NAOMI KLEIN hat über die Apokalypse geschrieben. Leider durchaus realistisch und fundiert. Von LEA SUSEMICHEL
Ende April wurde nach jahrzehntelangen Verhandlungen der Weltklimavertrag unterzeichnet. Er sieht vor, dass der Temperaturanstieg global unter zwei Grad Celsius gehalten werden soll. Verbindlich ist das Abkommen derzeit allerdings nicht, denn die unterzeichnenden Länder müssen es erst in ihren Parlamenten ratifizieren. Ihre freiwilligen Absichtserklärungen zu CO2-Einsparungen genügen jedenfalls nicht, sie ließen immer noch eine Erwärmung von drei bis vier Grad erwarten.
Was ein solcher Temperaturanstieg bedeuten würde, führt uns die Kapitalismuskritikerin Naomi Klein in ihrem jüngsten Buch „Die Entscheidung“ drastisch vor Augen. Nur vier Grad mehr würden den Meeresspiegel um zunächst ein bis zwei Meter ansteigen lassen (in weiterer Folge würde der Pegel aufgrund von Kettenreaktionen noch weiter steigen), was den Untergang einiger Inselstaaten sowie die Überflutung etlicher Küstenregionen zur Folge hätte. Auch Städte wie New York, Shanghai, Mumbai oder London wären akut bedroht. Gleichzeitig würden enorme Hitzewellen nicht nur zahllose Menschen töten, sondern auch zu massiven Ernteausfällen führen und damit zu weiteren humanitären Katastrophen, schließlich wären die Erträge durch zu erwartende Wetterextreme wie Überflutungen oder Hurrikane ohnehin stark vermindert. Flächenbrände, der Kollaps der Meere und der Fischbestände, Verwüstung und verheerende Dürren, Wasserknappheit sowie der Ausbruch von Seuchen würden ein Übriges dazu tun, dass das Fortbestehen menschlicher Gesellschaften in ihrer jetzigen Form – wenn nicht überhaupt – undenkbar wäre. Und das sind noch die optimistischen Szenarios, denn sie setzen voraus, dass der Temperaturanstieg bei vier Grad tatsächlich gestoppt werden kann. Tatsächlich ist es jedoch weit wahrscheinlicher, dass spätestens zu diesem Zeitpunkt unkalkulierbare Verstärkungseffekte einsetzen würden, weil beispielsweise die Böden durch die Übersättigung mit Kohlendioxid dieses nicht länger speichern, sondern selbst ausstoßen und so den Treibhauseffekt weiter anheizen würden.
In ihrem alarmierenden und aufrüttelnden Buch fordert Klein deshalb einen Marshallplan für die Erde. Neben dem Entwurf apokalyptischer Szenarien hat sie dafür ein sehr bestechendes Argument: Der Klimawandel kann als Katalysator für einen tiefgreifenden sozialen und politischen Wandel dienen.
Denn er ist der überzeugendste Beweis für die gegenwärtige Fehlentwicklung, den wir je an der Hand hatten, um einen radikalen Systemwandel zu fordern und die kapitalistische Ausbeutung von Mensch und Umwelt dauerhaft und auf allen Ebenen zu beenden.
Doch die Welt ist nur zu retten, wenn wir schnell handeln. Als Ende der 1980er- und Anfang der 1990er-Jahre noch Zeit gewesen wäre, um die entscheidenden klimapolitischen Änderungen in kleinen Schritten zu vollziehen, hat der neoliberale Marktradikalismus ein entschlossenes Vorgehen gegen den Klimawandel sabotiert, schließlich schien ihm jede staatliche Regulierung mit seiner radikalen Privatisierungslogik unvereinbar.
Naomi Kleins bittere Anklage ist, dass die neoliberalen IdeologInnen immer genau wussten, was auf dem Spiel stand. Doch jedes Eingeständnis, was der Klimawandel wirklich bedeutet und bewirkt, hätte ihr Erfolgsmodell eines wachstumsorientierten Kapitalismus schlagartig diskreditiert. Einflussreiche Think Tanks wie das konservative Heartland Institute haben deshalb alles daran gesetzt, um den Klimawandel dreist zu leugnen und als Hirngespinst linker SpinnerInnen abzutun, die unter dem Deckmantel von Umweltschutz eine antikapitalistische Revolution anzetteln wollten. Diese Diffamierungskampagne scheint über weite Strecken aufgegangen zu sein: In bestimmten US-Bundesstaaten – insbesondere in jenen, die von der Kohleindustrie abhängig sind – gehören bis zu achtzig Prozent aller RepublikanerInnen zu den „Klimaleugnern“, das heißt sie sperren sich konsequent gegen alle unumstößlichen wissenschaftlichen Fakten.
Durch diese folgenschweren Manöver haben wir entscheidende Jahrzehnte verloren. Können wir das Ruder in allerletzter Minute trotzdem noch herumreißen und die Zerstörung unserer Erde verhindern? Ja, das können wir, sagt Naomi Klein.
Aber ist es auch möglich, ohne die kapitalistische Logik von Deregulierung und Wachstum radikal infrage zu stellen? Kleins Antwort: „Keine Chance.“
Naomi Klein: Die Entscheidung. Kapitalismus vs. Klima
S. Fischer 2015, 27,80 Euro