Seitdem Hollywood-Star Angelina Jolie ihre Brustentfernung öffentlich gemacht hat, ist Brustkrebs wieder Thema in den Medien. Wie schwierig es für Frauen ist, eine vertrauenswürdige Entscheidungsgrundlage für die eigene Brust-Gesundheit zu finden, diskutieren GUDRUN KEMPER und MELANIE LETSCHNIG.
Die Rolle der weiblichen Brust im Kontext kommerzieller Verwertung hat in der vergangenen Dekade mit dem Kapitel Brustkrebs neue Facetten erhalten. Brustkrebs, im deutschsprachigen Raum bis in die 1990er-Jahre außerhalb der medizinischen Fachliteratur tabuisiert, hat in den Massenmedien eine erkennbare Metamorphose durchgemacht und wird heute von immer mehr Industriezweigen für ihre Zwecke vereinnahmt. Ohne Rücksicht auf Frauengesundheit – von Merchandise-Produkten wie der Brustkrebs-Barbie (versehen mit rosa Schleife oder stylisch-modischer Chemoglatze) bis zu nationalen Marketing-Kampagnen für Hähnchen-Nuggets oder das Hardrock Café: Brustkrebs spielt eine Hauptrolle beim Strategiespiel der Absatzförderung.
Bei der Verbreitung von Gesundheitsinformationen hat die High-Society-Medizin inzwischen einen festen Platz erobert. Prominente Frauen mit Brustkrebs oder Brustkrebs-Genen setzen Normen für die aktuellen medizinischen Vorgehensweisen. Massenmedien berichten auf allen verfügbaren Kanälen, mit immensem Aufmerksamkeitsfaktor und im Rampenlicht der Sensation über sie. Deren Krankheiten und individuellen Entscheidungen bieten den Rahmen, um das medizinisch Machbare und Möglichkeiten der Eskalation exemplarisch aufzuzeigen.
Die positive Botschaft steht dabei immer im Vordergrund. Unzweifelhaft sieht alles danach aus, dass es einen medizinischen Fortschritt gibt. In der öffentlichen Diskussion werden deswegen kritische Aspekte lange komplett ausgeblendet. Doch der Preis – steigende Kosten unserer Krankenversicherung und industriell gesteuerte medizinische Versorgung – sind nicht mehr wegzudenken. In den USA steht die Krankheit mit dem „DoD Breast Cancer Research Program“ schon lange auf der Tagesordnung des Verteidigungsministeriums. Für die Situation einer durchschnittlichen Patientin, die ohne Promi-Faktor um den Zugang zu unabhängigen wissenschaftlichen Informationen als Entscheidungsgrundlage, für eine Kostenübernahme notwendiger medizinischer Leistungen, hinreichende Verweildauer im Krankenhaus, psychologische Begleitung oder einen Hospizplatz kämpfen muss, bleibt im öffentlichen Diskurs dagegen kein Platz.
Gudrun Kemper ist bei „Breast Cancer Action Germany“ aktiv und im Vorstand des Arbeitskreises Frauengesundheit in Medizin, Psychotherapie und Gesellschaft (AKF). Dieser veröffentlichte vor kurzem eine Stellungnahme zum Thema: tinyurl.com/AKFJolie
Eines Morgens stand ich unter der Dusche und ertastete einen Knoten in meiner linken Brust. Damals war ich zwanzig Jahre alt. Meine Mutter ist mit Mitte vierzig an Brustkrebs erkrankt. Eine Brust musste abgenommen werden, sie hat sich gegen eine Rekonstruktion entschieden. Die Frauenärztin hat mich zur Mammografie geschickt. Im Krankenhaus gingen die Ärzte von einem gutartigen Knoten aus, zur Sicherheit haben sie ihn dennoch rausgeholt. Zwei Narben sind geblieben. Und die mammografische Untersuchung alle zwei Jahre, die Frauen ab vierzig Jahren empfohlen wird. Ich bin 35 Jahre alt.
Kürzlich wurde bekannt, dass sich die Schauspielerin Angelina Jolie beide Brüste amputieren ließ, weil ein Gentest ergeben hat, dass sie mit hoher Wahrscheinlichkeit wie ihre Mutter an Brustkrebs erkranken würde. Jolies Mutter starb am Krebs, ebenso ihre Tante. Die Berichterstattung über Jolies Entscheidung war massiv, die Meinungen kontrovers: Die einen gratulierten zum mutigen Schritt, die anderen reagierten mit Verständnislosigkeit. Mit Beleidigungen à la „Hat ohnehin schon so viele Kinder, wofür braucht sie ihre Brüste noch“ wurde nicht gespart.
Mich hat das aufgeregt. Aus diversen Gründen, aber vor allem, weil mich dieser „mutige Schritt“ verunsichert hat. Wenn die Krankenkassa aufgrund eines erhöhten genetischen Risikos den Eingriff zahlt, sollte ich dann nicht auch zum Gentest? Will ich überhaupt wissen, ob mein genetisches Risiko hoch ist? Ist Mammografie alle zwei Jahre überhaupt sinnvoll? Immerhin gibt es ÄrztInnen, die behaupten, die Strahlen würden eher schaden als nutzen, und meistens kommt man mit der Mammografie dem Unheil ohnehin nicht auf die Schliche, sondern vielmehr durch Selbstuntersuchung. Was ist, wenn ich bei der Selbstuntersuchung etwas übersehe? Immerhin war der von mir damals ertastete Knoten nach der nächsten Regel mit dem Abschwellen der Brust kaum noch spürbar. Ist es wirklich so, wie eine Runde von ÄrztInnen in einer Radiosendung letztens behauptete – dass nämlich psychische Instabilität keinen Krebs macht?
Diese Verunsicherung kann eine um den Verstand bringen.
Melanie Letschnigs Mutter wird demnächst 66 und ist bis auf die alterstypische Arthrose in den Fingern pumperlgsund.