Frauen, die in der Besatzungszeit von 1945 bis 1955 Beziehungen zu afroamerikanischen Soldaten führten und mit ihnen Kinder bekamen, wurden gesellschaftlich geächtet. Die Zeit- und Kulturhistorikerin Ingrid Bauer im Interview über Tabuisierung, rassistische Behörden und die schwierige Situation der Nachkommen. Von Vanessa Spanbauer
an.schläge: Die Beziehungen zwischen afroamerikanischen Soldaten und Österreicherinnen waren ein emotional aufgeladenes Thema und dann lange tabuisiert – wie hat sich das gezeigt?
Ingrid Bauer: In meinen frühen Forschungen zur Besatzungszeit ist in Oral-History-Interviews immer wieder der Satz gefallen: „Damals hat es ja viele so Ami-Flitscherl gegeben.“ So wurden Frauen verächtlich genannt, die Beziehungen zu US-Besatzungssoldaten eingegangen sind. Und besonders empört war von den sogenannten „Chocolate Girls“ die Rede, die sich, wie es hieß, „sogar mit den N* eingelassen haben“. Diese Kontakte wurden nicht nur vor dem Hintergrund der damaligen bürgerlich-katholischen Moralvorstellungen abgelehnt. Auch rassistische Tabus haben dabei eine Rolle gespielt. Für mich als Historikerin, die aus der Frauen- und Geschlechterforschung kommt, war das eine Spur, der ich kritisch nachgegangen bin. Und dabei hat mich vor allem die Perspektive der Frauen interessiert – jenseits der diskriminierenden Urteile weiter Teile der Bevölkerung.
Sind Sie so zum Thema der Besatzungsbeziehungen gekommen?
Ja, und das reicht weit zurück, rund um 1995 – fünfzig Jahre Ende Zweiter Weltkrieg, vierzig Jahre Ende der Besatzung – war allgemein viel Forschungselan da und ich selbst habe ein großes Oral-History-Projekt gestartet zum Verhältnis zwischen der heimischen Bevölkerung und den amerikanischen Besatzern bzw. Befreiern. Aus den Interviews haben sich dann eben ganz neue Themen heraushören lassen, und auch Besatzungskinder haben sich erstmals zu Wort gemeldet.
Welche Themen waren das?
Sexualität und Liebe in Zeiten von Krieg und Besatzung wurde zu einem großen Thema. Natürlich spielt da auch Gewalt und Prostitution eine Rolle. Aber auch, dass – vor allem junge, ledige – Frauen selbst die Wahl treffen und das sogar mit Blick auf die fremden Männer tun, die nun im Land sind. Damit haben sie traditionelle Frauenbilder und nationale Erwartungen durchkreuzt. Diese Beziehungen jenseits der Norm haben mich besonders interessiert. Ich habe mich auf die Suche gemacht und Frauen gefunden, die mir davon erzählt haben, dass für sie plötzlich ein Hauch von Freiheit in der Luft lag und dass in den Begegnungen, die sich da angebahnt haben, ein neues Lebensgefühl aufkam. Die Kontakte zu heimischen Männern waren zum Teil sehr vom Krieg belastet. Da waren unbeschwerte, die Erotik eines „Siegers ohne Marschtritt“ ausstrahlende Fremde attraktiv – von Flirts über Sexualität und Liebe für die Dauer der Stationierung bis hin zu mehreren Tausend Eheschließungen, wenn auch vorwiegend mit weißen US-Soldaten.
Welche Rolle spielten Schwarze Besatzungssoldaten?
Für diese Generation war es vielfach das erste Mal, dass plötzlich Schwarze Männer auftauchen, und spannenderweise hat da die rassistische Ideologie der Jahre davor nicht mehr ganz gegriffen. Manche Frauen haben sich zu den afroamerikanischen Soldaten besonders hingezogen gefühlt. Haben sie als höflich, warmherzig, kinderlieb erlebt, als fürsorgliche Begleiter in der schwierigen Nachkriegszeit. Aus den Erzählungen kommt auch die Faszination für afroamerikanische Musik und Tänze heraus. Es gab einen Hunger nach Leben und Liebe. Die Gesellschaft hat sich jedoch geweigert, sich vorzustellen, dass hier Liebe möglich ist. Es gab den Generalverdacht der Prostitution.
Gab es eine Diskriminierung solcher Beziehungen auf behördlicher Ebene?
Die US-Armee hat Anträge Schwarzer Soldaten auf Eheschließung fast immer abgelehnt. Das hatte auch damit zu tun, dass in weiten Teilen der USA damals noch Segregation und ein Verbot der Heirat zwischen Schwarzen und weißen Menschen galt. Besonders wenn es zu Schwangerschaften kam, wurden die Soldaten oft einfach unangekündigt versetzt. Manchmal wussten sie nicht einmal etwas von ihren Kindern. Weil die Kinder unehelich waren, war für sie das Jugendamt zuständig, eine Behörde, die nicht unterstützend, sondern voll von rassistischen Vorurteilen war – gegen die Kinder wie gegen die Mütter.
Was hat das für die Frauen bedeutet?
Die Diskriminierung in der Gesellschaft setzte voll ein, wenn die Frauen schwanger wurden und die Familie mit ihnen gebrochen hat. Spätestens jetzt wurde klar, dass wegen der rassistischen Tabus auf beiden Seiten des Ozeans ihre hoffnungsvoll gestartete Beziehung keine Zukunft hat. Mitunter hat die Liebe sogar ins soziale Abseits geführt. Die Mütter waren meist auf sich alleine gestellt. Einen Anspruch auf Unterhaltszahlungen gab es nicht. Manche standen überhaupt ohne Einkünfte da, weil sie auch keinen Job mehr fanden. Einige waren noch sehr jung und völlig überfordert. Nicht selten haben die Behörden den Müttern nahegelegt, die Kinder in die USA zur Adoption freizugeben. Manche haben das auch getan, aus Angst vor den Konsequenzen eines Lebens mit Schwarzem Kind.
Wie ging es den Kindern? Was erzählen sie über ihre Mütter?
Die „weiße“ Nachkriegsgesellschaft hat ihnen Anerkennung und Zugehörigkeit verweigert. Manche haben erzählt, wie sehr ihre Mütter, oder auch Großmütter, gekämpft haben, um sie vor Diskriminierung zu schützen. Andere sind ohne Rückhalt aufgewachsen, in Heimen oder auf Pflegeplätzen. Das hat Wunden hinterlassen. Ebenso die große Unwissenheit, was die eigenen Wurzeln betrifft. Die Mütter haben meist nicht viel über den Vater und ihre Beziehung zu ihm gesprochen. Manchmal war ein Foto vorhanden oder der Name und der Dienstgrad des Vaters. Manche haben sich auf die Suche nach ihm gemacht. Andere konnten durch Fürsorgeakten noch etwas herausfinden und haben dann sogar Geschwister gefunden. Schwierig war auch die Suche nach der eigenen Identität. „Wo gehörst du hin, wenn du nicht weiß und nicht Schwarz bist?“ Es gab kaum Vorbilder. Die Ausstellung „SchwarzÖsterreich – Die Kinder afroamerikanischer Besatzungssoldaten“ im Volkskundemuseum aus dem Jahr 2016 hat viel zu diesem tabuisierten Thema sichtbar gemacht und Vernetzung geschaffen, denn die Betroffenen glaubten lange, allein mit ihren Erfahrungen zu sein.
Die Forschungen der letzten Jahre haben wichtige Impulse setzen können für ein neues Selbstverständnis und für Empowerment: Die „Kinder“ von damals – sie sind heute Frauen und Männer in ihren Siebzigern – fühlen sich endlich gesehen und gehört und können auch die schwierige Situation ihrer Mütter besser verstehen. Das Schweigen wurde gebrochen. Das zeigt, dass durch Forschung nicht nur Wissen generiert, sondern auch konkret etwas verändert werden kann. •
Ingrid Bauer arbeitet gemeinsam mit Philipp Rohrbach u. a. im Forschungsprojekt „Lost in Administration“ zu den Beziehungen von Österreicherinnen und afroamerikanischen Soldaten und deren Kindern. Sie haben dazu kürzlich ein Themenheft der Zeitschrift „zeitgeschichte“ (1/2021) herausgebracht.