Genres waren gestern, heute ist Musik. Das gilt auch für Rap. Von SOOKEE
Ließe sich nicht recherchieren, dass Amplify Dot aus einer Vielzahl produzierter Songs für ihr Major-Album aussieben musste, sich nicht von ebenjenen Tracks, die es nicht aufs anstehende Album schaffen sollten, verabschieden konnte und daraus ein Mixtape geschraubt hat – ich hätte es erraten. Die zwölf Songs auf Spare Parts kommen groß! Ohren, die mit dem tendenziell überfüllten Sound von chartkompatiblem Maximalpop nichts anfangen können, werden mit dem Mixtape überfordert sein. Solche, die vielschichtige Synthieflächen, gechoppte Autotune-Voices und ambitionierte Drumsets genießen können, werden hier hingegen sehr glücklich. Musikalisch lehrt uns das Mixtape im Zuge dieser angenehmen Überdimensionierung unter anderem, was eine harte Snare ist („Three Little Pigs“) und was kontrastive Bridges sind („Whore House“). Amplify Dot represented im UK-Pool des Female Rap die tomboyishe Attitude, die auf „Spare Parts“ ungebrochen richtig viel Spaß transportiert.
Ebow kommt aus München, sie bezeichnet ihre Musik als Alternative-Hip-Hop und scheint insgesamt an der Konkretisierung von Genres nicht so wirklich interessiert zu sein. Eine solche Verweigerungshaltung fühlt sich modern an und ist förderlich für die Auseinandersetzung mit dem, was sie musikalisch und inhaltlich rausreicht. Mit ihren Songs und in Interviews hinterlässt Ebow den Eindruck, dass sie mehr ein intuitiver als ein analytischer Mensch ist, was ihr Material noch glaubwürdiger wirken lässt. Von Kalkül keine Spur – die Frau liebt, was sie tut. Da lässt sich auch ohne Weiteres über die sehr vordergründigen musikalischen, stimmlichen und ästhetischen Parallelen zu M.I.A. in Zeiten von „Arular“ hinwegsehen.
Der Titel ihres aktuellen Mixtapes Habibi’s Liebe & Kriege wirkt etwas eindimensional, ist aber sehr treffend gewählt. In einem rhythmisch und dynamisch durchgängigen Flow geht es um Globalisierung, Konsumkritik, Kriegsindustrie, Geschlechterbilder, rassistische Zuschreibungen, Selbstdarstellung, Artikulationen innerhalb der Liebe und Artikulationen über Liebe.
Das für gegenwärtige deutschsprachige Rap-Standards anarchistischste Lied darunter ist das siebte in dem Videosnippet zum Mixtape und wird mysteriöserweise auf ihrer Soundcloud nicht aufgeführt. Hier finden queere Benennungen statt, die ungewöhnlich tun, es aber gar nicht sind. Sehr erfreulich, das Ganze.
BadKat ist keine Rapperin, BadKat ist MC: Auf der Bühne ist sie fleischgewordene Self-Confidence, immer dicht an der Teacher-Attitude, unwahrscheinlich erfahren und begabt in Sachen Freestyle. Keine Gelegenheit vergeht, in der sie nicht grundaufrichtig zu Facetten menschlicher Größe wie Solidarität, Ehrlichkeit, Integrität, Willensstärke oder Selbstvertrauen aufruft. All diese Themen stecken auf Trapped in a World Behind My Eyelids in unsagbar vielen Rhymes. Teilweise sehr verschlüsselt, teilweise in konfrontativem Battle-Modus, teilweise sozialkritisch eingetütet. Die bassigen Dubstep-Teppiche, auf denen BadKat sagenhaft souverän flowt, wurden allesamt von Giotto produziert und supporten die kryptische Tiefe ihrer Texte.
Ein anspruchsvolles Album, in das man gleichermaßen schnell zum nebenbei Weghören einsteigen wie gründlich eintauchen kann. Eine ganze komplexe Welt eben, wie der Titel schon ankündigt. Ich ziehe alle zur Verfügung stehenden Hüte.
Politisch lässt sich Schwesta Ewas Mixtape Realität nicht empfehlen, ganz im Gegenteil: Sie wird von Malestream-Rappern protegiert und hat deren heterosexistisches Weltbild gründlich verinnerlicht. Dennoch finde ich es wichtig, die Frau solidarisch zu erwähnen, die 2012 in der deutschsprachigen Rap-Szene die meiste Aufmerksamkeit generieren konnte. Nach eigener Aussage hat sie lange Jahre auf dem bissigen Asphalt des Rotlichtmilieus als Sexarbeiterin Euros gemacht. Heute rappt sie ausschließlich darüber und ist somit im Gangsta Rap eine weibliche Stimme, die nicht klingt, als könne man ihr reinreden. Die Szene sieht sich mit einer kontroversen Frau konfrontiert und kommt nicht klar. Richtig so.
Links
www.amplifydot.co.uk
www.ebowx.de
http://badkat.bandcamp.com
www.facebook.com/SCHWESTA.EWA
1 Kommentar zu „an.klang: Repräsentation 1: Schublade 0“
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