Sexistische Vermarktungsstrategie oder selbstbewusstes Statement? CHRISTINA MOHR und NADIA SHEHADEH diskutieren die Sexyness der Stars.
Seit ich zurückdenken kann, schwärmt meine Mutter von den sexy Beinen Tina Turners – für den Hintern von Nicki Minaj hat sie indes nur Verachtung übrig, Minaj sei doch ordinär. Ich persönlich finde die Performances von Peaches, Madonna und J. Lo cool, die Auftritte von Miley Cyrus dagegen peinlich. Viel Haut zeigen alle der Genannten, aber offensichtlich werden höchst diverse Signale gesendet. Woran liegt das? Warum beurteilen wir Feministinnen die Körper weiblicher Popstars so unterschiedlich, warum gilt die eine Künstlerin als stark, selbstbewusst und integer, die andere als pornoverdächtig, billig und indiskutabel?
Nacktheit ist einerseits „natürlich“ und keine Frau sollte Teile ihres Körpers verdecken müssen, wenn sie das nicht will – andererseits ist es verabscheuungswürdig, wenn mit dicken Titten Autoreifen verkauft werden. Im Popgeschäft bekommt dieses Thema einen zusätzlichen Dreh: Die KünstlerInnen verkaufen ja tatsächlich etwas, nämlich ihre Musik. Aber im Pop geht es niemals nur um Musik allein, im Showbusiness kommt der optische/performative Aspekt automatisch hinzu. Und die allgemein gültige Währung heißt: Sexyness!
Niemand wird bestreiten, dass es in einer Peaches-Show explizit um Sex geht – wie bei Miley Cyrus, oder? Doch niemand wird beide Künstlerinnen direkt miteinander vergleichen wollen. Wo liegt also der Unterschied in der Rezeption? Ist es Peaches’ Queerness, ihr bewusster Bruch mit Sex-Konventionen, der ihre Performance feministisch macht? Spricht man Cyrus von vornherein jegliche Selbstbestimmung ab, weil sie in einem mainstreamigeren, also umsatzstärkeren Segment agiert als Peaches? Und wie feministisch ist es, wenn Beyonce in Netzstrümpfen vor dem leuchtenden Schriftzug „Feminist“ posiert? Sollte sie sich dabei nicht besser was anziehen? Wir dürfen da mitreden, denn schließlich gehört dem Popstar sein Körper ja nicht allein, sondern auch uns, den KonsumentInnen – oder? Sieht so aus, als bliebe der weibliche Popstarkörper noch eine ganze Weile vermintes Gelände. Der Blick auf Tina Turners Beine hilft vielleicht beim Finden von Antworten …
Christina Mohr verdient Miete und Brötchen bei einem seriösen Frankfurter Sachbuchverlag. Nach Feierabend schreibt sie Musikrezensionen für verschiedene Magazine.
Sexyness im Musikbusiness wird seit eh und je kontrovers diskutiert: Handelt es sich um sexualisierte (Selbst-)Vermarktung? Oder um freiwillige und starke Sexyness, die subversiv und empowernd sein kann?
Kritisch zu hinterfragen ist jedenfalls eine feministische Lesart, die Frauen, die vermeintlich unsexy sind, lobt und gleichzeitig das „Rückständige“ bei den Vertreterinnen von Sexyness diskreditiert. Hier spiegelt sich oft eine weiß-feministische Denkweise wider. Madonnas fast schon ikonenhafte Sexyness, die ich persönlich als sehr selbstkontrolliert und selbstbewusst wahrnehme, wird harsch kritisiert: Das sei kein „Altern in Würde“. Habe sie das nach all ihren Errungenschaften noch „nötig“? Solche Fragen werden eher gestellt, als dass ihr lascher Umgang mit rassistischen Ausfällen kritisiert wird – so vergleicht sie sich etwa mit Nelson Mandela und Martin Luther King. Außerdem führt solch eine Rezeption zur Reproduktion von -Ismen: Etwa dann, wenn Ageism und Femme-Shaming die vermeintlich konstruktive Kritik an Madonnas Sexualität und Körperlichkeit durchziehen.
Als Adele die Chartspitze eroberte, wurde das als Sieg der „normalen Mädchen“ gefeiert, die nicht den Erwartungen von Norm-Schönheit entsprechen und lieber erwachsen-divenhaft als sexy auftreten. Adele habe allein mit großer Stimme (also: Talent) den Olymp des Pop erklommen – und nicht wie andere erfolgreiche Pop-Soul-R’n’B-Künstlerinnen mit Körperlichkeit, Sexyness und deren aggressiver Vermarktung. Dass viele der geschassten Kolleginnen of Color sind und Adele sich bei ihrem musikalischen Schaffen großflächig an dem Erbe nicht-weißer Musik bedient, wird dabei oft außer Acht gelassen.
Wenn ich daran denke, dass Pop-Sängerin Kesha derzeit aufgrund des Rechtsstreits um die sexuellen Übergriffe ihres Managers von ihrem Label daran gehindert wird zu arbeiten, und die Essenz der Amy-Winehouse-Dokumentation war, dass es für Künstlerinnen extrem belastend ist, in das Dreieck aus patriarchalen Strukturen, männlichem Besitz- und Anspruchsdenken und Kapitalismus passen zu müssen – dann fangen die Probleme im Pop nicht mit einem Glitzer-BH auf der Bühne an. Vor allem dann nicht, wenn Beth Ditto ihn trägt.
Nadia Shehadeh ist Soziologin, Bloggerin und Autorin beim feministischen Blog „maedchenmannschaft.net“.
1 Kommentar zu „an.sprüche: Tina Turners Beine“
#whitefeminism #notmyfeminism (adressiert an den Kommentar von Christina Mohr)