Mit der Regierung Trumps drohen in den USA massive Einschnitte im Bereich reproduktiver Gesundheit – mit globalen Auswirkungen. Von BERNADETTE SCHÖNANGERER
Täglich erhält US-Vizepräsident Mike Pence Dankesbriefe von Planned Parenthood. Denn inzwischen sind Zehntausende Menschen Protestaufrufen gefolgt und haben im Namen des radikalen Abtreibungsgegners an die NGO gespendet, die Frauen bei ungewollter Schwangerschaft unterstützt und die deshalb seit Donald Trumps Wahlerfolg akut bedroht ist.
Während der Wahlkampf des Mitte Jänner vereidigten US-Präsidenten durchwegs von rassistischen und sexistischen Inhalten getragen war, änderte Donald Trump bei den Themen Abtreibung und gleichgeschlechtliche Ehe immer wieder seinen Standpunkt – was viele Beobachter_innen auf eine liberalere Politik hoffen ließ. Doch auch wenn Trumps abtreibungsfeindliche Haltung weniger auf einer tieferen Überzeugung zu beruhen scheint, sondern angesichts der großen Gruppe Evangelikaler in den USA wohl eher strategisch motiviert ist: Die Postenbesetzungen in seinem Regierungskabinett demonstrieren eine klare politische Linie.
Nicht zuletzt aufgrund Trumps Prahlen mit sexuellen Übergriffen waren bzw. sind religiöse Gruppen bezüglich Donald Trump gespalten. Die Ernennung des ultrakonservativen Evangelikalen Mike Pence als running mate sollte die Unterstützung der religiösen Rechten sichern. Wie seit dem Wahlerfolg von Ronald Reagan in jedem Wahlkampf, spielte das Thema Abtreibung auch diesmal wieder eine entscheidende Rolle für die Mobilisierung christlicher Wähler_innen.
Republikanische Hardliner. Mit der Nominierung von Tom Price als Gesundheitsminister – einem erklärten Gegner von Obamacare – hat Trump eines seiner zentralsten Wahlversprechen nochmals bekräftigt: Gemeinsam mit der Aufhebung des Affordable Care Acts soll auch die staatliche Unterstützung für die Organisation Planned Parenthood gestrichen werden. Mike Pence kampagnisiert bereits als Gouverneur von Indiana seit Jahren gegen die Organisation, einem wichtigen Anbieter sexualmedizinischer und gynäkologischer Gesundheitsversorgung in den USA. Planned Parenthood bietet Vorsorgeuntersuchungen und Krebsabstriche, Tests auf und Behandlung sexuell übertragbarer Krankheiten, Sexualaufklärung und kostenlosen Zugang zu Verhütungsmitteln an. Staatliche Unterstützung bekommt die Organisation vor allem in Form einer Rückvergütung durch Medicaid, eine sozialhilfeähnliche Leistung für Menschen mit niedrigen Einkommen, und über „Title X“, ein Programm zur Förderung von Familienplanung für Menschen ohne Krankenversicherung. Republikaner_innen ist die Organisation vor allem deshalb ein Dorn im Auge, weil sie auch Abtreibungen durchführt. Hardliner wie Pence kritisieren aber auch die Verteilung von Kondomen und Sexualaufklärung als „frühe Sexualisierung “ von Kindern.
Roe v. Wade. Im Supreme Court, dem Obersten Gerichtshof der Vereinigten Staaten, ist seit dem Tod des Obersten Richters Antonin Scalia vor einem Jahr ein Sitz vakant. Aufgrund des hohen Alters mehrerer Richter_innen gilt es außerdem als wahrscheinlich, dass weitere Neubesetzungen in Trumps Regierungszeit fallen werden. Trump hat bereits angekündigt, konservative Richter_innen mit einer „Pro-Life“-Agenda einsetzen zu wollen, um Roe v. Wade, das Grundsatzurteil von 1973, das einen legalen Zugang zu Abtreibungen in den USA sichert, zu kippen. Würde das Urteil tatsächlich aufgehoben, würden bundesstaatliche Gesetzgebungen den Zugang zu Abtreibung regeln. Doch derzeit besteht nur in sieben Bundesstaaten das uneingeschränkte Recht auf Abtreibung. In jüngster Zeit wurden in mehreren Bundesstaaten überdies radikale Verschärfungen diskutiert: In Indiana und Texas soll ein neues Gesetz Kliniken dazu verpflichten, Föten nach Schwangerschaftsabbrüchen oder Fehlgeburten zu bestatten. In Ohio wird nach einer Reihe ähnlicher Gesetzesvorschläge in anderen Bundesstaaten derzeit die sogenannte Heartbeat Bill verhandelt, die Abtreibungen bereits nach der sechsten Schwangerschaftswoche verbieten soll – einem Zeitpunkt, an dem viele Frauen noch gar nicht wissen, dass sie schwanger sind.

Zum Schweigen gebracht. Eine von Trumps ersten Amtshandlungen war auch die Wiedereinführung der Mexico City Policy, die so genannt wird, weil sie 1984 unter der Regierung Reagan auf der UN-Weltbevölkerungskonferenz in Mexico City verkündet wurde. Dieser Grundsatz besagt, dass Organisationen keine Gelder über USAID, die Behörde für Entwicklungszusammenarbeit, bekommen können, wenn diese Abtreibungen durchführen, diesbezüglich beraten oder sie in irgendeiner Form öffentlich befürworten. Mit dem Helms Amendment gibt es bereits seit 1973 einen Zusatz zur Verfassung, wonach keine US-Gelder in der internationalen Zusammenarbeit für Abtreibungen eingesetzt werden dürfen. Die Mexico City Policy, aufgrund ihres Zensurcharakters auch Global Gag Rule („Knebelregel“) genannt, trug so nicht nur dazu bei, den Zugang zu legalen – und damit sicheren – Abtreibungen auch dort einzuschränken, wo sie gesetzlich erlaubt sind, sondern erschwerte es auch, über die Gefahren unsicherer Abtreibungen zu sprechen. Die Klausel war ursprünglich von 1985 bis 1993 in Kraft, bis sie unter Bill Clinton aufgehoben wurde. George W. Bush führte sie 2001 wieder ein, von dessen Nachfolger Barack Obama wurde sie bei Amtsantritt erneut ausgesetzt.
Gemeinsam mit anderen Einschränkungen für Fördergelder wie der Anti Prostitution Pledge, die von Organisationen fordert, sich öffentlich gegen Sexarbeit zu positionieren, oder dem während der Amtszeit von George W. Bush geltenden Gesetz, wonach ein Drittel der Fördergelder in der HIV/AIDS-Prävention an Programme für Enthaltsamkeit zu vergeben sind, führte sie dazu, dass progressive NGOs, die wichtige Arbeit in der Gesundheitsversorgung von Frauen und LGBTI in Ländern des Südens leisteten, ihre Arbeit nicht mehr fortsetzen konnten.
Kampf dem Backlash. Die aktuelle politische Entwicklung in den USA verdeutlicht: Reproduktive Rechte sind weiterhin stark umkämpft und keineswegs gesichert. Auch einige national-konservative, rechtsgerichtete Regierungen in Europa stellten den legalen Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen infrage, die Regierung der Partei für Recht und Gerechtigkeit (PiS) in Polen plante Abtreibungen gar vollständig zu verbieten, lenkte jedoch nach Massenprotesten („Czarny Protest“) vorerst ein.
Themen wie Abtreibung und gleichgeschlechtliche Ehe werden dabei instrumentalisiert, um Allianzen zwischen unterschiedlichen rechten Gruppierungen zu ermöglichen und christliche Wähler_innen zu mobilisieren – auch entgegen ihrer anderen Interessen, z. B. bei sozialer Gerechtigkeit. Am Beispiel der Bündnisse der Alternative für Deutschland (AfD) mit radikalen Abtreibungsgegner_innen, z. B. im Zuge der europäischen Bürger_inneninitiative „One of Us“, beschreibt der Soziologe Andreas Kemper einige zentrale Punkte ihrer Familien- und Geschlechterpolitik, die sich auch im politischen Programm der FPÖ und anderen rechten Parteien „zum Schutz der Familie“ wiederfinden lassen. (1) Gemeinsam ist ihnen ein traditionelles Verständnis „natürlicher“ Geschlechterrollen, aus dem sich ihre Ablehnung von „Genderismus“ und verschiedenen Formen von Gleichstellungspolitik wie Quotenregelungen als vermeintliche Privilegierung von Frauen und anderen gesellschaftlich marginalisierten Gruppen ableitet.
In den USA steht der moralisch-ideologisch motivierte Kampf gegen Abtreibungen indes in direktem Zusammenhang mit Einschränkungen in der allgemeinen Gesundheitsversorgung, beim Zugang zu Sexualaufklärung und Verhütungsmitteln und einem Backlash bei Selbstbestimmungsrechten von Frauen und LGBTI.
Seit Trumps Wahlerfolg protestieren daher breite Bündnisse, eindrücklich wie der Women‘s March on Washington oder auch die von Bernie Sanders und seinen Anhänger_innen initiierte Kampagne #OurFirstStand, gegen die Abschaffung des Affordable Care Acts und rufen zur Solidarität mit Planned Parenthood auf. Einer großen Kunstauktion zugunsten der Organisation unter dem Titel „Nasty Women“, eine Anspielung auf eine Attacke Donald Trumps auf Hillary Clinton, schlossen sich zuletzt über 700 feministische Künstler_innen an – und fanden ebenso viele kreative Formen, ihren Protest auszudrücken.
Bernadette Schönangerer ist Redakteurin der Zeitschrift „MALMOE“ und hat sich in ihrer Diplomarbeit mit der Rolle moralischer Werte in George W. Bushs globaler Initiative gegen HIV/ AIDS beschäftigt.