MYRIAM LEVOY ist für einen Job vorübergehend ins Ausland gegangen. Doch offenbar dürfen das nur Väter.
Im Frühjahr 2011 habe ich meine Kinder verlassen. Das hatte persönliche und berufliche Gründe: Das Verhältnis zu meinen Ex-Mann, von dem ich zu diesem Zeitpunkt bereits über ein Jahr getrennt war und mit dem ich mir die Betreuung der Kinder von Anfang an geteilt hatte, war noch immer katastrophal. Zudem musste ich nach Jahren der Unabhängigkeit wieder meine Eltern um Geld fragen, weil es vorn und hinten nicht reichte. Dann bot sich mir überraschend die Möglichkeit, im Ausland eine Zeit lang genau den Job zu machen, den ich immer machen wollte, und bei dem ich mich darüber hinaus genau dafür einsetzen konnte, was mir politisch wichtig war. Ich dachte viel nach, drei, vier Wochen lang. Ich habe eine Entscheidung getroffen. Ich habe sie mir gut überlegt, ich finde bis heute, dass sie richtig ist und bin glücklich dort, wo ich bin.
Ich hatte mich mit dem Thema Mutterschaft und den damit verbundenen gesellschaftlichen Ansprüchen schon die Jahre zuvor herumgeschlagen, war jung und unbekümmert Mutter geworden, ohne jede Ahnung, mit welch eisernem Griff einen die gesellschaftlichen Normen, Rollenbilder, eigene und fremde Ansprüche packen, wenn man das unbeschwerte Studentinnenleben verlässt und nicht mehr länger eine Frau ist, die Rechte hat, sondern eine Mutter, die Pflichten erfüllen muss. Die Erfahrungen der Jahre zuvor waren allerdings harmlos im Vergleich mit den Reaktionen, die ich bekam, als ich Familie und FreundInnen meine Entscheidung mitteilte, zumindest vorübergehend ins Ausland zu gehen – und die Kinder, von denen ich wusste, dass es ihnen bei meinem Ex-Mann und in ihrem gewohnten Umfeld besser gehen würde, nicht mitzunehmen. Ich war auf Diskussionen und Kontroversen gefasst gewesen, aber nie hätte ich gedacht, was für ungebändigte Emotionen, ja welcher Hass mir aufgrund dieser Entscheidung entgegenschlagen würden. Schließlich kannte ich genug Männer, die verheiratet oder getrennt, für einige Monate zum Arbeiten ins Ausland gingen oder von Anfang an ihre Kinder aufgrund einer Arbeit in einer anderen Stadt – oder auch schlicht wegen zu viel Arbeit – nur am Wochenende sahen, ohne dass irgendjemand die Beziehung zu ihren Kindern oder ihre „Vaterschaft“ infrage stellte. Meine Eltern, die mich mein Leben lang ermuntert hatten, auch als Frau selbstständig meinen Weg zu gehen, brachen den Kontakt zu mir ab, nachdem sie mich als „Schande der Familie“ und „furchtbare Egoistin“ bezeichnet und beschimpft hatten.
Noch geschockter war ich jedoch darüber, wie mein (größtenteils linksradikales) Umfeld reagierte: nämlich kein bisschen anders. FreundInnen, die mich bisher immer unterstützt hatten, weigerten sich, mit mir über „dieses Thema“ oder überhaupt weiter zu reden: Dies sei einfach eine absolut unmoralische und egoistische Entscheidung, und ich solle mich nicht vor meiner Verantwortung drücken, indem ich immer mit „Gleichberechtigung“ oder ähnlichen Ausflüchten käme. Leute, die ich kaum kannte, die aber von meinen Plänen gehört hatten, schrieben mir E-Mails, in denen sie mich dazu aufriefen, diese Entscheidung noch mal zu überdenken und an die Kinder zu denken. Manche andere brachen vor mir in Tränen aus und baten mich, bei den „armen Kindern“ zu bleiben. Die Anschuldigungen gingen bis hin zu „geisteskrank“ und „gestört“.
Niemand hörte mir zu, fragte mich nach Gründen, niemand unterstützte mich oder respektierte zumindest meine Entscheidung, niemand konnte sachlich mit mir darüber reden. Ich fühlte mich, als hätte ich jemanden umgebracht und nicht, als wäre ich zum Arbeiten für eine Weile weggegangen, in der Sicherheit, dass es meinen Kindern gut ging, sie liebevoll betreut waren und ich regelmäßig Kontakt mit ihnen hatte. Niemand glaubte mir, dass diese Entscheidung auch für mich nicht leicht war, dass ich die Kinder sehr liebe und manchmal schrecklich vermisse. Wenn ich sie lieben würde, wenn ich sie vermissen würde, hieß es, dann wäre ich bei ihnen.
Diese Anschuldigungen, ich würde meine Kinder nicht lieben, haben mich über Monate furchtbar gequält, und sie tun das teils heute noch. Aber ich bin ein politischer Mensch, ich habe mich viele Jahre intensiv mit Rollenmustern, mit Frauen- und Mutterbildern auseinandergesetzt. Und aus diesem Blickwinkel war es erschreckend zu erkennen, was für ein unglaublich konservatives Frauen- und Familienbild in meinem theoretisch so progressiven Umfeld herrschte. Die Mutter hat bei den Kindern zu sein. Dass das Wohlergehen der Kinder nicht an die physische Präsenz der Mutter geknüpft ist, dass es vielleicht andere Familienkonstellationen gibt, die ebenfalls denk- und lebbar sind, stand nicht mehr zur Debatte.
Das Argument „Kindswohl“ macht jeden Versuch, alternative Rollenmuster zu leben oder auch nur zu diskutieren, unmöglich. Haben Frauen sich nicht mühevoll über Jahrzehnte hinweg von einem Verständnis von Mutterschaft befreit, das Liebe mit Selbstaufopferung gleichsetzt? Ich weiß aus eigener Erfahrung, was für belastende psychische Folgen eine solche permanente Unterdrückung eigener Bedürfnisse „für die Kinder“ auf eben diese hat.
Feministinnen, scheint es, dürfen nicht Mutter werden, oder wenn sie Mutter sind, sind sie keine Feministinnen mehr. Muss nicht genau dieser Bruch zum Thema für alle Linken (Frauen) werden?
Myriam Levoy arbeitet seit mehreren Jahren als freie Journalistin.
Illustration: Bianca Tschaikner
2 Kommentare zu „an.sprüche: Gleichberechtigung und andere Ausflüchte“
Wow, was für ein ergreifender und bedrückender Blogpost. Ja, scheinbar hat sich in Deutschland nicht viel getan, in den Köpfen der Menschen.
Spannend finde ich, warum viele Menschen darauf so emotional reagieren. Du schreibst ja, dass einige sogar in Tränen ausgebrochen seien…
Ich persönlich finde – wenn ich mir dieses Urteil erlauben darf – Deine Entscheidung sehr, sehr mutig und gut. Und ich finde auch, dass Du Recht hast, dass die unterdrückten Gefühle der Eltern ebenso Auswirkungen auf die Kids haben.
Bist Du immernoch im Ausland bzw. wie lange warst Du getrennt von Deinen Kindern? Ich glaube, es gibt eine Vernetzung von müttern, die getrennt von den Kindern leben, die sich “Rabenmütter” nennt. http://www.rabenmuetter-projekt.de/ Vielleicht findest Du oder die ein* oder andere* dort Gleichgesinnte, falls es noch oder wieder aktuell ist.
Viele Grüße,
Jasmin
Danke für den mutigen Artikel! Ich beschäftige mich in letzter Zeit häufiger mit Mutterschaft, denn ich habe mich längerfristig dagegen entschieden, Mutter werden zu wollen. Auch wenn mein Partner sehr gerne Kinder will, gibt es für mich viele Gründe gegen Kinder. Den “eiserne Griff” der Gesellschaft von dem du erzählst erlebe ich als grauenhaft wahrnehmbar. Neben den ungleich verteilten Einkommensverhältnissen zwischen mir und meinem Partner (dreimal dürft ihr raten wer das vierfache vom anderen verdient…), die eine gewisse Rollenverteilung in Elternschaft unumgänglich machen würde gibt es noch soviele Beispiele aus meinem näheren Bekanntenkreis, die mir die Realitäten vieler Mütter vor Augen führen. Dennoch werde ich immer wieder gefragt, wann ich denn soweit sei. Ich kann mich einfach nicht dafür entscheiden. Auch wenn ich, unter anderen Bedingungen, vielleicht den Mut hätte. Toll, dass es Menschen gibt, die politisch denken und Geschlechterrollen auch in der Praxis hinterfragen. Wir müssen diese Rollenmuster durchbrechen, ob mit oder ohne Kinder!