Am Morgen des 25. Februar 2018, ihrem 32. Geburtstag, findet Jameela Jamil, englische Schauspielerin, Model, Radiomoderatorin und Anorexia-Überlebende, tausende Nachrichten in ihren diversen Posteingängen vor. Unzählige Menschen, viele davon Frauen, teilen ihr darin ihre Unsicherheiten und Ausgrenzungserfahrungen mit und schreiben ihr, wie sehr sie es hassen, auf ihr Gewicht und ihr Aussehen reduziert zu werden. Jamil nennt diesen Tag in einem Blog-Eintrag den „best birthday I’ve ever had.“ Was war passiert?
Einige Tage zuvor stößt Jamil auf Instagram auf ein Foto der Kardashians, auf dem jemand das Gewicht der Frauen vermerkt hatte. Jamil kommentiert, dass es gesellschaftlich ziemlich düster aussähe, wenn Kilogramm die einzige Einheit sind, in der Frauen lernen ihren Wert zu bemessen. Sie ergänzt ihre Kritik mit einer Selfie-Story, in der sie sich mit jenen Dingen „aufwiegt“, die sie abseits von „Fucking KG“ ausmachen: „lovely relationship“, „financially independent“, „I laugh every day“. Ohne es geplant zu haben, war damit die #iweigh-Bewegung geboren, der heute auf Instagram mehr als eine Million Menschen folgen.
Jamils #iweigh-Aktivismus ist mittlerweile zu einem Aushängeschild der Body-Neutrality-Bewegung geworden, die einen neutraleren Zugang zu Körperlichkeit fordert. Der Körper wird definiert als „Wahrnehmungsmaschine“, als Werkzeug, das uns Interaktion mit der Welt ermöglicht und mehr ist als eine optische Hülle. Körper werden nicht (nur) für ihre Schönheit, sondern für die Mobilität, Gefühle und Interaktionen geschätzt, die sie uns erleben lassen.
Gerade Frauen, die noch immer vermehrt von Lookismus, also der Diskriminierung aufgrund des Aussehens, betroffen sind, beschert eine Abkehr von Schönheit neue Freiräume. Body Neutrality steht noch mehr als Body Positivity für eine Kritik an unerreichbaren, kapitalistischen Schönheitsidealen, die darauf abzielen, mit der Entdeckung von immer neuen ‚Makeln‘ immer neue Produkte zu verkaufen. Durch das Infragestellen dieser Ideale und die Absage an Schminke, Diäten und Enthaarung werden auch binäre Geschlechterzuschreibungen, die sich durch tagtäglich praktizierte Schönheitsarbeit im und am Körper fortschreiben, brüchiger.
In gewisser Hinsicht ist Body Neutrality auch als Antwort auf die zu beobachtende Ausdifferenzierung und Kommerzialisierung von Body Positivity zu verstehen, die ihre Wurzeln in der US-Fat-Acceptance-Bewegung der 1960/70er Jahre hat. Body Positivity befasst sich heute neben Körpergewicht auch mit Körperbehaarung und Menstruation und ihre Forderungen werden heute zunehmend von Werbeslogans vereinnahmt.
Doch auch wenn Body Neutrality – gerade von feministischen Medien – schnell als „die neue, bessere“ Body Positivity dargestellt wurde, so haben beide Bewegungen immer noch ihre Berechtigung. Solange Schönheit ein so hoher Wert zugeschrieben wird und ‚schöne‘ Menschen unzählige Vorteile im Leben genießen, braucht es radikale Body Positivity, die inklusivere Schönheitskonzepte entwirft und mehr Menschen Zugang zu dieser vorteilhaften Kategorie verschafft. Body Neutrality ergänzt diesen Ansatz, indem sie den Wert von Schönheit als solchen in Frage stellt und dazu aufruft, alle Körper ungeachtet ihres Aussehens in ihrem „Da-und-So-Sein“ zu akzeptieren. Besonders für jene Menschen, die stark unter Schönheitsdruck leiden und mit Selbsthass zu kämpfen haben, weil ihre Körper gesellschaftlich als ‚hässlich‘ oder ‚eklig‘ stigmatisiert werden, kann neutrale Körperlichkeit erleichternd sein. Anstatt neue Ideale auszurufen oder rund um die Uhr Selbstliebe praktizieren zu müssen, eröffnet Body Neutrality Räume für ein Hinnehmen von Körpern und ihren Veränderungen ohne Wertung. Oder um es mit @minusgold zu sagen: „Have a body. nothing more, nothing less.“
Elisabeth Lechner (@femsista) ist Kulturwissenschafterin. Ihre Arbeitsschwerpunkte liegen an der Schnittstelle von Popkultur-Studien, feministischer Medienwissenschaft, Affect und Body Studies.