Das queere Filmfestival Identities zeigt in Wien wieder zahlreiche sehenswerte Spielfilme und Dokumentationen von Regisseurinnen. FIONA SARA SCHMIDT hat das erschütternde reale Justizdrama “Southwest of Salem” gesehen.
Es klingt wie der Plot einer sehr weit hergeholten Folge der US-Gefängnisserie „Orange Is The New Black“: Nachdem eine junge Frau ihre beiden Nichten beaufsichtigt hat, werden sie und drei lesbische Freundinnen der Gruppenvergewaltigung bezichtigt. Es soll sich dabei um eine rituelle satanische Gewaltorgie mit den Mädchen gehandelt haben. Die Anschuldigungen sind zwar haltlos, doch vor Gericht werden sie nicht entkräftet, sondern führen zu langen Gefängnisstrafen und einem zermürbenden Kampf für Gerechtigkeit.
Wahrer Albtraum. Elizabeth Ramirez, genannt Liz, ist 1994 19 Jahre alt und lebt im texanischen San Antonio. Liz teilt sich die Wohnung mit Kris Mayhugh. Seit Kurzem leben außerdem Anna Vasquez und Cassie Rivera, die gemeinsam Cassies Kinder aufziehen, mit in der Wohnung, weil ihre Mütter sie hinausgeworfen haben.
Als Liz die sieben und neun Jahre alten Töchter ihrer Schwester 1994 für eine Woche bei sich wohnen lässt, kommt es zur Anklage durch den Vater der Mädchen. Liz’ Ex-Schwager hatte auch versucht, bei Liz zu landen, und will sich nun rächen. Die Anklage liest sich wie eine schlechte Männerfantasie, doch es kommt zu einem Gerichtsverfahren. Liz Ramirez wird zu 37,5 Jahren Haft verurteilt, ihre Freundinnen zu je 15 Jahren. Liz ist schwanger, wenige Tage nach der Geburt ihres Sohnes muss sie 1997 ihre Haft antreten.
True Crime. Die 1980er und 1990er sind nicht nur die Zeit der New-Age-Spiritualität, der Gurus und des Ökofeminismus, sondern in den USA auch die der Hysterie vor satanistischen Hexen, über die breit berichtet wird. Im Fall der „San Antonio Four“ genannten vier lesbischen Frauen – drei von ihnen Latinas aus konservativen katholischen Familien – kommt es bei der Anklage zu einer Verschränkung von Frauen- und Homofeindlichkeit, Rassismus und Klassismus. Die Justizopfer aus der Arbeiter_innenklasse nehmen anfangs keine anwaltliche Beratung in Anspruch – zu absurd scheinen die Vorwürfe. Medial wird der skandalöse Fall zunächst kaum beachtet. Erst ab 2009 berichtet die lokale Presse, 2012 beginnt die Regisseurin Deborah S. Esquenazi die inhaftierten „San Antonio Four“ im Gefängnis zu filmen. Die „New York Times“ berichtet, Anwält_innen der NGO Innocence Project schalten sich ein, die LGBTQ-Community formiert sich zum Protest.
Justizopfer. Die Regisseurin spricht auch mit den angeblichen Opfern, deren Vater und der Großmutter, auf die sich die Anklage neben den Aussagen der Kinder stützte. Private Filmaufnahmen aus jener Zeit fangen unbeschwerte Momente ein und bilden genau wie die Gefängnisgebäude im gleißenden Sonnenlicht, die wirklich haargenau wie in „Orange Is The New Black“ aussehen, einen krassen Gegensatz zu den berichteten Demütigungen. So müssen Trainings für Sexualstraftäterinnen besucht werden, nach der Entlassung muss man sich in Texas auch als solche registrieren und darf sich Kindern nicht nähern. Den Stein ins Rollen bringt schließlich eine neue Aussage einer der Nichten. Außerdem ist das Gutachten einer Ärztin mittlerweile medizinisch nicht mehr haltbar. Die „San Antonio Four“ bereiten sich auf ihr Wiedersehen vor.
Ziviler Ungehorsam. „Southwest of Salem“ steht beim Identities Filmfestival exemplarisch für die Schwerpunkte Zivilgesellschaft und Feminismus. Im Bereich Dokumentation sind Porträts über die Aktivistin Thérèse Clerc und die Soziologin Christine Delphy und die mitreißende Doku über die US-Frauenbewegung „She’s Beautiful When She’s Angry“ zu sehen, außerdem eine charmante Kurzdoku über Journalistinnen in Österreich von Elisabeth Spira, die 1977 entstand. Regisseurinnen bleiben auch bei queeren Festivals häufig die Kurzfilme überlassen, deshalb bietet Identities heuer auch zahlreiche lange Spielfilme von Regisseurinnen wie etwa die auf dem amerikanischen Land angesiedelte Liebesgeschichte „AWOL“ von Deb Shoval, „Dohee-Ya“ über eine südkoreanische Polizistin, die mit Vorurteilen zu kämpfen hat von July Jung oder den israelischen Eröffnungsfilm „Bar Bahar“ von Maysaloun Hamoud.
Southwest of Salem. The Story of the San Antonio Four
USA 2016, 91 Min.
Regie: Deborah S. Esquenazi
Identities. Queer Film Festival
8.–18.6. in Wien
Eröffnung: Gartenbaukino
Programm: Filmcasino & Metro Kino