Ob im Club oder in der Kletterhalle: Typen sind gerne oben ohne. Laura Reti hat genug von schwitzenden Mackern.
Im Juni sorgte ein Plakat an den Hamburger Wallanlagen für Aufregung. Darauf forderte die Stadt ihre männlichen Parkbesucher auf, auf die Entblößung ihres Oberkörpers zu verzichten: „T-Shirt bleibt an – alle haben fun.“ Grund genug für reichlich Empörung auf Twitter und Co: Von „neuer Spießigkeit“ war da die Rede, andere befürchteten eine „Gleichmacherei“ oder die Einschränkung ihrer Freiheitsrechte und riefen dazu auf, sich „jetzt erst recht“ des T-Shirts zu entledigen.
Obwohl das Logo der Stadt Hamburg auf dem Plakat prangte, handelte es sich um politische Aktion. Aufgrund der großen Aufregung wurden die Plakate alsbald entfernt, die Stadt distanzierte sich.
Die hitzige Debatte um nackte Oberkörper gehörte für mich schon lange zum Alltag – immerhin habe ich schon in zwei Kletterhallen gearbeitet und musste dort immer wieder schwitzende Sportler dazu bewegen, sich wieder anzuziehen.
Die typischen Einwände: „Ich schwitze so stark, das verstehst du nicht.“ Ja, wir schwitzen alle, gehört beim Sport dazu. Aber ziehen sich deshalb alle aus? Es ist in keinem Sport geduldet, oben ohne zu sein, häufig aus hygienischen Gründen – und weil es einfach lächerlich ist. Ausnahmen sind Wassersportarten (und auch da müsste es nicht sein) und Bodybuilding (wo es explizit um Körperbewertung geht). Selbst in den allermeisten Fitnessstudios ist es ausdrücklich verboten, das Shirt auszuziehen, und diese Läden stehen nun wahrlich nicht im Verdacht, wahnsinnig feministisch und progressiv zu sein. Abgesehen davon, dass sich viele Menschen von Nacktheit belästigt fühlen, ist sie auch schlichtweg ungesund. Ein unbedeckter schwitzender Oberkörper kühlt zu stark aus, das ist schlecht für Muskeln und Immunsystem. Es gibt eine riesige Auswahl an moderner Funktionsbekleidung, die die Körpertemperatur reguliert und den Schweiß auffängt. Und keine Sorge: Die Muskeln bleiben darunter trotzdem sichtbar.
„Von mir aus kannst du auch oben ohne rumlaufen. Wo kommen wir denn hin, wenn wir das Männern jetzt verbieten? Das wäre doch ein Rückschritt!“
Ich kann nirgends einfach oben ohne rumlaufen – außer in der Sauna oder am FKK-Strand. Meine Brüste sind sexualisiert, meine Nippel werden auf Social Media verpixelt. Und nein, ich im Sport-BH ist nicht das Gleiche wie ihr oben ohne. No nipple is free until all nipples are free!
„Dann kannst du ja nie ins Freibad gehen, wenn dich männliche Oberkörper so sehr stören!“
Auch dieser Vergleich hinkt: In Freibädern, am Strand und am Badesee gilt ein anderer Dresscode als in Sportstätten. Beim Baden kann auch ich vielleicht mal oben ohne sein kann, wobei auch hier keineswegs Gleichberechtigung herrscht (Stichwort Männer oben ohne, aber kleine Mädchen im Bikini). Der entscheidende Unterschied ist zudem, dass ich im Freibad weiß, worauf ich mich einlasse und entscheiden kann, ob ich an dem Tag Lust habe, halbnackte Männerkörper zu sehen oder nicht. Aber im Alltag, auf dem Weg zum Einkaufen, wenn wieder einer ohne Shirt an mir vorbeijoggt?
„Du bist doch eine Lesbe, die Männerkörper eklig findet. Stört hier doch sonst niemanden.“
Ja, es gibt sogar Menschen, die Rückschlüsse auf mein Begehren ziehen und mich damit kategorisch entwaffnen wollen. Natürlich ohne sich vorher tatsächlich die Mühe gemacht zu haben, die anderen Hallenbesucher*innen nach ihrem Einverständnis zu fragen. Doch viele, die ein nackter Oberkörper stört, trauen sich nicht, es anzusprechen. Sie gehen einfach, kommen gar nicht erst oder schauen nicht hin. Die Verantwortung wird also auf jene übertragen, die unter dem Verhalten leiden. „So zeugt es von einer typisch antifeministischen Haltung, Frauen die Verantwortung dafür zu übertragen, Freiräume zu schaffen, die von Männern besetzt sind“, schrieb Verena Reygers dazu treffend im „Freitag“. Deshalb: T-Shirt anlassen, bis das Patriarchat gestürzt ist. Dann sprechen wir noch mal darüber.
Laura Reti schreibt aus Berlin, erhofft sich vom Ende des Sommers auch das Ende der Oben-ohne-Saison. Sie sucht stets Verbündete für Safe Spaces im Sport.
1 Kommentar zu „an.spruch: Shirt aus? Shirt an!“
Es kann doch nicht als Belästigung gewertet werden, gesehen zu werden! Ich möchte ja auch nicht, dass man mir als Frau sexuelle oder angeberische Motive unterstellt nur weil meine Hose oder mein Rock kurz ist. Ich möchte nicht, dass religiöse Menschen meinen freieren Stil als sexualisiert ansehen und mir lange Röcke oder Kopfbedeckungen verordnen können. Und im Gegenzug liegt es auch nicht in der Verantwortung anderer Menschen, von mir schön, stilvoll oder gut gekleidet gefunden zu werden.
“Ich darf das ja auch nicht.” ist kein Grund anderen neue Kleidungsvorschriften aufzuerlegen. Jede Person sollte so viel oder so wenig anziehen dürfen wie sie will, solange nicht die Sicherheit anderer dadurch gefährdet wird. Das ist natürlich im Moment noch in weiter Ferne, aber man sollte doch versuchen, sich freiheitlichen Idealen zumindest anzunähern. Ich persönlich würde einfach mal gerne ausprobieren, ob FKK-Kultur für alle z.B. im Park oder beim Sport nicht doch funktioniert. Es gibt durchaus einige körperpositive oder sexpositive Subkulturen in Deutschland, für die es normal ist, dass alle Menschen sich so viel an oder ausziehen dürfen wie sie wollen und denen bewusst ist, dass es sich nicht gehört, das Äußere anderer ungefragt zu kommentieren oder sogar zu korrigieren.