Drei Monate nach #Ibizagate ist in Österreich alles beim Alten: Das Scheitern von Türkis-Blau perlt an Altkanzler und Erlöserfigur Sebastian Kurz ab. Warum das so ist, erklärt NATASCHA STROBL.
Um den Reiz und den Erfolg von Sebastian Kurz und seinem Wahlkampf zu verstehen, genügt es nicht, auf etwaige Programminhalte oder Wahlkampfversprechen zu schauen. Vielmehr ist das Versprechen, das er in diesem Wahlkampf abgibt, er selbst. Der Inhalt von Sebastian Kurz ist Sebastian Kurz. Um also zu verstehen, was ihn so erfolgreich macht, müssen wir uns seine Inszenierung anschauen, die im Wesentlichen auf drei Bausteinen beruht.
Rechtspopulistische Rhetorik. In bewährter Haider-Manier präsentiert sich Kurz als Mann aus dem Volk und als Mann für das Volk. Das zeigt sich vor allem anhand der Kommunikationslinie „Rot-Blau hat bestimmt, das Volk wird entscheiden“. Damit suggeriert er, dass das Parlament eine illegitime und falsche Entscheidung gegen den eigentlichen Willen „des Volkes“ getroffen hat. Das befeuert die von Rechtsextremen verbreitete Sicht, dass im Parlament eine abgehobene Elite sitzt, die gegen die Interessen „des Volkes“ agiert. Kurz ist unbefleckt von dieser Art der Niedertracht, da er sich entschlossen hat, nicht ins Parlament zu gehen, sondern direkt „bei den Menschen“ zu sein. Das ist blanker Anti-Parlamentarismus, der direkt auf der Klaviatur der extremen Rechten spielt.
Neoliberaler Diskurs. Kurz bemüht in seiner Rhetorik klassische bürgerlich-neoliberale Denkmuster, die sich um Leistung und Elite drehen. Die, die nichts arbeiten, sollen auch nichts essen. Er schließt dabei an einen Diskurs gegen Unten an, der sowohl in der extremen Rechten als auch im Konservativismus und im Neoliberalismus beheimatet ist. Die Idee ist, dass Armut etwas mit Faulheit und Unwillen zu tun hat und dass solche Menschen nicht auf Kosten der Allgemeinheit durchgefüttert werden dürfen. Im Sinne des Zeitgeists führt Kurz diesen Diskurs stark rassifiziert, also gegen Migrant_innen gerichtet. Dabei sind aber implizit immer arme Migrant_innen gemeint. Diese Mischung aus glatter Stilfassade, rabiater Rhetorik und autoritärer Einstellung ist das, was der Soziologe Wilhelm Heitmeyer als „rohe Bürgerlichkeit“ bezeichnet. Es ist der Diskurs einer sich manierlich gebenden Elite gegen Unten.
Royaler Gestus. Kurz wird als über den Dingen stehend inszeniert. Jemand, der bescheiden und weise nicht mit der schmutzigen Tagespolitik befleckt ist, sondern direkt für die Menschen da ist. Diese Inszenierung als über der Politik stehend hat sein reales Vorbild in der Figur des Kaisers, der gütig, bescheiden und diszipliniert keine Partikularinteressen, sondern die Interessen des Reiches im Blick hat. (So zumindest das Narrativ. Dass Kaiser vor allem dynastische und Machtinteressen hatten, ist eine andere, aber nicht unpassende Geschichte.) Die Idee eines gütigen, über den Dingen stehenden Mannes, der harte, aber gerechte Entscheidungen trifft und eine Verkörperung „des Volkes“ ist, ist zutiefst antirepublikanisch und antidemokratisch, da er die Person von jeder demokratischen Kontrolle entbindet.
Auffallend ist, dass von allen drei Vorbildern eines nicht übernommen wird: die Körperlichkeit. Weder die, mitunter proletarisch-inszenierte, Macho-Männlichkeit des Rechtspopulismus noch die exzessive Work-hard-play-hard-Mentalität des Neoliberalismus oder der disziplinierte royale Körper finden Niederschlag in der Inszenierung von Kurz. Vielmehr ist es die Anti-Körperlichkeit seiner Inszenierung, die beachtenswert ist. Das liegt wohl daran, dass ihm diese Körperlichkeit schlichtweg nicht entspricht. Es ist ihm dies jedoch kein Nachteil, da er geschickt seine drei Inszenierungsbausteine situationselastisch zu nutzen weiß. In den kommenden Wochen oder Jahren wird sich zeigen, ob dieses strategische Gerüst ausreicht, um einen Staat länger als ein Jahr lang zu führen.
Natascha Strobl ist Politikwissenschaftlerin aus Wien und analysiert auf Twitter unter #NatsAnalyse rechte und rechtsextreme Strategien.