Alte Häsinnen und junge Begegnungen: Die HipHop-Playlisten bekommen neues Material. Femtastic! Von SOOKEE
Der Scheuklappen-Blick im Deutschrap hinsichtlich weiblicher Präsenz zeigt sich dieser Tage rund um das anstehende Release Karma Karussell (58muzik/Good To Go) von Nazz. Sie ist eine, die eigentlich dabei sein müsste, wenn mühselig an einer Hand – seltener an zwei Händen – Namen von Rapperinnen abgezählt werden, wenn es denn sein muss. Nazz ist schon so viele Jahre dabei, eigentlich sollte jeder HipHop-Fan wenn schon nicht einen Refrain mitrappen, so doch zumindest ihre Stimme auf Anhieb identifizieren können. Nazz macht es dem Publikum allerdings nicht leicht: Sie spielt das Spiel nämlich schlichtweg nicht mit, verweigert das Posen im Rampenlicht, schmeißt die Promo-Maschine eher widerwillig an, gibt in Interviews kaum etwas preis und käme vor allem nie auf die Idee, die zweischneidige Frauen- oder gar Lesbenkarte zu spielen. Stattdessen will, nein, muss sie einfach schreiben, und ab und an werden Songs potenzielle Kandidaten für ein Album, das dann erst ein paar Jahre später seinen Weg in die Öffentlichkeit findet.
Inhaltlich ist sie ganz und gar nicht beliebig, dennoch bietet sie viel Identifikationsraum: Es geht um die Tiefen des Lebens und die psychoemotionalen Schichten, die noch darunter liegen. Um die knallharten Momente des Selbstzweifels, die Unfähigkeit, sich mit sich selbst zu arrangieren, geschweige denn zu versöhnen, aber auch darum, dass die Liebe den Menschen im Leben hält und Ängste und Überforderungen zumindest für eine kleine Weile an den Horizont verschiebt. Nazz konfrontiert und fordert aufmerksame Ohren nicht zu knapp. Flows und Reime treten bei so viel lebensphilosophischer Routine und MC-Souveränität in den Hintergrund, sodass sich in Gänze auf das Innere einer wunderschönen, reifen Stimme konzentriert werden kann.
Oh Blimey ist insgesamt eine gute Nachricht: Eine junge, queere Rapperin aus San Francisco, die unheimlich hungrig jedes Mic verschlingt, das ihr angeboten wird. Ihre Delivery brennt sich ein, die Flows sind kreativ und präzise, Rap-technisch und gesanglich wird die erfahrene Hörerin unheimlich glücklich gemacht. Eine wirklich vielversprechende Künstlerin, deren Zukunft Großes verheißt. Ihr aktuelles Mixtape Mnfsto (Download) verabreicht eine wohltuende Mischung von Ausgelassenheit und Party mit kritischen Erzählungen rund um die Gnadenlosigkeit der Musikindustrie und den Erfahrungen, die eine junge Frau wie Oh Blimey macht, die nicht willens ist, in Schubladen zu verschwinden.
Ihr Weg beginnt im Kongo, führt sie kurz nach Russland, lange Zeit nach Frankreich und trägt sie aktuell nach Deutschland: Carmel Zoum sammelt musikalische und kulturelle Einflüsse und befindet sich deshalb in ständiger Entwicklung. Die Metapher der Verwandlung inspirierte sie zum Titel ihre Debüt-Albums Skwamat (Springstoff/ Download), das sich eben auf die Häutung bei Reptilien bezieht. Der Sound bewegt sich zwischen Dancehall, Drum’n’Bass, Reggae und Soukuss, und Carmel Zoum nutzt diesen Raum, um sich textlich linkspolitischen Klassiker- Themen wie Kapitalismuskritik, Antirassismus und Anarchie zu widmen.
Hochgradig ambitioniert überraschte das schwedisch-holländische All-Women-Projekt FAM mit einem 7-Track-Minialbum Fam First (Download) Anfang des Jahres die europäischen HipHop-Standards. Rund zwanzig Members aus den Crews „Dam Dutchess“, deren Mistressmind MC Melodee unheimlich kraftvoll die Fahne für Skills und Solidarität schwingt, und „Femtastic“, die Dank DJ Eka Scratch den Weg in das Projekt fand, zelebrieren weibliche Hörbarkeit. In nur drei Tagen wurde das Release aus der Taufe gehoben, nachdem sich rund 15 MCs in Amsterdam im Studio aufeinander einließen. Das Ergebnis ist ein beeindruckend vielfältiges HipHop-Album, das Trap, Bass, Dancehall und Soul auf einen Beat bringt. Ein Mammutprojekt, das in seinem Vorbildcharakter dringend zur Nachahmung empfohlen ist: In einer kleinen Dokumentation zum Projekt beschreibt MC Melodee, dass die Wirksamkeit wächst, wenn man das eigene Ego beiseite tut, einander Raum gibt und sich wechselseitig bestärkt.
Nazz: Karma Karussell http://www.nervousnazz.de
Oh Blimey: Mnfsto (Mixtape) ohblimeymusic.com
Carmel Zoum: Skwamat www.carmelzoum.biz
FAM: Fam First www.damdutchess.com
2 Kommentare zu „an.klang: Häutungen und Versteckspiele“
huhu, besserer nazz link: http://www.nervousnazz.de
merci beaucoup 🙂
ist ausgebessert – danke für den hinweis!