Was ist die „freie Menstruation“? Bringt sie die neue weibliche Freiheit oder macht sie stattdessen unfrei? MICHÈLE THOMA und ANNE TEMBEL diskutieren.
Übers Internet entdeckte ich die subkulturelle Menstruationskultur der (Post)Riot Grrrls in den USA, die mit bunten Menstruationstassen und schicken, selbst genähten, waschbaren Stoffbinden einen enttabuisierten Umgang mit der unvermeidlichen Monatsblutung selbstbewusst zelebrierten. Ich legte mir einmalig ein paar von diesen Teilen zu und freute mich, von der konventionellen Damenhygieneartikelindustrie unabhängig zu sein. Keine schadstoffbelastete Watte mehr in meine Vagina einführen, nicht mehr mit nackter Haut auf Plastikteilen sitzen zu müssen und nicht zuletzt auch ein bisschen zur Müllvermeidung beizutragen. Ein paar Jahre menstruierte ich so, mehr oder weniger fröhlich, vor mich hin.
Irgendwann wurde ich schwanger, gebar ein Kind, und eine komplett neue Welt voller bizarrer Körpervorgänge offenbarte sich mir. Im Rahmen meiner Auseinandersetzung damit stieß ich zum ersten Mal auf die sogenannte „freie Menstruation“. Diese Bezeichnung finde ich eher unglücklich gewählt, zumal ich das Gegenteil davon nicht als unfrei bezeichnen würde. Korrekter wäre eventuell „Hygieneartikelfreies oder Körperbewusstes Menstruieren“. Bei diesem Vorgang können das Blut und der Schleim, der sich in Schüben vor dem Muttermund sammelt, durch eine bewusst herbeigeführte Öffnung desselben abfließen – am einfachsten direkt ins Klo, da die Hockposition ideal für die muttermundaktivierende Bewegung und diese auch ähnlich der Entspannung des Beckenbodens nach dem Lulu machen ist. Mit ein bisschen Übung und Beobachtung spürt man, wann es Zeit ist, sich zu entleeren. Kann es denn so einfach sein? Ja, tatsächlich, das kann es! Den Dreh hatte ich schnell raus, und seitdem ist es für mich keine Option mehr, den Schritt zurück zu tun. Monatliches zielgerichtetes Bluten wurde zu einer Selbstverständlichkeit, wie es die restlichen (teilweise mühsam erlernten) Ausscheidungsvorgänge meines Körpers auch sind.
Ich kann nur empfehlen, der hygieneartikelfreien Menstruation eine Chance zu geben und somit verborgene Fähigkeiten des weiblichen Körpers zu entdecken. Und nicht zuletzt, dieses Wissen auch an (junge) Frauen weiterzugeben, damit irreführende Fernsehwerbungen mit blauem Blut irgendwann einmal Geschichte sind.
Anne Tembel ist Reproduktionsarbeiterin und freie Dienstnehmerin in Wien und hat ihren pinken Glitzer-Menstruationscup seit Monaten nicht benutzt.
Die freie Frau lustwandelt durch die Steppe oder einen Dschungel. Dann kauert sie in der Hockstellung auf der guten Mutter Erde. Die volle Mondin, die sie mit ihren Artgenossinnen Regel-mäßig anheult, hat gerufen. Alles fließt. Auch sie. Das kann lang dauern, so ein Fließen, aber das macht nichts. Zwischendurch vertritt sie sich die Beine oder macht etwas Inspirierendes, mit Kräutern, oder Gedichte. Es ist eine heilige Zeit, keiner soll sie stressen, keine bösen Männer, keine nervigen Kinder. Und unmanierliche, wilde Tiere bitte Abstand halten!
Die Frau ist ein natürliches Wesen, es gibt keine Zwänge, die Mann ihr antut oder sie sich selber. Frau ist nicht entfremdet, sie stöckelt nicht im Mini durch die Shopping-Wüste, sie rackert auf keinem Acker und sitzt an keiner Supermarktkasse. Sie ist auch nicht beim Militär oder bei sonst was Unweiblichem. Sie ist keine Quotenfrau, die sich nicht mal mehr eine zünftige Hysterie leisten kann. Sie findet zurück zu sich selber, ganz tief, zu den Gebärmüttern und Ur-Ei-Sprüngen. Oh ein Loch, Herr Doktor, es blutet! So etwas Krankes sagt diese Frau nicht. Diese Frau hört in sich hinein, Ruhe Welt, jetzt! Der Kosmos, das Universum. O, ein Ei, es springt! Die Blähungen. Manchmal hat sie Schübe, das merkt sie im Voraus, Blutschübe, dann hechtet sie auf die Toilette, die immer frei ist. So wie sie. Dann kauert die freie Frau auf der Toilette, bis der Schub, der kein Karriereschub ist, vorbeigeht. Das ist ganz natürlich. Das geht wieder weg. Auch von selber. Je nachdem, was für einen Zyklus oder Rhythmus die Frau hat, auf den sie hört, vielleicht nur zwei Tage, oder sieben. Kleiner Ur-Laub auf dem Stillen Ort, in dem die Schleimhäute zu ihr sprechen und der Muttermund. Kind aus dem Kindergarten holen? Präsentation an der Uni? Der Mann muss mal? Occupy WC!
All diese modernen, unattraktiven Dinge voller Pestizide, die sie in sich reinstopfen soll. Mit ihrem Blut verdient Mann bestimmt einen Haufen Geld. Und für die Freiheit muss die freie Frau natürlich Opfer bringen. Manchmal sogar blutige.
Michèle Thoma ist freie Autorin.