Das politische Commitment enden wollend, die Finanzierung chronisch unzureichend. Der Kampf gegen Gewalt an Frauen verliert in Österreich an Bedeutung. Punktuelle Zugeständnisse wie während der Corona-Krise reichen nicht. Von Nicole Schöndorfer
Es war eine Erleichterung, als Frauenministerin Susanne Raab von der ÖVP gemeinsam mit Justizministerin Alma Zadić von den Grünen ein Maßnahmenpaket gegen häusliche Gewalt verkündete, das gewaltbetroffene Frauen während der Corona-Krise besser schützen sollte. Feminist*innen und Gewaltschutzexpert*innen haben überall auf der Welt Alarm geschlagen, als Regierungen Ausgangsbeschränkungen und Selbstisolation verordneten. Es ist bekannt, dass es in Krisenzeiten verstärkt zu Gewalt kommt. Wenn Betroffene dann den Ort, an dem sie Gewalt zum Großteil erfahren, nämlich zuhause, nicht mehr verlassen können, um sich psychische und physische Hilfe zu holen, ist das eine Katastrophe. Gewaltschutzeinrichtungen überlegen sich alternative Möglichkeiten, um Frauen helfen und betreuen zu können. Doch sie allein können die Verantwortung eines Staates nicht schultern. Was steht also in dem Maßnahmenpaket der österreichischen Regierung?
Ruhig Blut. Erst einmal sollte es der Beschwichtigung dienen. Es wurde betont, dass der Polizei- und Justizapparat uneingeschränkt gegen Gewalttäter vorgehen würde. Davon abgesehen, dass dieser auch in Zeiten ohne COVID-19 nur eingeschränkt funktioniert, was Strafverfolgung und Opferschutz angeht, ist es für Betroffene unter diesen Umständen noch schwieriger, an Hilfe zu gelangen. Auch an telefonische Unterstützung. Schließlich ist der Täter quasi ständig im Raum. Außerdem haben auch Gewaltbetroffene die Angst, die alle anderen haben, wenn sie mit Menschen in Kontakt kommen: zu erkranken und jemanden zu gefährden. Zadić hat hierzu angekündigt, von den „Sonderermächtigungen”, die sich in einem eigenen Bundesgesetz betreffend Begleitmaßnahmen zur Epidemie in der Justiz finden, Gebrauch machen zu wollen. Diese sollen es Betroffenen leichter machen, an einstweilige Verfügungen durch die Polizei zu kommen. Das ist gut, doch in Krisensituationen überlegen es sich Frauen wohl noch öfter, ob sie diesen Schritt gehen sollen. Sie könnten Angst haben, dass der Täter, der vielleicht zur Risikogruppe gehört, erkrankt. Gewaltbeziehungen sind kompliziert.
Zudem soll die Frauenhelpline personell und finanziell aufgestockt und die Onlineberatung ausgebaut werden, auch in Supermärkten sollen Broschüren aufliegen. Alle Landesregierungen hätten überdies zugesichert, die Plätze in den Frauenhäusern zu erhöhen, obwohl, so Raab, noch kein Anstieg zu verzeichnen sei. Auch hier kann das reale Ansteckungsrisiko für die Betroffenen ein Grund sein, zu zögern. All die Risiken müssen für eine Strategie mitbedacht werden. Das Maßnahmenpaket könnte also mehr in die Breite und Tiefe gehen, berücksichtigt aber essentielle Punkte. Doch was kommt danach?
Berichtigtes Misstrauen. Man sollte dem „Frieden“ und dem Interesse am Gewaltschutz nicht leichtfertig trauen. Es ist Aufgabe einer Regierung, in Krisen zu reagieren. Dass sie es tut, ist angemessen und kein feministischer Akt. Wenn man in Versuchung kommt, dankbar zu sein für das absolut Mindeste an Schutzmaßnahmen, sollte man sich die Situation vor Corona in Erinnerung rufen. Seit Jahresbeginn wurden in Österreich sechs Frauen von ihren (Ex-)Partnern ermordet. In einem besonders brutalen Fall blieb es beim Versuch. Mit dem Frauenministerium wurde trotz grüner Regierungsbeteiligung eine ÖVP-Politiker betraut, die gleichzeitig Integrationsministerin ist. Frauenministerin Raab fällt durch Aussagen über „kulturell bedingte“ Gewalt auf.
Was ist noch passiert? Die Leitung der Salzburger Frauenhäuser wurde ausgeschrieben. Es wird eine Zerschlagung etablierter Strukturen und Eliminierung kritischer Stimmen befürchtet. Feminist*innen und Gewaltschutzexpert*innen haben die Ausschreibung geschlossen abgelehnt. Der zuständigen Salzburger NEOS-Frauenlandesrätin Andrea Klambauer war das erst egal. Anfang März wurde beschlossen, dass die Ausschreibung aufgeschoben wird. Maria Rösslhumer, Geschäftsführerin des Vereins Autonome Österreichische Frauenhäuser, hofft, dass die Ausschreibung damit vom Tisch ist. Sie befürchtet aber auch, dass Ausschreibungen in Österreich zur Normalität werden könnten. Rechtlich gesehen muss im Sozialbereich nicht ausgeschrieben werden. „Ein Wettbewerb birgt die Gefahr, dass sich Trägervereine bewerben, die sich nicht auskennen in der Frauenhausarbeit. Vielleicht war die Idee, kleine Institutionen wie Frauenhäuser in größere Einrichtungen zu integrieren, weil kleine Institutionen teurer sind und weniger kritischer Widerstand erwartet wird, wenn ein riesiger Apparat dranhängt“, sagt Rösslhumer. „Frauenhäuser müssen aber ihre Autonomie und Unabhängigkeit bewahren können, damit sie Frauen und Kindern den größtmöglichen Schutz garantieren können.”
Sophie Hansal, Koordinatorin der Allianz GewaltFREI leben, spricht aus Erfahrung. „Ein Punkt sind die Leistungsverträge. Mit der Ausschreibung der Gewaltschutzzentren und Interventionsstellen wurde für den vollen Förderbetrag beispielsweise jeweils eine Mindestanzahl an betreuten Fällen beschlossen. In Wien wurde da die höchste Fallzahl, die es bis dahin gab, als Sockel festgelegt, nämlich 5.800. Das ist jetzt das Minimum. Für die Beraterinnen ist das eine extrem hohe Zahl an Klient*innen und es gibt wenig Zeit für einzelne Fälle. An diesem Leistungsvertrag lässt sich im Nachhinein aber nicht mehr viel ändern”, sagt Hansal. Förderungen für Gewaltschutzzentren lassen sich nicht direkt kürzen, weil sie gesetzlich festgeschrieben sind. Wenn aber zum Beispiel die Polizei weniger Betretungsverbote verhängt, bedeutet das weniger Fälle und damit ein Zittern um Geld. Man denke an den plötzlichen österreichweiten Rückgang von Betretungsverboten bis zu 23 Prozent pro Monat, nachdem Türkis-Blau 2018 an die Macht gekommen war.
Zusammengekürzt. Damals ging es generell Schlag auf Schlag. Das sollte man nicht vergessen, denn die Akteur*innen sind heute größtenteils dieselben. Feministischen Vereinen, Organisationen und Gewaltschutzeinrichtungen wurden 2018 179.000 Euro und 2019 230.000 Euro an Förderungen gekürzt. Widerstand wurde bestraft. Auch wurden die MARAC-Fallkonferenzen zu schwerer Gewalt, die Gewaltschutzzentren mit der Polizei abgehalten hatten, aufgelöst. Außerdem muss der Verein AÖF sensibilisierende Schulungen für Polizeischüler*innen zu häuslicher Gewalt seither selbst bezahlen. Dann war da noch der Medienerlass aus dem Innenministerium. Die Polizei wurde darin angehalten, über Gewalt nur noch in spezifischen Fällen zu berichten. „Es hat Folgen, wenn nicht mehr über häusliche Gewalt berichtet wird und medial nur noch das Bild des fremden Mannes, der nachts aus dem Gebüsch springt und Frauen im öffentlichen Raum vergewaltigt, transportiert wird”, sagt Hansal.
Schließlich die Taskforce, für die Gewaltschutzexpert*innen aus allen Bereichen von der türkis–blauen Regierung zu einem runden Tisch eingeladen worden waren. Schlussendlich hat man sie um Expertise und Arbeitszeit beraubt, denn kaum eine der Forderungen schlug sich im daraufhin erarbeiteten Gewaltschutzgesetz nieder.
In den letzten Jahren wurden viele Maßnahmen gesetzt, die die Position von Gewaltschutzeinrichtungen und den Schutz der Betroffenen nachhaltig geschwächt haben. Gleichzeitig wurde stets betont, wie wichtig der Kampf gegen Gewalt an Frauen sei. Purer Zynismus. Kurz vor Beginn der Corona-Krise stellte sich die im Regierungsprogramm proklamierte „substanzielle Aufstockung” des Budgets als Erhöhung von zehn auf zwölf Millionen Euro heraus. Nach den Einschätzungen der Kampagne Allianz GewaltFREI Leben wären 210 Millionen Euro nötig, um eine gute Gleichstellungs- und Gewaltschutzpolitik machen zu können. Doch die ist wenig wert in Österreich. Ohne Bereitstellung der nötigen finanziellen Mittel fehlt ein klares politisches Commitment. Gerade in Zeiten der alltäglichen Krise, als die geschlechtsspezifische Gewalt bezeichnet werden kann.
Die Verantwortung, die der Staat hätte, wird stattdessen individualisiert und lastet immer stärker auf den Einrichtungen. „Das System funktioniert nur, weil die Mitarbeiter*innen nicht aufhören werden, Gewaltbetroffene zu betreuen. Aber wenn die, die eigentlich unterstützen sollten, ins Burnout schlittern, kollabiert das System”, sagt Hansal. Den fehlenden politischen Willen in Österreich bescheinigt seit 2016 auch der Grevio-Bericht, mit dem die Umsetzung der Istanbul-Konvention geprüft wird. Nächstes Jahr folgt der nächste.
Nicole Schöndorfer lebt und arbeitet als freie Journalistin und feministische Aktivistin in Wien. Sie beschäftigt sich mit medien- und gesellschaftspolitischen Themen aus linker Perspektive. Unter anderem in ihrem Podcast „Darf sie das?”.