In der Serie „Transparent“ muss eine Familie sich nicht nur der neuen Identität der Hauptfigur stellen. Von ARTEMIS LINHART
Der Serientitel ist ein Wortspiel, das zunächst die Hauptfigur Maura beschreibt. Sie ist „trans“ und sie ist „parent“. Aber auch auf einer anderen Ebene ist der Begriff charakteristisch für die Serie, denn sie handelt vom widersprüchlichen Zusammenspiel von Offenheit und Heimlichkeit – sowohl innerhalb einer Familie als auch einer einzigen Person. Maura wurde bei ihrer Geburt das männliche Geschlecht zugewiesen. Nun, endlich in Rente, legt sie ihre jahrelange Verkleidung ab und lebt fortan offen als Frau – nicht mehr nur verstohlen an einem Wochenende im abgelegenen „Camp Camellia“, einem Zufluchtsort für Gleichgesinnte. Der gesamten Familie öffnen sich durch diese Entscheidung plötzlich Türen zu Erkenntnissen und Antworten, nach denen sie bislang nicht einmal bewusst auf der Suche waren.
Female Gaze. Kreiert wurde die Serie von Jill Soloway, der Autorin und Produzentin von „United States of Tara“ und „Six Feet Under“, zwei Serien, bei denen ebenfalls die Familie im Zentrum steht und Geschlechtergrenzen ausgelotet werden. Soloway will den omnipräsenten „Male Gaze“ des Film-Business unterwandern und gemeinsam mit Serienschreiber*innen wie Jenji Kohan („Weeds“, „Orange is the New Black“) stattdessen einen „Female Gaze“ etablieren, der das Leben wie auch Sex und Begierde aus weiblichem* bzw. genderqueerem Blickwinkel zeigt.
Ihr selbst verordnetes „Transfirmative Action Program“ bevorzugt transgender-Bewerber*innen beim Casting. Das Einzige, was die sonst begeisterten Kritiken häufig monierten, war deshalb die Besetzung der Hauptfigur mit dem Cis-Mann Jeffrey Tambor. Transfrau Zackary Drucker und Transmann Rhys Ernst, beide ProduzentInnen von „Transparent“, begründen diese Entscheidung gegenüber Bitch Media u.a. damit, dass Maura zu Beginn der Serie als Mann lebt und sie es als beleidigend empfunden hätten, eine Transfrau zu engagieren, um sie dann in eine männliche Verkleidung zu stecken.
Beispielgebend. Die Figur der Maura ist nicht nur der Dreh- und Angelpunkt der Serie, sondern auch ihrer Familie. So führt ihre beispielgebende Entscheidung bei anderen Familienmitgliedern dazu, dass auch diese die Bereitschaft und den Mut aufbringen, neue richtungsweisende Lebensentscheidungen zu treffen und neue Facetten ihrer Persönlichkeiten zu entdecken und anzunehmen. Das ist oft schmerzhaft, oft befreiend, meist ist es beides. Zwar macht Maura die scheinbar größte Veränderung durch, doch in vielerlei Hinsicht ist ihre die simpelste, denn sie ist sich ihrer Sache sicher. Auch die anderen durchleben ihre individuellen Verwandlungen, sind jedoch noch von mehr Unsicherheiten geplagt.
„Transparent“ mag als einfache Coming-out-Story beginnen, bietet jedoch viel mehr Aspekte. Soloway driftet dabei nie ins Belehrende ab, auch weil sie Mauras Geschichte nicht symbol- oder gar schablonenhaft inszeniert, sondern als individuelle und sehr persönliche Erzählung. Sie geht liebevoll ins Detail, bietet gleichzeitig aber genügend Identifikationsfläche, indem sie die gesamte Familie als Konfliktfeld miteinbezieht. Es geht um Mauras Ringen um die eigene Identität, deren Herausbildung seit jeher eine sehr fordernde Angelegenheit war. Vom Kampf, sich selbst als trans wahrzunehmen und zu akzeptieren, bis hin zur Herausforderung, Jahre später der Familie gegenüberzutreten und deren heiß ersehnte Akzeptanz zu gewinnen. Es beginnt bei der Verzweiflung, die das kontinuierliche Verstecken und Verstellen für Maura mit sich bringt, und endet beim banalen und doch so bedeutsamen Lernen des richtigen Gebrauchs von Pronomen für den Rest der Familie. Dabei entsteht der Eindruck, als redeten die Familienmitglieder oft völlig aneinander vorbei. Doch genau dieses Unverständnis, die scheinbare Unmöglichkeit des Zueinanderkommens ist vertraut und macht das Realistische der Serie aus.
Verkleidungen. Eine Schlüsselszene, die lange nachklingt, ereignet sich beim ersten Aufeinandertreffen der beiden Welten: Als eine ihrer Töchter Maura fassungslos fragt: „Are you saying that you’re going to start dressing up as a lady all the time?”, antwortet Maura lachend: „No, honey. All my life – my whole life, I‘ve been dressing up like a man. This is me.“
Artemis Linhart hat eine Schwäche für Qualitätsfernsehen.
Transparent. USA 2014
1. Staffel (englisch und deutsch) auf www.amazon.de (Pilotfolge gratis).