Feminismus trägt man heute nicht mehr im Herzen, sondern als Slogan auf der Unterhose. Dem Hintern darin wird trotzdem erfolgreich Cellulite-Creme verkauft. Ein neues Buch beklagt den Sell-out der Frauenbewegung. Von LEA SUSEMICHEL
Dem Feminismus droht sein absoluter Ausverkauf, warnt Andi Zeisler, Mitgründerin des „Bitch Magazine“, in ihrem vielbeachteten neuen Buch. Und das, obwohl er durch Celebritys wie Beyoncè und Emma Watson gerade erst cool geworden sei. Aber für Zeisler ist das Teil des Problems: Feminismus ist nur dann salonfähig, wenn er in einer glossy-glamourösen Wohlfühl-Variante daherkommt und dadurch letztlich systemstabilisierend ist. Aber der Kampf für fundamentale Veränderung und Gerechtigkeit ist eben kein Spaß im „Riot not Diet“-T-Shirt und mit „feminist as fuck“-Halskette, lautet Zeislers Resümee – er ist harte Arbeit.
Trotz dieser offensiven „feminist Killjoy“-Haltung („die humorlose Feministin“) ist die Lektüre des Buches ein großes Vergnügen, denn die Autorin illustriert anekdotenreich und mit pointierten popkulturellen Beispielen ihre gar nicht lustige Kernthese: Wir haben es heute mit einem „Feminismus des Marktes“ zu tun, dessen Freiheitsversprechen sich zu neoliberaler Selbstverantwortung, individueller Identitätsfindung und persönlichem Erfolgsversprechen mit unbegrenzter Konsumverheißung gewandelt hat.
Freiheit mit Flügelbinden. Aus der vormals hochpolitischen „Choice“, bei der es Frauen um politische Entscheidungsmacht oder um die Selbstbestimmung über ihren Körper geht, sei inzwischen die Wahl zwischen verschiedenen verdauungsanregenden Joghurtdrinks, Low-Carb-Müsliriegeln und saugstarken Flügelbinden geworden. Der Feminismus ist zwar vom ersten Augenblick an vermarktet worden, analysiert Zeisler: Die emanzipierte Frau ist so frei und raucht und sie hat eine Kreditkarte. Doch seit eine freizügige Wonderbra-Kampagne mit gigantischen Plakatwänden am Times Square zum selbstbewussten Ausdruck von Selbstermächtigung und Sexualität stilisiert wurde, sind Werbestrategien immer perfider und dreister geworden. Inzwischen würde Shapewear – die Korsette der Gegenwart – nicht als einengend, sondern im Gegenteil gar als befreiend verkauft. Denn ob Brust-OP, Botox oder höllisch hohe High Heels: Wir machen das heute alles nicht mehr, um anderen zu gefallen, sondern allein für uns selbst, lautet die längst Marketingstrategie gewordene verlogene Phrase.
Femvertising. Zeislers Gegenwartsdiagnose, die zugleich eine kurzweilige Zusammenschau des US-Feminismus der letzten Jahrzehnte bietet, ist einerseits zwar sehr aktuell, trotzdem liest sich die aufgebrachte Anklage gegen kapitalistische Vereinnahmung und Vermarktung wie aus der Zeit gefallen. Schließlich lag der Fokus vieler Feminist_innen zuletzt tatsächlich eher darauf, wie lustvoll und subversiv z. B. auch Sexyness sein kann. Dagegen klingt Zeislers old-school-kämpferische Generalabrechnung mit frauenfeindlicher Popkultur fast schon wieder revolutionär: Das Geschäft mit all diesen Produkten funktioniere nur deshalb, weil weibliche Unsicherheit zuerst erzeugt und dann adressiert wird. Selbstbewusste, zufriedene Frauen würden all den Scheiß einfach nicht kaufen und mit sich machen lassen.
Wenn als „Femvertising“ gefeierte Kampagnen wie die von Dove für „Wahre Schönheit“ mit ganz normalen Frauen wirbt, dann besteht ihre Leistung nach Zeisler lediglich darin, dass die Zielgruppe ausnahmsweise nicht völlig fertiggemacht wird, bloß um sie danach mit irgendeinem Beautyprodukt wieder aufzupäppeln zu können. Neue Problemzonen und damit neue Märkte kreieren sie trotzdem, Dove zum Beispiel die weibliche Achselhöhle, für deren vormals unbekannte Unzulänglichkeiten es nun eigene Produkte gibt.
Frauenhasser-Feminismus? Die feministische Wahlfreiheit beschränkt sich jedoch nicht auf neue Produkt- und Identitätspaletten, sondern auch auf die Art des Feminismus selbst, der völlig beliebig definiert werden kann und sogar von Sarah Palin und Pro-Life-Aktivistinnen reklamiert wird: „Was kommt als nächstes: He-Man-Frauenhasser-Feminismus?“
Trotz ihrer eigenen Leidenschaft für Popkultur räumt Zeisler ein, dass zu dieser Beliebigkeit nicht zuletzt auch innerfeministische Debatten über Seriencharaktere und Schamhaarfrisuren beitragen, die leicht den Eindruck erwecken können, Feminismus hätte mehr mit Lifestyle als mit Lohngerechtigkeit zu tun.
Lösungen für das Dilemma bietet sie keine an, formuliert in der Widmung für ihren Sohn, die dem wohltuend wütenden Buch vorangestellt ist, aber zumindest eine schöne Hoffnung: Möge seine Generation diejenige sein, die „finally figures this shit out“, schreibt sie.
Andi Zeisler: We Were Feminists Once. From Riot Grrrl to Cover Girl®, the Buying and Selling of a Political Movement
Public Affairs 2016, 23,90 Euro