„Is your hair still political?“, fragt Audre Lorde in einem Text aus dem Jahr 1990*. Dass Haare für Schwarze Frauen in den USA weiterhin ein Politikum sind, lernen wir in Chimamanda Ngozi Adichies neuem Roman. Von PAULA BOLYOS
Das Haar ist der rote Faden der Geschichte über Ifemelu, die aus Nigeria in die USA kommt, um dort zu studieren und zu arbeiten. Das Haar, geflochten, geglättet oder als natürlicher Afro getragen, zeichnet auch Ifemelus Emanzipationsgeschichte nach. Was Ifemelu lernt, als sie in die USA kommt: Sie lernt, dass es „race“ gibt. Sie lernt, dass sie in einer rassistischen Gesellschaft niemanden rassistisch nennen darf.
„Lass es lustig klingen“. In ihrem Blog, den sie schon bald sehr erfolgreich zu betreiben beginnt, schreibt Ifemelu: „Wenn Du einer nicht-schwarzen Person von einem rassistischen Vorfall erzählst, der dir widerfahren ist, darfst du keinesfalls bitter klingen. Beklage dich nicht. Verzeihe. Wenn möglich, lass es lustig klingen. Vor allem werde nicht wütend. (…) Das gilt übrigens nur für weiße Liberale. Spar dir die Mühe einem weißen Konservativen etwas von einem rassistischen Vorfall zu erzählen, (…) denn der Konservative wird dir weismachen wollen, dass DU der wahre Rassist bist, und dann bleibt dir vor Verwirrung der Mund offen stehen.“
Sie lernt, dass das Haar zu einem Vorstellungsgespräch geglättet sein sollte. Sie lernt amerikanisches Englisch zu sprechen. Sie lernt eine Americanah zu sein, wie solcherart assimilierte Afrikanerinnen von ihrer Community spöttisch genannt werden.
Kein nächstes Mal. Vor langer Zeit haben Obinze und Ifemelu sich ineinander verliebt. Wieso Ifemelu die Beziehung kurze Zeit nach ihrem Umzug in die USA schweigend abbricht, weiß Obinze nicht. Er schafft es nicht bis nach Amerika, obwohl er sein Leben lang davon geträumt hat. Er landet lediglich in einen Vorort von London, dort arbeitet er mit falscher Sozialversicherungsnummer, für deren Verwendung er seinen Lohn teilen muss, immer mehr abgeben muss, bis er verweigert, was nicht ungestraft bleibt. Er wird verraten und verhaftet. Für viele ist die Abschiebehaft nicht neu, sie werden es wieder versuchen, es wird ein nächstes Mal geben. Nicht so für ihn. Obinze gelingt der gesellschaftliche Aufstieg erst in Nigeria. Er gehört zu den Wohlhabenden, Einflussreichen, er heiratet eine andere, sie bekommen ein Kind. Alles, wie es sich gehört, bis Ifemelu plötzlich wieder nach Lagos zurückkehrt.
Den Schein wahren. Glück vorzuspielen, nicht nur in den USA, ist ein großes Thema in Adichies neuem Roman. So zu tun, als wäre es in Ordnung, mit einem Mann zusammen zu sein, weil Frauen ohne einen nicht viel wert sind. Ifemelus Tante Uju wählt einen einflussreichen General, doch als er stirbt, steht sie mit dem kleinen Kind ohne Absicherung da. Uju ist Ärztin, aber in Nigeria sieht sie keine Zukunft für sich. In den USA wiederum muss sie erst Prüfungen nachholen, um praktizieren zu dürfen. Sie absolviert sie und findet wieder einen Mann, der sie nicht glücklich macht. Auch ihr Sohn hält durch. Hält die rassistischen Bemerkungen in der Schule aus und lacht darüber. Bis er keine Kraft mehr hat.
Und Ifemelu verliert die Geduld. Sie hält den Schein nicht länger aufrecht. Sie legt das amerikanische Englisch ab, das sie sich zuvor mühsam erarbeitet hatte. Sie schreibt ihren Blog und benennt, was sie erstaunt und empört. Sie trägt ihre Haare als Afro.
Adichie zeigt, wie es ist, als Schwarze Person aus einem Land des globalen Südens in die USA oder ein Europa zu wollen, dessen Grenzen für die nicht erwünschten Menschen immer undurchlässiger werden. Oder sie zeigt, was es bedeutet, als Frau – egal wo – unabhängig leben zu wollen. In ihrem großen neuen Roman ist es Chimamanda Ngozi Adichie gelungen, wichtige Themen zu einer Geschichte zu verknüpfen, die spannend und berührend zu lesen ist, die oft Spaß und immer wieder sehr wütend macht.
* Rudolph P. Byrd (Ed.): I Am Your Sister: Collected and Unpublished Writings of Audre Lorde. Oxford University Press 2009
Chimamanda Ngozi Adichie: Americanah
S. Fischer Verlag 2014, 25,70 Euro