Kurz vor Weihnachten werden in Harlem nicht mehr erwartete Wunder wahr, es gibt sonischen Protest aus der Türkei und straight nach vorne reitenden Rock aus DC. Von SONJA EISMANN
Überraschung! Das Album der New Yorker Rapperin Azealia Banks, seit ihrem Smash-Hit „212“ im Jahr 2012 immer wieder angekündigt und verschoben, ist endlich erschienen. Und das ohne Vorwarnung und vor allem ohne großes Label im Rücken, sondern als Digital-Release auf diversen Musiksites. Denn die selbst ernannte „Cunt Queen“ aus Harlem, erst 23 Jahre alt und Absolventin der berühmten LaGuardia High School of Performing Arts, hat sich von ihrem Label Universal losgesagt, weil diesem das produzierte Material wohl als kommerziell zu wenig erfolgsversprechend erschien. Keine Überraschung jedoch: Broke With Expensive Taste ist der Knaller geworden, der zu erwarten war, und das wohl gerade deswegen, weil nicht mit der Brechstange die Charts erobert werden sollen. Nach abgebrochenen Kooperationen mit verschiedenen Produzenten wie u.a. Disclosure stand zu befürchten, dass das nie mehr etwas wird mit einem ganzen Album. Zumal Banks, wohl auch wegen ihres jugendlichen Alters, zwischenzeitlich in unzählige Twitter-Kriege verwickelt war – Klatsch-Blogger Perez Hilton, der die von ihr als „charcoal bitch“ gedisste Konkurrentin Angel Haze verteidigte, wurde von Azealia als „faggot“ bezeichnet, was sie rückblickend als Kritik nicht an seiner sexuellen Orientierung (Banks ist selbst bisexuell), sondern an seiner Misogynie verstanden wissen will. Doch hier ist es, 16 Tracks stark und brechend voll mit Banks’ Trademark-Raps in halsbrecherischem Tempo, Raphouse-Anleihen, UK Garage, pumpenden Eurodance-Synths, Trap-Gewittern, smoothen R’n’B-Vocals, übercoolem Missy-Elliott-Gerappe in „Heavy Metal and Reflective“, uplifiting Salsa mit spanischem Gesang in „Gimme a Chance“ und sogar einem Cover von Ariel Pinks „Nude Beach-A-Go-Go“ im 1960s Surfstyle. Manchmal hat man das Gefühl, dass nicht nur das Album Genre-technisch ein wenig disparat ist, sondern dass auch die Songs, die aus großartigen Parts bestehen, an manchen Stellen auseinanderstreben oder gar zerfleddern. Dann jedoch ist genau das Pastiche-artige, das Deliziöse an diesem Album einer toughen jungen „Cunt“, die, nach dem Leben mit einer gewalttätigen Mutter und Depressionen, noch so einige Widerstände bezwingen wird.
Um Widerstand geht es auch im neuen Album der türkischen Künstlerin und Musikerin Pinar Üzeltüzenci, die 1979 geboren wurde und sich für ihre musikalischen Produktionen Biblo nennt. Auch wenn Absence mit seinen verhallten Loops, experimentellen Soundscapes und Fieldrecording-Versatzstücken so gar nichts von dem hat, was die meisten Menschen mit dem Genre „Protestsong“ assoziieren, ist die Entstehungsgeschichte der 13 Tracks mit harter Politik verwoben. Denn als während eines Berlin-Aufenthalts Pinars Visum auslief, entschied sie sich Anfang 2013 dafür, nach Istanbul zurückzukehren, wo zu diesem Zeitpunkt die Gezi-Proteste ausbrachen. Auf beinahe gespenstische Weise hallt nun in diesen Stücken, die laut der Künstlerin von einer fundamentalen Abwesenheit – der Abwesenheit von Bedeutung, von Verlangen, von Wurzeln – gekennzeichnet sind, der Sound der Repression nach; der beginnende Einsatz von Wasserwerfern, das Zischen von Tränengas, ein einsam klingelndes Telefon. In seiner hypnotischen, verhaltenen Langsamkeit ist das ebenso bedrückend wie berü- ckend – und auf subtile Weise politisch.
Subtil ist bei Ex Hex, dem neuen Bandprojekt von Indie-Ikone Mary Timony, ab dem allerersten Gitarrenakkord eher nichts. Aber damit muss sich eine Musikerin, die die 1990er-Jahre mit einer Band wie Helium und nachfolgenden Soloveröffentlichungen durch ihren so unnachahmlich ätherisch-unheimlichen Indiesound massiv geprägt hat, wohl auch nicht aufhalten. Mit den ebenfalls in DC lebenden Mitstreiterinnen Laura Harris und Betsy Wright veröffentlicht die Mittvierzigerin das ungestüm nach vorne reitende Rockalbum Rips mit einer Vorliebe für abgewetzte Jeans, die Voidods und Texte über geklaute Geldbörsen. Nur durch die mitunter hallenden, sich frech bis sehnsüchtig umeinanderwickelnden Frauenvocals blitzen dann doch ein paar kleine nostalgische Reminiszenzen an früher auf – ganz subtil.
www.azealiabanks.com
http://biblo.bandcamp.com
www.exhexband.com