Österreich verzeichnet seit dem vergangenen Jahr eine Welle an Femiziden. Was läuft falsch im Gewaltschutz? Betina Aumair hat bei Isabel Haider, Forscherin am Institut für Strafrecht und Kriminologie der Universität Wien, nachgefragt.
an.schläge: Mehr als zwei Frauen pro Monat wurden in Österreich im vergangenen Jahr durchschnittlich getötet, meist von ihren (Ex-)Partnern. Widmet sich die österreichische Politik dem Problem ausreichend?
Isabel Haider: Das Thema kommt zunehmend auch in der Politik an, allerdings werden die Geschlechtsbezüge im Diskurs ganz stark ausgespart. Selbst im Frauenministerium wird dieser Aspekt nicht besprochen. Ein Frauenministerium, das Feminismus nicht als Arbeitsgrundlage verwendet und von dem keine feministischen Impulse kommen, verantwortet mit, dass das Ziel, Geschlechtsbezüge bei der Gewaltprävention und bei der Bekämpfung miteinzubeziehen, im Grunde genommen verfehlt wird.
Aus meiner Sicht fehlt in der Politik ein holistisches Konzept, ein Aktionsplan, der auf mehreren Ebenen ansetzt. Man könnte die Istanbul-Konvention zum Vorbild nehmen und schauen, welche Bildungsmaßnahmen es braucht für die Sensibilisierung der Gesellschaft oder was getan werden kann, um das Strafverfolgungssystem zu verbessern. In Österreich wird im Grunde nur reagiert. Es braucht immer einen besonders spektakulären Mordfall, der dann zumindest bestimmte Maßnahmen auslöst. Wenn es um einen Mordfall geht, bei dem eine Waffe benutzt wurde, dann schrauben wir an den Waffengesetzen oder an den Gesetzen, die dafür sorgen, dass bei Annäherungsverboten und Wegweisungen automatisch ein Waffenverbot ausgesprochen wird. Es wird nicht überlegt, was wir längerfristig brauchen, damit wir dem Ganzen auch professionell begegnen können.
Warum gibt es in Österreich so viele Frauenmorde?
Kriminalstatistiken zwischen Ländern sind oft nicht so leicht vergleichbar. Es gibt große Unterschiede, z. B. ob Frauenmorde insgesamt gezählt werden oder Morde, die einen Geschlechtsbezug haben. In Österreich werden in den Statistiken nicht einmal Intimbeziehungsmorde erfasst, es wird derzeit generell mit ungenauen Kategorien gearbeitet. Das erschwert es, ländervergleichende Analysen durchzuführen.
Und es ist noch eine andere Annäherung möglich, nämlich der Vergleich der höheren Zahl von weiblichen Opfern gegenüber der männlicher Opfer in Österreich. Hierzulande wird davon gesprochen, dass Österreich ein sicheres Land sei und die Mordkriminalität jährlich zurückgeht. Das stimmt. Was aber nicht zurückgeht, ist die geschlechtsbezogene Gewalt gegen Frauen, also die häusliche Gewalt und die Morde in Intimbeziehungen.
Sie kritisieren die Kategorien, mit denen hierzulande gearbeitet wird, wie ist denn die Datenlage in Österreich in Bezug auf Femizide?
Geschlechtsbezogene Gewalt gegen Frauen wird als Kategorie gar nicht erfasst, da bei uns Kriminalstatistiken an einzelne Delikte anknüpfen – und der Femizid ist kein eigenes Delikt. Das Kriminalitätsphänomen können wir somit im Grunde nicht einordnen. Wir haben Statistiken zu Körperverletzungen oder zu gefährlichen Drohungen, aber innerhalb dieser Delikte können wir nicht abgrenzen, wie hoch der Anteil daran in Bezug auf die geschlechtsbezogene Gewalt an Frauen ist.
Andere Statistiken, mit denen wir uns der Thematik am ehesten annähern können, sind solche, die aus den jährlichen Tätigkeitsberichten von Opferschutzeinrichtungen gewonnen werden. Daneben gibt es eine punktuell veröffentlichte polizeiliche Statistik zu Wegweisungen und Annäherungsverboten. Beide betreffen häusliche Gewalt. Diese überschneidet sich zwar mit geschlechtsbezogener Gewalt gegen Frauen, aber die Bereiche sind nicht deckungsgleich. Gewalt gegen Frauen passiert auch außerhalb der häuslichen Sphäre, häusliche Gewalt passiert auch gegen andere Menschen als Frauen. Präzise offizielle Statistiken können sie somit nicht ersetzen.
Welche Probleme entstehen dadurch – und gibt es internationale Beispiele, an denen sich Österreich orientieren könnte?
Es ist nicht mein Verständnis von transparenter Polizeiarbeit oder von transparentem Politikhandeln, bestimmte Informationen entweder nicht erheben zu lassen oder, wenn sie in einem gewissen Umfang gesammelt werden, sie nicht aufzubereiten und der Bevölkerung zur Verfügung zu stellen. Das ist ja auch eine Forderung der Istanbul-Konvention, dass Statistiken zu Gewalt an Frauen veröffentlicht werden müssen. In anderen europäischen Ländern funktioniert das viel besser, z. B. in Spanien und Großbritannien, wo laufend Analysen von geschlechtsbezogenen Mordfällen gegen Frauen erfolgen, und zwar durch unterschiedlichste Stellen, die auch eng zusammenarbeiten. In Österreich gibt es weder eine Institutionalisierung der Zusammenarbeit von staatlicher Seite und Opferschutzeinrichtungen, noch gibt es ein einheitliches System. Das wäre aber wichtig, weil es für Transparenz sorgen würde und für mehr Handlungssicherheit.
Der Begriff Femizide hat hierzulande für Diskussionen gesorgt. Woher stammt er?
Der Begriff des Femizids wurde in den USA geprägt und 1976 erstmalig breit in der Öffentlichkeit verwendet. Damals schon diente er als politisch-aktivistischer Begriff, um auf die Problematik geschlechtsneutraler Mordstatistiken hinzuweisen und um für Tötungen an Frauen eine eigene Kategorie zu fordern, Russell betonte auch die misogynen Motive dahinter. Hier trennen sich aber die Wege zwischen Soziologie und Rechtswissenschaft. Gerade im Strafverfolgungssystem kann und muss im Grunde nur die Schuld des Täters beurteilt werden, eine etwaige Mitschuld der Gesellschaft kann das Strafverfolgungssystem nur bis zu einem gewissen Grad mitbeachten.
Gerade weil der Femizidbegriff auch die gesellschaftlichen Ursachen der Gewalt umfasst, fehlt er in vielen Strafverfolgungssystemen. Abseits der Schuldbeurteilung einzelner Täter sollte das Konzept jedoch in das Verständnis von geschlechtsbezogener Gewalt und in die Kriminalprävention einfließen. Für die Medien ist er geeigneter, da Journalist*innen auch auf gesellschaftliche Aspekte eingehen können.
Ein Merkmal, auf das die Politik immer ein Augenmerk hat, ist die Herkunft der Täter. Macht das überhaupt einen Sinn?
Der Bericht zur Kriminalstatistik besteht zu mehr als fünfzig Prozent aus Auswertungen zur Nationalität. Es werden Rankings erstellt, welcher Staatsbürgerschaft die meisten Kriminalitätsdelikte zuzuordnen sind. Für bestimmte Kriminalitätsphänomene kann das durchaus relevant sein. Aber gerade bei geschlechtsbezogener Gewalt ist das Merkmal Nationalität nur von äußerst eingeschränktem Interesse. Wir wissen studienbasiert, dass diese Form von Kriminalität auf der ganzen Welt vorkommt, es gibt nicht bestimmte Nationalitäten, die sie vermehrt begehen. Ehrenmorde oder auch z. B. weibliche Genitalbeschneidungen und daran anschließende Todesfälle sind Manifestationsformen, die man in einen kulturellen Zusammenhang bringen kann. Aber gerade Intimbeziehungsmorde kommen global vor, in allen Kulturen. Sinnvoller ist es, Fälle nach Risikofaktoren zu analysieren, die sich u. a. aus den Lebensumständen der Täter ergeben können. Also inwiefern formen sich Gruppen, bei denen Merkmale zusammenkommen, die als Stressfaktoren oder Schutzbarrieren wirken könnten.
In Österreich allerdings werden Intimbeziehungsmorde, die durch ausländische Täter begangen wurden, als kulturell bedingt dargestellt. Bei jenen, die durch österreichische Täter begangen werden, wird die kulturelle Bedingtheit hingegen komplett ausgespart. Es gibt keinen politischen Diskurs dahingehend, welche patriarchalen Einstellungsmuster sowie systemischen und strukturellen Faktoren es in der österreichischen Gesellschaft gibt, die geschlechtsbezogene Tötungen an Frauen eventuell mitbeeinflussen.
Das sind aber alles gesellschaftliche Einflüsse, die man mitbesprechen muss. •
Betina Aumair ist Genderforscherin und Erwachsenenbildnerin und liest, schreibt und spricht am liebsten über Feminismus, Klassismus und Bildung.