Wer bin ich und wen date ich mit diesem Profil? JENS* PRO* und STEFANIE SACKL über Frühlingsgefühle und die Selbstdarstellung beim Online-Dating.
Ich Frau oder Mann suche Dich Mann oder Frau – vier Profile bei ElitePartner braucht es, um ein auf dieser Plattform höchstmögliches Maß an sexuell-identitärer Diversität auszudrücken. Vier verschiedene Mitgliedschaften, die vier verschiedene E-Mail-Adressen und vier verschiedene Passwörter verlangen. Nichtzu vergessen die vier verschiedenen Konten, von denen vier Mal der gleiche monatliche Rechnungsbetrag abgebucht wird. Moment, vier Mal der gleiche Betrag? Bei Parship, auch hier ist bloß Frau-oder-Mann-sucht-MannoderFrau möglich, richtet sich die Höhe des Mitgliedsbeitrags hingegen nach Koordinaten wie Einkommen oder Luxusgrad der Hobbies: Ein Operngänger zahlt mehr als eine Yogainteressierte, fand eine Journalistin für „Zeit Campus“ heraus. Nachdem ich zum wiederholten Male gänzlich durcheinandergekommen bin („Ach, du hast mein weiblich-schwules Ich Mervin82 erwartet? Trinkst du auch einen Kaffee mit meinem lesbischen MeMyself&I? Camus lese ich trotzdem gern.“), schicke ich eine Anfrage an den ElitePartner-Kund_innenservice. Die Antwort: „Eine gleichzeitige Suche nach Frauen und Männern ist bei uns leider nicht möglich.“
Wenn ich mich online nach Dating-Möglichkeiten umschauen und mich dabei weder auf meine eigene sexuelle Identität noch auf die meines potenziellen Gegenübers festlegen möchte, muss ich mir also eine neue Plattform suchen. Selbstvorstellungen auf Dating-Portalen verlangen, uns in Kategorien jedweder Art einzuordnen. Das ist sicher nichts Neues. Dass die Bandbreite aber so klein ist, dass es noch nicht mal ein Kästchen für Bisexuelle gibt, scheint nicht von dieser Welt.
Doch es gibt Hoffnung, Portale wie BiCupid graduieren sogar in „Bi“ und „Bi-curious“. Noch weiter geht OkCupid: Hier dürfen „bis zu fünf Orientierungen“ von „straight“ bis „sapiosexual“ angeklickt werden. Der nächste Mail-Betreff lautet: Sexuality is fluid und das eigene Ich digital (nicht) immer besser.
Jens* Pro* ist Kulturschaffende und -lebende in Niedersachsen. Ihre Partnerin lernte sie beim „Tatort“-Abend mit Freund_innen kennen.

Eigentlich war OkCupid für mich identitätsstiftend: War ich erst noch unsicher, ob ich mein Kreuzchen bei bi- oder bei homosexuell machen soll, so hat sich das rasch geklärt, als ich die erste Nachricht von einem Mann bekam. Er war nett, aber ich wusste nun definitiv, dass ich in dieser Liga nicht mehr spielen wollte. Also doch das Kreuz bei homo und rein ins queere Paradies – sprich durch Fotos von LBT-Frauen scrollen. Gefallen haben mir viele, geschrieben habe ich einigen und getroffen habe ich zwei – nicht in der Hoffnung, meine neue Liebe zu finden, sondern um als quasi frisch Geschiedene neue lesbische Frauen kennenzulernen und im besten Fall Affären zu beginnen. Denn das mit dem Kennenlernen und den One-Night-Stands beim Ausgehen funktioniert nicht, wenn frau wie ich schüchtern ist.
Date Nummer eins war gleichzeitig mein erstes Date ever mit einer Frau. Es hat mich sehr verwirrt: Warum spüre ich keine Anziehung? Wie müssen wir miteinander tun? Ich wollte doch unbedingt was mit Frauen haben, warum will ich sie dann nicht küssen? Das zweite Date erklärte mir bereits in den ersten Minuten, dass der Umzugswagen praktisch schon bereitsteht (was ich aber gar nicht furchtbar, sondern gut, weil ehrlich fand), und hat mich heftig angeflirtet. Ich war ob meiner ausbleibenden Hingezogenheit aber wieder nur verwirrt. Also noch immer kein Sex für mich und zurück an den Start – in der OkC-Welt: zurück ins Ranking der Frauen, die laut Algorithmus am besten zu mir passen. Mittels Fragen, die von „Würdest du jemanden an der Kassa vorlassen?“ bis zu „Stehst du beim Sex darauf, geschlagen zu werden?“ reichen, rechnet die Plattform unzählige „Matches“ aus. Den Überblick über Wiens queere, mitunter szeneberühmte OkC-Frauen hat man schnell – ah, die Schlagzeugerin ist auch noch da, und oh, wo ist denn die eine Aktivistin hin? Und weil die Szene so klein ist, war mein erstes Date auch das erste meiner jetzigen Freundin. Sie war damals nämlich auch auf OkCupid, wo wir uns aber gegenseitig nie angezeigt wurden. Wo wir uns stattdessen kennengelernt haben? Beim Ausgehen.
Stefanie Sackl schläft beim Wort „Technikpessimismus“ das Gesicht ein, und sie hat schon vor zwanzig Jahren im ORF-Teletext Gleichgesinnte gesucht.