Beim Bemühen um geschlechtergerechte Sprache hat nach Binnen-I, Unterstrich und Sternchen nun der Doppelpunkt Konjunktur. Was spricht wofür? Luise F. Pusch und Katharina Meyer zu Eppendorf präsentieren ihre Lösungsvorschläge und Lieblingsvarianten.
Bezüglich der „Sichtbarkeit aller möglichen Geschlechter“ habe ich mehrere Ansichten.
Zuerst die linguistische: Es war von Anfang an ein (linguistischer) Fehler der feministischen Community, auf die Beidnennung („Lehrer und Lehrerinnen“) zu setzen. Das passt für das Englische, wo das generische „he“ durch „she or he“ ersetzt wurde, von dort wurde es aber ungeschickterweise und ohne einen Funken linguistischer Umsicht auf das Deutsche übertragen. Was wir eigentlich brauchen, sind echte neutrale Formen, die sämtliche Geschlechter meinen.
Zweitens meine feministische Ansicht: Da die Beidnennung für das Deutsche keine Lösung ist und unausweichlich zu Aporien führt, plädiere ich für das umfassende bzw. generische Femininum und erkläre es für geschlechtsneutral. Was das generische Maskulinum angeblich kann, muss gerechterweise auch dem generischen Femininum zugebilligt werden. Und wenn das generische Femininum geschlechtsneutral ist, sind auch alle anderen Geschlechter damit gemeint, queer, non binary, genderfluid, transgender.
Drittens meine politische Ansicht: Die Queer-Community stieg in die Debatte ein, nachdem die Beidnennung und das große I als Abkürzung derselben sich weitgehend durchgesetzt hatten. Zwei Geschlechter genügen ihnen verständlicherweise nicht, also wollten sie einen dritten Raum öffnen. Dieser Raum wurde zuerst symbolisiert durch den Unterstrich: Leser_innen. Der Unterstrich ist inzwischen aus der Mode. Stattdessen wird der Genderstern favorisiert: Leserinnen. Doch auch der Genderstern zerreißt die Personenbezeichnungen in drei Teile: den maskulinen Stamm, den Genderstern und die feminine Endung.
Die Probleme im Singular bleiben alle erhalten bzw. sie werden noch schlimmer, vgl. Sätze wie „Nicht jeder Schriftstellerin schreibt unter seinem/ihrem* eigenen Namen.“
Ich habe einen Kompromiss vorgeschlagen: Der Genderstern und das Binnen-I werden fusioniert zu einem kleinen i mit Sternchen drüber anstelle des I-Tüpfelchens. Bis sich diese Form auf unseren Tastaturen etabliert hat, benutzen wir Ersatzformen wie „Leser!nnen“, „Leser?nnen“, „Leserînnen“, „Leser:nnen“ oder auch „Leser1nnen“. Die lästigen Verdoppelungen oder Verdreifachungen im Singular werden dadurch gelöst, dass die neuen Formen im Singular als grammatisch feminin interpretiert werden; es gelten die üblichen Kongruenzregeln, genau wie für das generische Maskulinum: Jede eingefleischte Leser!n pilgert zur Frankfurter Buchmesse.
Luise F. Pusch ist feministische Sprachwissenschaftlerin. Gemeinsam mit Senta Trömel-Plötz gilt sie als Begründerin der feministischen Linguistik in Deutschland.
Als ich vor vier Jahren in der Ticket-Lotterie des Fusion-Festivals gewann, hätte ich nicht gedacht, dass ein paar Jahre später Zeitungen, Universitäten oder sogar Stadtverwaltungen mit dem Doppelpunkt gendern würden. Ich war damals noch Politikstudentin in Marburg und hatte den Doppelpunkt in der Benachrichtungs-Mail des Festivals entdeckt. „Liebe glückliche Gewinner:innen“, hieß es darin. Ich war glücklich. Erst über die Möglichkeit, bald auf der Fusion zu tanzen, dann über eine augenscheinlich sehr viel ästhetischere Möglichkeit, gendergerecht zu schreiben.
Ich bin der Überzeugung, dass es wichtig ist, dass Sprache und damit das Mittel, mit dem wir die Welt beschreiben, so präzise wie möglich ist. Allein aus diesem Grund gibt es für mich kein logisches Argument gegen gendersensible Sprache. Ihre Gegner:innen haben meist, ob unbewusst oder bewusst, politische Gründe. Machterhalt z. B. Denn wenn man Frauen oder trans Menschen weiter hinter Sprache verschwinden lässt, muss man ihnen vielleicht auch in anderen Lebensbereichen nicht so bald Zugeständnisse machen.
Ich bin ehrlich – das Gender-Sternchen, das ich im Studium in jeder Hausarbeit benutzt habe, habe ich trotzdem nie wirklich gemocht. Studentinnen, Freundinnen, Träumer*innen: Der Stern zog das Wort immer so weit auseinander, dass mancher Text so aussah, als hätte man Tinte über ihm ausgekippt. Oder Wörtern die Buchstaben aus dem Leib gerissen. Mit dem Doppelpunkt war das plötzlich anders. Der Doppelpunkt brauchte nicht viel Platz. Der Doppelpunkt hielt seine Worte zusammen. Der Doppelpunkt achtete die Präzision und sah trotzdem gut dabei aus.
Man kann nun finden, dass es andere Satzzeichen gibt, die noch viel schöner sind. Eine befreundete Grafikerin gendert z. B. mit dem ï, schreibt also Kollegïnnen. Man kann auch finden, dass es in politischen Dingen nicht um Ästhetik gehen darf. Man gendere schließlich nicht zum Spaß, sondern um auf marginalisierte Gruppen aufmerksam zu machen.
Ich bin überzeugt, dass es eben jene Feinjustierungen sind, die es geschafft haben, die Debatte um gendersensible Sprache endlich zu öffnen, ohne ihr die Existenz abzusprechen. Sobald man über das „Wie“ streitet, hat man einen gemeinsamen Konsens. Gibt es einen größeren Erfolg?
Katharina Meyer zu Eppendorf arbeitet als Redakteurin bei „ZEIT Campus“ und als freie Reporterin. Sie schreibt über Aktivismus, Feminismus und Popkultur.
1 Kommentar zu „Aus dem Wort reißen“
Persönlich nutze ich in der Schriftsprache “Punktierungen” um geschlechtergerecht zu schreiben – sofern geschlechtsneutralisierende Formulierungen nicht angemessener sind. (Zum Letzeren … TOR Online: Geht das auch in schön? – 9 Tipps für geschlechtsneutrales Schreiben in Romanen.)
Die wesentlichen Gründe für meine Verwendung der Punktierung sind:
A) Die Anschlussfähigkeit an die semiotisch-semantische Bedeutung des Colons bzw. von Interpunktion.
Beispiel: “Ich kann den Satz hier beeenden. Die folgende Ergänzung jedoch kann ganz wesentlich und nicht trivial für das Verständnis sein. Und damit ist gut.”
B) Mit der Form wird Geschlecht und Geschlechtlichkeit in seiner Einfalt und seiner Vielfalt kritisiert. Der innere Widerspruch der nichtbinären Binarität wird deutlich. Die Lesenden können sich selbst ihre Form zusammenpuzzlen.
“Beamt.inn.en” wäre ein so gegendertes Wort. Oder auch: “Jede.r”.
… wer den “generischen Maskulin” zurückhaben will, streicht mental, was er nicht braucht. Der Punkt gibt da Orientierung.
… Personen, die dem generischen Feminin (bzw. inkludierenden Langformen) zugetan sind, können die Punkte einfach überlesen.
… wenn binäre trans Leute oder intergeschlechtliche Personen, die sich als Frau oder Mann verstehen, sich mit irgendwelchen Punkten identifizieren wollen, können sie das tun oder eben eine der beiden oberen Lesarten verwenden.
… nichtbinäre Personen (ob genderqueer, im trans oder intergeschlechtlichen Spektrum) können die Punktierungen für sich in Anspruch nehmen. Auch hier bleibt es beim Angebot.
Mit dem Colon ist auch gemeint, dass Geschlechtergrenzen Interpunktionen im Mensch-Sein sind. Es sind Differenzierungen, die auf Biologie, Identitäten und sozialen Zuschreibungen beruhen. Das gilt für endo- und intergreschlechtliche, für cis- und transgeschlechtliche, für binäre und nichtbinäre Menschen gleichermaßen. In der Realität ist Geschlecht auf allen Ebenen (Biologie, Psychologie, Soziales) komplex und kompliziert. Universell ist nur, dass Grenzen fließend sind. Daher hat jede geschlechtliche Bestimmung auch etwas Arbiträres. Die Colons im Schriftbild wollen abbilden, dass wir Differenzierungen wollen und brauchen, sie aber nur bedingt und unter gewissen Verrenkungen herstellen können.
Das Schriftbild kann aber auch einfach bloß gelesen werden. Ohne viele Gedanken. Mit dem eigenen Vorverständnis. Ein Colon ist schließlich kein großer Eingriff, kein seltenes Sonderzeichen. Es ist auch keine aus dem Rahmen fallende plötzliche Großschreibung.
Persönlich:
Zur Not kann ich mich auch auf andere Schreibweisen einlassen. Bei Texten in generisch gemeinten Binär-Formen, überlege ich mir vorher, ob ich sie lesen will, wenn kein dringender Bedarf sie zu lesen vorhanden ist. Der generische Feminin hat da den kleinen Vorteil, dass Interpunktionen (mühevoll) eingefügt werden können. Texte im generischen Maskulin brauchen für mich da mehr Verrenkungen.
Meine Reihenfolge in Bezug auf Geschlecht und Sprache sieht schlussendlich wie folgt aus:
Interpunktion > Doppelpunkt > Sternchen > Gap > Querstrich > Doppelnennung > Binnen-I > generischer Feminin > generischer Maskulin.
Solange geschlechtliche Forumlierungen nicht benötigt werden bevorzuge ich geschlechtsneutralisierende Formulierungen.