arbeitsfragen in allen lebenslagen
Mira* ist 29, sie hat vier Kinder plus einen 17-jährigen Sohn aus erster Ehe ihres Mannes. Sie besitzt exzellente Deutschkenntnisse, die sie in ihrer Schulzeit in der Ukraine erworben hat, und sie ist ausgebildete Gynäkologin. Bis vor zwei Jahren lebte sie in der Nähe von Aleppo, wohin sie ihrem Ehemann gefolgt war. Mira konvertierte zum Islam und trägt jetzt ein Kopftuch. Ihr Mann hält sich aktuell irgendwo in einer türkischen Stadt in der Nähe der syrischen Grenze auf, wo er seinem todkranken Vater eine letzte Stütze ist. Es ist ungewiss, ob er überhaupt je nach Österreich zurückkommt, er hat hier keine Perspektive.
Auch Mira kann hier nicht arbeiten. Die Nostrifikation ihrer Ausbildung würde ein zwei Jahre dauerndes intensives Studium erfordern, das ihrer Meinung nach mit vier Kindern nicht zu bewältigen ist, zusätzlich ist eine Prüfung über Deutsch für Mediziner_innen verpflichtend. Danach entscheidet die Ärztekammer, wo sie eingesetzt wird: Die erlernte Facharztausbildung ist dabei nicht relevant. Mira schätzt, dass in ihrem Fall an die zehn Jahre verstreichen würden, bis sie diesen Prozess durchlaufen hätte. Nur: Wovon leben sie und die Kinder in der Zwischenzeit? Sozialbeihilfe gibt es ja nicht ewig. Darauf gibt der österreichische Sozialstaat keine Antwort. Was also tun?
Mira geht zum WAFF. Ihr Anliegen: Gemeinsam mit einer ukrainischen Freundin will sie ein Kosmetikstudio eröffnen und sich selbstständig machen. Antwort: „Das ist lächerlich! Sie sind doch Gynäkologin. Wir können Sie nicht unterstützen!“.
Nächste Erfahrung: Sie beantragt beim AMS dieselbe Unterstützung. Antwort: „Eine Frau mit Kopftuch und Selbstständigkeit – das geht nicht zusammen!“
So versäumt es der österreichische Staat mit seiner rassistisch und sexistisch geprägten Gesetzgebung, das ihm quasi gratis zur Verfügung gestellte, hochqualifizierte „Humankapital“ zu nutzen. Eigentlich sollte Miras Ausbildung als Gynäkologin anerkannt werden, eigentlich sollte der österreichische Staat froh sein, dass ihre Ausbildung schon ein anderer Staat übernommen hat, eigentlich sollte Österreich an die Ukraine dafür Entschädigungszahlungen leisten. Im Idealfall würde Mira die Nostrifikation ihrer Ausbildung ermöglicht, indem ihr eine Kinderbetreuung finanziert wird. Eigentlich!
*Name der Redaktion bekannt
Hanna Gerber ist Lehrerin an einer BMS in Wien.
