) Renate Valtin / Reinhard Fatke: Freundschaft und Liebe. Persönliche Beziehungen im Ost/West- und im Geschlechtervergleich, Verlag Auer
(2) Horst Heidbrink: Face-to-Face und Side-by-Side: Frauen- und Männerfreundschaften. Ergebnisse der psychologischen Freundschaftsforschung, in: Eva Labouvie (Hg.): Schwestern und Freundinnen. Zur Kulturgeschichte weiblicher Kommunikation, Böhlau Verlag