Musikalisch bringt uns das noch junge Jahr die Wiederkehr lang Vermisster, außerdem afrofuturistische R’n’B-Lyrik und intelligenten Disco-Punk. Von SONJA EISMANN
Zehn Jahre. So lange mussten die treuen Fans auf ein neues Album von Sleater-Kinney warten, die 2006 ihre Auflösung bekannt gegeben hatten. Als es Ende letzten Jahres angekündigt wurde, gab es Jubel, Tränen, Hysterie. Nun ist es schwierig, mit kühlem Kopf über die so heiß erwartete neue Platte eines idolisierten Frauenrocktrios von der amerikanischen Westküste zu schreiben, das für viele so eng mit der Geschichte von Riot Grrrl verknüpft ist (obwohl Sleater-Kinney streng genommen erst groß wurden, als Riot Grrrl bereits Geschichte war). No Cities to Love (Sub Pop/Trost) – ein irgendwie ironischer Titel, da die gesamte Band höchst zufrieden mit dem Alternativ-Paradies Portland als Wohnort zu sein scheint, dem Gitarristin Carrie Brownstein mit ihrer erfolgreichen Comedy-Serie „Portlandia“ liebevolle Denkmäler setzt. Das achte Album in zwanzig Jahren ist eine hochprofessionelle, vor Energie berstende Rockplatte, der die Spielfreude aus jedem Ton tropft. Diese spezielle Chemie zwischen Carrie, Corin Tucker und Janet Weiss führt bei zornigen bis upliftenden Lyrics über Kapitalismus und Freundinnenschaft zu wohligen Wiedererkennungsschauern. Doch neben all den selbstbewusst bretternden und klotzenden Rockgesten, mit denen sich Sleater-Kinney spätestens seit „The Woods“ (2005) den Macker-Rock angeeignet haben, kommen die melancholischen, oft wunderbar dissonanten, schräg umeinander gewickelten Gitarrenlinien der früheren Kompositionen, die eine ganze eigene queere Ästhetik entfalten konnten, dieses Mal ziemlich kurz. Beweisen konnte sich das Trio in der weißen Rockwelt mit dieser fulminanten Rockkutsche alleMal, aber ob sie sich damit nicht ein wenig rough über die eigenen Füße gefahren sind, müssen die Hörerinnen entscheiden.
THEESatisfaction kommen zwar auch von der Westküste, und ihr Wohnort Seattle liegt quasi nur einen Steinwurf von Olympia, dem feministisch-mythenumrankten Gründungsort von Sleater-Kinney, entfernt, doch musikalisch bewohnt das Duo einen anderen Planeten. Ob dieser wirklich Earthee (Sub Pop/Trost) ist, wie die zweite Platte von Cat und Stas heißt, oder doch ein unbestimmter Ort im Outer Space, den die beiden Alternativ-Rapperinnen in afrofuturistischer Tradition möglicherweise aufsuchen möchten, um dem irdischen Rassismus zu entfliehen, bleibt, trotz suggestiv spacigem Cover, unklar. Wie so vieles bei diesen facettenreichen Spoken-Word-R’n’B-Künstlerinnen, die statt einer Presseinfo einen Brief des neuen Albums an die HörerInnen verfasst haben („They made me for you“ – ganz richtig, die Platte spricht zu den Fans). Mit einem smoothen Flow zwischen HipHop, R’n’B, Electro-Funk und Broken Beats wirken viele der Tracks wie lyrische Streams of Consciousness, die jedoch mit Titeln wie „Universal Perspective“, „Planet for Sale“ oder „Post Black Anyway“ erstaunlich konkret werden. Auch wenn eine „Pitchfork“-Rezensentin Plattitüden, die statt afrozentrisch nur simplizistisch in Bezug auf Schwarze Frauen wirkten, in einem Beitrag der kooperierenden männlichen Mitstreiter Shabazz Palaces und Porter Ray bemängelt und generell die Catchiness vermisst, so macht doch genau Letzteres den Reiz von THEESatisfaction aus: dass die Musik wie ein interessantes Gedicht Layer für Layer erschlossen werden muss.
Voll elegant auf die Zwölf geht es dagegen in der Munich Disco, zusammen mit der dort beheimateten Band Pollyester rund um die in Weißrussland geborene Sängerin und Bassistin Polina Lapkovskaja. Stumpf ist der Zweitling des mittlerweile zum Quartett angewachsenen Projekts, der sich mit dem Titel City of O. (Disko B/Schamoni Musik/Indigo) auf ihren Sehnsuchtsort in der marokkanischen Wüste, ein Land-Art-Projekt des Künstlers Hannsjörg Voth, bezieht, dabei in keiner Sekunde. In anregendstem Party-Habitus stampft und tänzelt sich die Band durch coole Referenzen wie 80s-Synth-Pop, Disco-Punk und Diskurs-Elektro. „Wear your heart in your boots“ – wenn das mal keine ebenso party- wie alltagstaugliche Lektion ist!