Der Gender Pension Gap beträgt in Österreich fast fünfzig Prozent, dennoch fällt das Thema medial wie politisch unter den Tisch. Gründe gegen die Ignoranz von BRIGITTE THEIßL
Das Thema Pensionen ist bei vielen – vor allem jungen Menschen und Frauen – in etwa so beliebt wie die jährliche Steuererklärung oder der Zahnarztbesuch. „Wir bekommen ohnehin keine staatliche Pension mehr“, hört man häufig von Leuten unter dreißig. Eine Botschaft, die Banken und Versicherungsunternehmen in den vergangenen Jahrzehnten geschickt in ihr Marketing integriert haben. Auch wenn sie faktisch nicht richtig ist (siehe Seite 8), hat sich die Erzählung von der überalterten Bevölkerung, leeren Staatskassen und gierigen BeamtInnen fest in den Köpfen verankert. Als ich vor Kurzem eine 59-jährige arbeitslose Frau beim Interview fragte, ob sie über ihre Pensionshöhe Bescheid wisse, antwortete sie: „Nein, darüber habe ich mich nicht informiert, ich wollte nicht noch tiefer in die Depression rutschen.“
Schwarz-Blaue Verschärfung. Ihre Sorge ist nicht ganz unbegründet: Im Dezember 2014 lag die Median-Alterspension von Frauen in Österreich monatlich bei 853 Euro, jene von Männern bei 1.608 Euro. In der Pension wird die Frauenrolle der „Zuverdienerin“ besonders deutlich und die Abhängigkeit vom (Ehe-)Partner einzementiert. Eine „Mindestpension“ existiert in Österreich gar nicht, die sogenannte Ausgleichszulage auf einen Richtwert von aktuell 882,78 Euro erhalten nur alleinstehende Personen. Wer 45 Jahre lang ohne jegliche Unterbrechung Vollzeit arbeitet und dabei 1.500 Euro brutto verdient, kann derzeit mit einer Alterspension von rund 1.200 Euro brutto rechnen. 2003/04 wurde von der Schwarz-Blauen Koalition eine große Pensionsreform umgesetzt, sie leitete einen massiven Umbau der sozialen Sicherung ein, der vor allem Frauen und Menschen ohne eine konstante Erwerbsbiografie hart trifft. Gefordert sind nun 45 Versicherungsjahre, das Pensionsantrittsalter von 65 Jahren gilt längst für einen großen Teil der Frauen (auch wenn medial vermittelte Debatten einen anderen Eindruck vermitteln). Relevant für die Pensionshöhe sind nicht mehr wie zuvor die besten fünfzehn Einkommensjahre, sondern die gesamte Erwerbsbiografie. Die Regierung unter Kanzler Schüssel setzte außerdem auf ein sogenanntes Drei-Säulen-Modell, betriebliche und (steuerbegünstigte) private Vorsorge sollten gefördert werden. Dass private Vorsorge freilich nur für jene Menschen eine Option ist, die über ein ausreichend hohes Erwerbseinkommen verfügen, bereitete der rechtskonservativen Koalition nicht weiter Kopfzerbrechen. Die beste Altersvorsorge ist ohnehin die in Österreich steuerfreie Erbschaft. Auch Ausbildungszeiten wie Studienjahre können in Österreich „nachgekauft“ werden, wodurch die Alterspension steigt. Benötigt wird dafür wiederum Kapital, über das AkademikerInnen zur Genüge verfügen – so zumindest die Annahme. Wer ein Studium abgeschlossen hat und dies nicht in eine Vollzeitbeschäftigung mit einem Netto-Einkommen von 2.000 Euro aufwärts umwandeln kann, ist ein Fehler im System.
Lückenlos. Soziale Sicherung beruht in Österreich auf Erwerbsarbeit, ausgegangen wird dabei von einem Modell, das seit den 1970er-Jahren stetig an Bedeutung verloren hat: lückenlose Erwerbskarrieren ohne Arbeitslosigkeit, Teilzeit, Krankheit, freie Dienstverträge und stagnierende Löhne. Atypische Beschäftigungsformen nehmen allerdings zu, auch eine lebenslange Anstellung bei einem Unternehmen ist längst nicht mehr die Regel, „illegal“ Beschäftigte – etwa in der Hauspflege – haben keinen Zugang zum Pensionssystem. Selbstständigen wie Ein-Personen-Unternehmen, die über die Hälfte der heimischen Firmen ausmachen, werden durch die hohe Grenzbelastung bei Steuer und Sozialversicherung indirekt Anreize geboten, möglichst wenig in die Sozialversicherung einzuzahlen – zusätzlich müssen sie einen höheren Anteil ihres Einkommens für Unfall-, Kranken- und Pensionsversicherung abgeben als unselbstständig Beschäftigte. Und da wäre noch der riesige Komplex der Sorgearbeit, der in Österreich nach wie vor Frauensache ist. Zwar können Auszeiten etwa nach der Geburt eines Kindes im System geltend gemacht werden, aber auch Teilzeitarbeit bei Frauen ist häufig auf familiäre Aufgaben zurückzuführen. Einzig Wien bietet in Österreich eine sehr gute Infrastruktur in Sachen Kinderbetreuung, in anderen Bundesländern ist eine Vollzeitarbeit beider Elternteile häufig gar nicht möglich.
Realitätsschock. Über all die Auswirkungen, die Teilzeitarbeit, prekäre Beschäftigung und Karenzzeiten auf die Pensionshöhe haben, informieren Institutionen wie die Arbeiterkammer, Frauenabteilungen in den Bundesländern und das Frauenministerium seit geraumer Zeit. Wer sich die Broschüren durchblättert, wird auf den harten Boden der Realität zurückgeholt – was durchaus sinnvoll ist. Denn nur wer gut darüber informiert ist, wie viele Schwachstellen und Ungerechtigkeiten das österreichische Sozialsystem beinhaltet, kann auch informierte Kritik üben. Diese Kritik ist allerdings schnell verstummt. Während sich zu Zeiten von Schwarz-Blau breiter Protest gegen neoliberale Reformen formierte, ist das Pensionssystem als frauenpolitisches Thema – abgesehen vom Pensionsantrittsalter – weitgehend aus dem öffentlichen Diskurs verschwunden. Auch im feministischen Umfeld, wo sich ohnehin nur ein engagierter, eingeschworener Zirkel mit Fragen der Ökonomie auseinandersetzt, taugt die Pension nicht zur Mobilisierung. Dabei eröffnet sich gerade hier wie in kaum einem anderen Bereich ein ganzes Feld an zentralen gesellschaftspolitischen Fragen. Die Frauen- bzw. Sozialpolitik hat sich in den vergangenen Jahrzehnten darauf beschränkt, innerhalb des bestehenden Systems zu denken. Über die Auswirkungen von Teilzeitarbeit wird informiert, grundlegende Reformen werden jedoch nicht angedacht. Fragen nach der Bewertung von Arbeit, nach sozialer Sicherung unabhängig von Erwerbsarbeit und sozialem Zusammenleben, das nicht nur als erwerbsmindernder Faktor betrachtet wird, bleiben unbeantwortet bzw. werden erst gar nicht gestellt. Es liegt also an der Zivilgesellschaft, an engagierten Feministinnen und AktivistInnen, soziale Gerechtigkeit zum Thema zu machen – und damit auch einzelnen engagierten PolitikerInnen Rückenwind zu verschaffen. Ein Blick auf das persönliche Pensionskonto könnte für die nötige Motivation sorgen.