Basierend auf den Erfahrungen in einem US-Frauengefängnis zeugt die Serie „Orange Is The New Black“ davon, dass es im Fernsehen noch immer ein Privileg ist, über Privilegien reden zu können. Von CAMILLE DEGOTT
Bei der Veröffentlichung der Serie im Juli 2013 machte die US-amerikanische Netflix-Serie „Orange Is The New Black“ (OITNB) von sich reden: Einmalig in der Serienlandschaft zeichnet sich dieses Gefängnisdrama durch seine herausragende weibliche Besetzung (Bechdel-Test bestanden!) aus. Auch die Vielfalt der erzählten Geschichten und die Auseinandersetzung mit Themen wie Rassismus, Transphobie, Klassismus sowie dem US-Justizsystem waren ein Novum.
Angeblich basierend auf einer wahren Geschichte dreht sich OITNB um die im Frauengefängnis inhaftierte Piper Chapman, ein blondes Girl-Next-Door, das bisher in New York mit Boyfriend, eigener Bio-Kosmetik-Linie, Saftkur und „Mad Men“ lebte. Erst 15 Jahre nach dem ihr zur Last gelegten Vergehen wird sie wegen Drogengeldschmuggels verhaftet. Piper hatte sich nach ihrem Studium mit der Drogenhändlerin eines internationalen Kartells, der finsteren Alex Vause, eingelassen und war mit ihr und Drogengeld um die Welt gereist.
Gefängniswelt. Im Umfeld Pipers und auf der Folie ihrer naiven und privilegierten Haltung gegenüber der Gefängniswelt – sie will ihre Haft nutzen, um fit zu werden, ihre Amazon-Wunschliste zu lesen oder ein Handwerk zu erlernen – entdecken die Zuschauer_innen eine Palette an faszinierenden Insassinnen sowie unheimliche bis widerwärtige Wärter_innen. Mit der Wahl eines Frauengefängnisses als Handlungsort öffnet OITNB ein Feld an Möglichkeiten für Persönlichkeiten abseits der Norm, die sonst wenig bis keinen Platz im Fernsehen haben. Women of Color, Queers, Transfrauen und ältere Frauen werden nicht nur sichtbar gemacht, sondern verfügen über eine eigene Sprechposition. Bald tritt die Geschichte um die etwas farblose Piper und ihre Affäre mit der wiedergefundenen Alex, die sich durch eine Ironie des Schicksals im selben Gefängnis befindet, hinter die weit spannenderen Erzählungen um ihre Mithäftlinge zurück. Dennoch ist es gleichzeitig zu bedauern, dass ein Gefängnis offenbar das einzige Setting ist, das solch eine Freiheit im Fernsehen erlaubt, wie etwa auch Lisa Udl in der Zeitschrift „Malmoe“ kritisiert.
Preis der Sichtbarkeit. Beeindruckend ist vor allem die Figur der Friseurin Sophia Burset, mit viel Talent von der Aktivistin Laverne Cox gespielt. Erstmals in einer großen TV-Serie ist damit eine Hauptrolle von einer Schwarzen Transfrau besetzt. Auch wenn diese Besetzung unleugbar einen Fortschritt markiert, wurde von Transaktivistinnen kritisiert, dass die Komplexität und Mehrdimensionalität der Persönlichkeit Sophias allzuoft auf ihr „Anderssein“ und ihren Körper reduziert wird. Bloße Sichtbarkeit alleine ist nicht befriedigend, wenn sie der Reproduktion von Stereotypen über Transfrauen dient.
Trojanisches Pferd. Für die Schöpferin Jenji Kohan ist die Figur Pipers als weiße „nice lady“ ein „Trojanisches Pferd“, mit Hilfe dessen sie die Geschichte von marginalen Positionen erzählen kann. Piper unterscheidet sich von den anderen dadurch, dass ihr Schicksal nicht von ihrer ethnischen und Klassenzugehörigkeit determiniert ist. Dadurch werden auch ihre Privilegien sichtbar. Gleichzeitig aber wurde von vielen Blogger_innen of Colour bemerkt, dass die Serie sich nach wie vor um eine normierte TV-Figur dreht und überhaupt erst möglich wurde weil die „echte“ Piper nach ihrer Inhaftierung ein Erfolgsbuch schreiben konnte, was für meiste Insassinnen unvorstellbar gewesen wäre.
Es bleibt zu hoffen, dass die nun anlaufende zweite Staffel etwas von der formulierten Kritik aufgreift. Auf jeden Fall ist OITNB schon jetzt eine Serie mit schönen Überraschungen und viel Potenzial.
Zweite Staffel ab 6. Juni auf dem US-Bezahlsender Netflix, erste Staffel auf DVD (englisch)
Camille Degott studiert Gender Studies und Geschichte an der Universität Basel. Auch wenn ihr Seriengeschmackt manchmal zu wünschen übrig lässt, schämt sie sich nicht ihrer Liebe zu OITNB.