Ein gerappter Roman und eine Wiedergängerin von Nina Simone aus London, eine kuwaitische Adeptin von „Sinogrime“ und OldSchool-HipHop für die Ladys in drei Sprachen – der Sommer strahlt jetzt schon. Von SONJA EISMANN
Kaum zu glauben, dass diese Powerpackung einer jungen Frau bei uns noch völlig unbekannt ist. Denn Kate Tempest, die 27-jährige Rapperin, Spoken-Word-Künstlerin und Theaterautorin aus Südlondon, hat bereits so viel an Meriten eingesammelt, dass einer schwindlig wird: Sie ist auf so ziemlich jedem großen Festival aufgetreten und war bereits Support für Größen wie Billy Bragg, Femi Kuti und Saul Williams. 2013 wurde ihr der prestigereiche Ted Hughes Award für Lyrik verliehen, sie unterrichtete in Yale und am Goldsmiths College, kooperierte mit Amnesty International und schrieb im Auftrag der Royal Shakespeare Company, Channel 4, BBC und sogar Aung San Suu Kyi. „She has no right whatsoever to be as good as she is“, bemerkte ihr musikalischer Manchmal-Partner Scroobius Pip ironisch und bringt damit auf den Punkt, wie fassungslos man vor der mitreißenden Dringlichkeit steht, mit der Tempest ihre düster-mythologischen und dabei so absolut heutigen Alltagsbeobachtungen aus dem Schmutz Londons in einem nie abreißenden Strom aus halb gesungenen, halb gesprochenen Worten ausspuckt. Dabei ist Everybody Down (Big Dada/Ninja Tune/Rough Trade, VÖ 16.05.), das vom renommierten Produzenten Dan Carey aka Mr Dan (M.I.A., Kylie Minogue, Santigold etc.) mit smooth bouncenden bis bedrohlich dystopischen Soundkulissen aufgenommen wurde, auch in seiner Form einzigartig. Denn statt in isolierten Tracks über die eigene Greatness zu rappen, wendet sich Kate Tempest der anderen großen, oft vergessenen Tradition des HipHop zu: Sie erzählt eine ausufernde Geschichte von Liebe, Geld, Drogen und Sexarbeit, die von Track zu Track wie ein Roman in einer Komplexität verbunden ist, die auch nach vielmaligem Hören und Aufdröseln der Stränge noch nicht ganz zu fassen ist. Thrilling.
Auch Zara McFarlane, ebenfalls aus London, erzählt auf ihrer neuen, zweiten Platte If You Knew Her (Brownswood Recordings / Rough Trade, VÖ 28.03.) Geschichten, inspiriert „von all den lebenslustigen, tollen Schwarzen Frauen, die mich umgeben“. Doch wo Kate Tempest auf Drastik und emo-tionale Unmittelbarkeit setzt, geht die ausgebildete Jazzsängerin die Themen ihres Albums, das „ganz allgemein die Stärke von Frauen zelebriert – vom Alpha-Tier bis zur Hausfrau“, mit der smoothen Eleganz ihres Genres an. Die vom „Weltmusik-Zampano“ Gilles Peterson entdeckte Musikerin, die 2012 mit dem Starpianisten Gregory Porter mehrere Nina-Simone-Tribute-Konzerte gab, wandelt auf den Spuren überlebensgroßer Vorgängerinnen wie Ella Fitzgerald, Roberta Flack oder eben Nina Simone, und ist dabei mit ihren zurückgelehnten, exquisit perlenden Soulkompositionen doch absolut eigenständig. Die extrem sparsame Instrumentierung aus Bass, Hang, Gitarre oder Klavier bleibt stets minimalistisch und formt damit den perfekten Hintergrund, der McFarlanes Stimme zum Glänzen bringt.Minimalismus ist ihre Sache nicht: Die aus Kuwait stammende, in New York und London lebende, überstylishe Elektronikproduzentin Fatima Al Qadiri, die mit hippen Desigern wie Hood by Air und Telfar Clemens befreundet ist und sich bereits als Konzeptkünstlerin einen Namen gemacht hat, widmet ihr erstes Album Asiatisch (Hyperdub/Cargo, VÖ 05.05.) nach drei EPs der westlichen Konzeption von China, gefiltert durch popkulturelle Referenzen. Die mit düsteren Soundscapes, kitschigem, pseudo-„fernöstlichen“ Geplänkel und Vocals in (Nonsens-)Mandarin überladenen zehn Tracks mit Titeln wie „Wudang“, „Dragon Tattoo“ oder „Forbidden City“ spüren dem Genre des „Sinogrime“ nach – und das, bevor Al Qadiri überhaupt wusste, dass dieses tatsächlich seit den 00er Jahren in East London existiert. Eine bewusst verwirrende Angelegenheit, die uns klanglich und intellektuell stimulierend unsere Verstricktheit in (post)koloniale Denkmuster vor Augen führt.
„I don’t have kids and I don’t have money and I don’t have a man who can call me honey“, so stellt sich Vaitea auf ihrem Album Word Citizen (BBE Records, VÖ 05.05.) ihren Hörerinnen vor. Und tatsächlich ist die junge Rapperin eine „World Citizen“: geboren in Neuseeland, Mutter italienisch, Vater französisch, Wurzeln in Polen, der Türkei und Sibirien und mit einem polynesischen Namen, komponiert sie in drei Sprachen und mixt die Genres HipHop, Soul, Jazz und Spoken Word. Mit oldschooligen, upliftenden Vibes verbreitet Vaitea massig Empowerment-Messages für die Ladys – ein Track wie „Holdaline“ lässt süße Erinnerungen an Queen Latifah feat. Monie Love mit „Ladies First“ wach werden. Perfekt, um im Sommer laut aus runtergerollten Autofenstern und geöffneten Balkontüren zu quellen.