In der Mini-Serie „Loving Her“ brilliert Banafshe Hourmazdi als lesbische Titelheldin, die Fleabags kleine Schwester sein könnte. Von Maxi Braun
Eine Frau steht in einem kleinen Club auf der Bühne und haucht eine balladige Version von Britney Spears Popsong „Toxic“ ins Mikrofon. Im Publikum beobachtet sie eine Frau mit leuchtenden Augen und lächelt sie an. Ihrem begehrenden Blick folgen wir zurück zur Sängerin. Während diese zärtlich von einem „poison paradise“ singt, verlieren wir uns in einer Nahaufnahme ihres Gesichts, ihrer Lippen, in ihrem hypnotischen Blick, der nur auf uns gerichtet zu sein scheint. Hanna, die Frau aus dem Publikum, ist völlig verknallt in die Sängerin und wir schmelzen mit ihr dahin.
Es sind Szenen wie diese, mit denen die Mini-Serie „Loving Her“ das Verlangen, das Kribbeln im Bauch und die flirrende Erotik so greifbar macht. Die Serie basiert auf dem niederländischen Vorbild „Anne+“ und ist die erste deutsche TV-Serie, in der eine lesbische Beziehung im Mittelpunkt steht. Ich-Erzählerin Hanna (Banafshe Hourmazdi) hat gerade ihr Literaturstudium in Berlin abgeschlossen. Kurz vor ihrem Wegzug aus der geliebten Wahlheimat läuft sie ihrer ersten großen Jugendliebe Franzi (Lena Klenke, zuletzt mit „How To Sell Drugs Online (Fast)“ bei Netflix) über den Weg. Diese Begegnung ist Anlass für Hanna, die letzten Jahre und Affären Revue passieren zu lassen, die in sechs komprimierten Episoden erzählt werden.
Mit Hanna mitzufiebern fällt leicht. Sie ist cool, draufgängerisch und streitlustig, dann wieder nachdenklich, völlig verpeilt und eine Loserin. Bewusst wird darauf verzichtet, eine naheliegende Einwanderungsgeschichte aufzugreifen. Die im Ruhrpott aufgewachsene, deutsch-iranische Schauspielerin Banafshe Hourmazdi („Futur Drei“) ist einfach Hanna, fertig. Folgerichtig steht auch ihre Homosexualität nicht im Vordergrund, das Drama ergibt sich aus den Figurenkonstellationen und dem alltäglichen, zwischenmenschlichen Wahnsinn.
Queere Superpower. Regisseurin Leonie Krippendorff hat für das Drehbuch mit der lesbischen Autorin Marlene Melchior kollaboriert, und auch im Cast finden sich viele homosexuelle Schauspielerinnen. Karin Hanczewski, die im Februar 2021 die Kampagne #ActOut im „SZ-Magazin“ initiierte, bei der sich 185 Schauspieler*innen für mehr Akzeptanz von LGBTQI in Gesellschaft, TV- und Filmbranche outeten, spielt ebenso mit wie die Unterzeichnerinnen Eva Meckbach und Lea Willkowsky. Ausnahmslos alle sind in ihren Rollen fabelhaft. Die queere Superpower und feministische Komplizinnenschaft vor und hinter der Kamera dürfte einer der Gründe für die Selbstverständlichkeit sein, mit der die lesbischen Geschichten erzählt werden. Gleichzeitig kann jede*r mit den eigenen Erfahrungen daran andocken, die Themen der einzelnen Folgen sind nah am Leben und universell. Zwar ist das Setting die akademische Blase und das Student*innenleben, aber „Loving Her“ will auch keine knallharte Milieustudie sein. Haltung beweist die Serie trotzdem, indem Themen wie Angst vor dem Coming-out, toxische Beziehungen oder Alltagsroutine als Liebeskiller plausibel aufgegriffen werden.
Megahot. Dazu kommt der Look von Bildgestalterin Lotta Kilian. Auf den Straßen Berlins bei Tag und Nacht, im Club oder in der WG – alle Einstellungen wirken auf gute Art hip und einladend warm. Sexszenen gibt es einige, allesamt sind sie „megahot“ inszeniert, um es mit Hannas Worten zu sagen. Ob im kuscheligen Liebesnest oder beim stürmischen Quickie in der schummrigen Clubtoilette: Sexualität wird hier als leidenschaftlich, genussvoll und von gegenseitigem Respekt geprägt dargestellt und als das gezeigt, was sie im Idealfall für alle Beteiligten jedweder sexuellen Orientierung ist: eine ziemlich befriedigende Sache.
Ein ähnlich wohliges Gefühl hinterlässt auch das Bingewatching von „Loving Her“. Ohne Ernst und Schwermut, die für deutsche Produktionen so typisch sind, dafür mit recht diverser Besetzung und Humor, verwebt die Mini-Serie ihre Episoden am Ende zu einer lustigen und berührenden Coming-of-Age-Geschichte. Leonie Krippendorff hat eine spielerische, saucoole und witzige Momentaufnahme geschaffen, mit einer grandiosen Protagonistin, die Fleabags kleine, lesbische Schwester sein könnte. •