Mit einer Vintage 4×5-Kamera dokumentiert MOLLY LANDRETH „alternative bodys“ und „alternative couples“. ANDREA HEINZ hat sich ihr Projekt „Embodiment“ angesehen.
Die USA sind ein riesiges Land mit fast zehn Millionen Quadratkilometern. Und wenn es in der Nationalhymne heißt, dass dieser riesige Brocken an Fläche das „Land of the Free“ beherbergt, dann ist das gelogen. Auch symbolisch gesehen ist dieses Land ein Brocken; es ist die Verkörperung von immenser, fast obszön großer Macht. Wie jede anständige Großmacht setzt auch diese Normen – und produziert dabei Ausschlüsse aus diesem Bereich des Normalen, des Akzeptierten. Molly Landreth fährt mit ihrer Vintage 4×5-Kamera durch dieses Land und fotografiert seine Bewohner_innen, Einzelpersonen ebenso wie Paare. Es sind nicht einfach irgendwelche Leute, es sind allesamt queere Menschen – Lesben und Schwule, Bisexuelle und Transgender. Molly Landreth nennt sie „alternative bodys“ und „alternative couples“, ihr Projekt „Embodiment“ trägt den Untertitel „A Portrait of Queer Life in America“. 80 Porträts mit persönlichen Statements und 18 Kurzfilme sind auf der Homepage Embodimentusa.com zu finden, sie werden episodisch veröffentlicht und ausgetauscht. Molly Landreth hofft, dass diese Bilder so etwas wie ein bleibendes Archiv für kommende Generationen werden. „Brave new vision of what it means to be queer in America today“, steht darüber. Tatsächlich ergeben diese Bilder ein Porträt des „anderen“ Amerika – zugleich aber auch eines des gewöhnlichen Amerika und wie es mit diesen alternativen Lebensformen umgeht. Zum einen zeigen die Bilder das klassische Setting US-amerikanischer Romanzen, wie man sie aus den Hollywood-Studios kennt. Hier aber werden sie neu erzählt, neu gedeutet. Ein lesbisches Pärchen in ihrem Auto mit Blick auf das nächtliche Seattle. Eine Frau mit ihrem Mann, den Kindern und ihrer Lebensgefährtin vor einem Holzhaus im Wald. Oder ein junger Mann auf einer Rollschuhbahn. Es sind die Orte, an denen sich auch die klassischen Liebesnarrative abspielen, doch auf Molly Landreths Bildern werden sie von anderen, von queeren Lebensformen bevölkert. Diese Menschen erzählen Molly Landreth ihre Geschichte; und nicht selten ist diese Geschichte eine von Unterdrückung, Identitätskämpfen und Schmerzen.
„Me Me Me. Sometimes even discussing my own identity creates boundaries and constraints that I am not entirely comfortable with“, heißt es unter dem Bild von Elliot, aufgenommen 2007. „Queer is probably the most suitable name for my identity because it allows for Auidity, but even Queer has it’s expectations and associations that I don’t feel represent me.“ 2011 hat Elliot seine Geschichte ergänzt. Er hat nun die letzte seiner OPs hinter sich, aber immer noch weigert er sich, eine einzige Identität vollständig anzunehmen. Sprache, sagt er, könne nicht angemessen beschreiben, wie er sich selbst in der Welt fühlt und situiert.
Dyiamond (sic!) Dynasty aus Saint Louis fotografierte Molly 2009. Als das Bild aufgenommen wurde, habe er sich verwirrt und verängstigt gefühlt, sagt Dyiamond 2011. Er trägt darauf ein Shirt mit stilisierten Einschusslöchern. Im Video erzählt er von befreundeten Transgender, die ermordet wurden.
Molly hat auch zahlreiche Paare fotografiert. Es sind intime Einblicke in die Beziehungen, oft liegen die Partner_innen in ihrem Bett, oder sie sitzen gemeinsam am Küchentisch. „Es liegt viel Stärke darin, die Mitglieder dieser marginalisierten Community zu zeigen, die so stark sein müssen und miteinander doch so zart umgehen“, sagt Molly dazu. „Statt völlig übersexualisierte Bilder zu machen, geht es in meinen Fotos um Stärke und Ehrlichkeit – ohne jede Scham oder Verlegenheit.“ Bei all der Stärke aber will Molly Landreth die Enttäuschungen und die Einsamkeit, die das Anderssein und ein Leben nach dem Outing mit sich bringen können, in ihren Bildern nicht verschweigen. Ihre Bilder sind Porträts von Menschen, und sie zeigen alles, was diese Menschen bewegt: Schmerz und Verzweiflung, Angst und Wut ebenso wie Liebe, Glück und Geborgenheit. „Ich will eine große Spanne an Emotionen und eine große Spanne an Leben abbilden“, sagt sie, und tatsächlich ist jedes einzelne Bild genau das: ein ganzes Leben.