1989 organisierten sich in der DDR Frauen, um für vollständige Gleichstellung zu kämpfen und einen Rollback zu verhindern. Gelungen ist dies nicht. Doch dreißig Jahre später ist die „Ostfrau“ schwer in Mode. Von NELLI TÜGEL
Zum dreißigsten Jahrestag der Wende ist sie präsent wie nie: die „Ostfrau“. Eine viel beachtete Dokumentation des Mitteldeutschen Rundfunks fragt, was dran ist am „Mythos“ der selbstbewussten, unabhängigen und erfolgreichen Frau aus der DDR. „Ostfrauen sind wieder ein Trendthema“, stellt Jana Hensel in der „Zeit“ fest. Und in dem neu erschienenen Buch „Ostfrauen verändern die Republik“ schreiben Tanja Brandes und Markus Decker, dass das „frauenpolitisch-emanzipatorische Feld nach der Vereinigung eines der wenigen“ gewesen sei, bei denen „der Osten den Westen geprägt hat“.
Gerda Jasper sieht das etwas nüchterner. „Natürlich sähe die Bundesrepublik heute anders aus, wären wir nicht dazu gekommen“, sagt sie. „Aber den Rollback haben wir nicht verhindern können.“ Jasper ist Ökonomin. Sie wurde 1948 in einem thüringischen Dorf geboren. Neben der Arbeit als Buchhalterin für eine landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft studierte Jasper, promovierte und habilitierte schließlich in den Achtzigerjahren. Ihre Tochter zog sie allein groß. Schon zu DDR-Zeiten beschäftigte sich Jasper mit feministischen Theorien, obwohl diese im Osten nicht gerade verbreitet waren. Sie gelangte zur Überzeugung, dass die Vergesellschaftung der Produktionsmittel nicht automatisch zur Gleichheit zwischen den Geschlechtern führt. Das Patriarchat, sagt sie, habe es auch in der DDR gegeben. „Dennoch waren wir im Vergleich zum Kapitalismus auf vielen Gebieten weiter.“
Freier Hausarbeitstag. Auch der „Frauenreport 90“, ein Bericht über die Lage von Frauen in der DDR aus dem Jahr 1990, konstatierte Ambivalenz. Frauenrechte, die zu den Selbstverständlichkeiten im Alltag gehörten, seien „zwar notwendige Voraussetzungen für die ökonomische Unabhängigkeit und gesellschaftliche Mitbestimmung“ gewesen, aber „keine Garantie für die tatsächliche Gleichstellung“. So war gleicher Lohn für gleiche Arbeit in der Verfassung verankert und über neunzig Prozent der Frauen in der DDR waren erwerbstätig, doch blieben die Unterschiede bei der Ausübung von schlechter bezahlten Berufen bestehen. Die Sozialpolitik der Siebzigerjahre habe das Vereinbarkeitsproblem überdies als „reines Frauenproblem“ behandelt. Die Kleinfamilie, in der die Mutter die Hausarbeit erledigt, war auch im Osten die Norm. Dafür gab es einen freien Hausarbeitstag im Monat – aber eben nur für Frauen.
So widersprüchlich die DDR in sich war, so eindeutig schnitt sie im Vergleich mit dem Westen ab: bei der Erwerbsquote, der Bezahlung, der Vereinbarkeit. Auch gab es im Osten ein unkompliziertes Scheidungsrecht – von dem mehrheitlich Frauen Gebrauch machten: 1987 wurden fast siebzig Prozent der Scheidungen in der DDR von Frauen eingereicht. Auch von dem seit 1972 geltenden Abtreibungsrecht und der kostenlosen Ausgabe von Verhütungsmitteln konnten Frauen im Westen nur träumen.
Für eine demokratische DDR. Als 1989 immer mehr Menschen in Ostberlin, Leipzig und anderswo auf die Straße gingen, engagierte sich Gerda Jasper daher ausdrücklich nicht für die Vereinigung mit der Bundesrepublik, sondern – wie so viele – für eine „andere“, eine demokratische DDR. Als sich wiederum abzeichnete, dass diese zu Ende ging, wollte sie vor allem etwas gegen den drohenden Rollback tun.
„Das wollte ich verhindern“, sagt auch Christel Panzig, Leiterin des Hauses der Geschichte im sachsen-anhaltischen Wittenberg. Sie war am Frauenpolitischen Tisch in Ostberlin beteiligt. In der DDR habe sie eine offene Auseinandersetzung mit der Frauenfrage vermisst, so Panzig. Frauen ihrer Generation, die darauf bestanden, gleichberechtigt und gleichgestellt zu sein, seien auch im Osten an Grenzen gestoßen. Aber frauenpolitisch aktiv wurde sie seit 1989 nicht deshalb, sondern weil sie verhindern wollte, dass das in der DDR dennoch Erreichte zur Debatte stehe, „weil ich wusste, was gerade uns Frauen erwartet, wenn der Westen kommt“.
Überall in der DDR gründeten sich damals Fraueninitiativen. Am 3. Dezember 1989 wurde in der Berliner Volksbühne der Unabhängige Frauenverband aus der Taufe gehoben. Organisierung sei nötig, um bei der „Erneuerung der sozialistischen Gesellschaft“ nicht außen vor zu bleiben, hieß es in dem dort beschlossenen „Manifest für eine autonome Frauenbewegung“. Eine Vereinigung mit der Bundesrepublik, so ist es in dem Manifest nachzulesen, bedeute indes, „vieles mühsam Errungene aufzugeben, statt es auf eine qualitativ neue Stufe zu heben“.
Das „mühsam Errungene“ war allerdings aus Sicht einiger Feministinnen aus dem Westen eher „von oben geschenkt“. Zumindest war dies ein Vorwurf, so erinnert sich Gerda Jasper, der 1989/90 oft in der Luft hing. Beim Ost-Westdeutschen Frauenkongress 1990 krachte es gewaltig. Die Distanz zwischen Ostfrauen und Westfeministinnen ist bis heute spürbar. Im Gedächtnis der deutschen Frauenbewegung kommen DDR und Wende oft gar nicht vor.
Historische Chance ungenutzt. Für Charlotte Gneuß von Aufbruch Ost, einer Gruppe junger geschichtsinteressierter Aktivist*innen aus Leipzig, ist das „paradigmatisch für die zeitgenössische Erinnerungskultur“. Neben einer westdeutschen Deutungshoheit über die Wendegeschichte hätten die Frustrationserfahrungen der Nachwendezeit dazu geführt, „dass nur wenige sich an die Gedanken des Jahres 1989 erinnern“, sagt Gneuß. Und sie verweist darauf, dass durch den Beitritt zur Bundesrepublik die „einmalige historische Chance, neue emanzipatorische Motive in eine gesamtdeutsche Verfassung einfließen zu lassen“, ungenutzt blieb.
Tatsächlich war der Einigungsvertrag von 1990 eine Niederlage, allein schon, weil damit die Abtreibungsparagrafen 218 und 219 im Osten rechtswirksam wurden. Zuvor galt in der DDR das „Gesetz über die Unterbrechung der Schwangerschaft“ und Frauen konnten in den ersten zwölf Wochen einer Schwangerschaft eigenverantwortlich über einen Abbruch entscheiden.
Auch die Abwicklung der DDR-Wirtschaft traf Frauen, die nun mit steigender Arbeitslosigkeit konfrontiert waren: Zuvorderst die 34.600 ausländischen Vertragsarbeiterinnen, die in der DDR lebten, nach der Wende keinen Aufenthaltstitel und keinen Arbeitsplatz mehr hatten und denen die Abschiebung drohte. Anderen Arbeiterinnen wurde in den Neunzigern nahegelegt, die „Chance“ zu nutzen, sich nun endlich um die Kinder kümmern zu können. Ihnen wurde immer wieder vorgehalten, mit dem Anspruch, weiterhin berufstätig sein zu wollen, zur steigenden Massenarbeitslosigkeit im Osten beizutragen.
Viele haben sich das nicht gefallen lassen, dafür war ihnen ihre Unabhängigkeit zu wichtig. „Unsere Töchter sind in den Westen gegangen und für sie war es selbstverständlich, arbeiten zu gehen“, sagt Christel Panzig. Dass es in weiten Teilen Ostdeutschlands heute einen „Frauenmangel“ gibt, ist auch Folge davon. Gleichzeitig brach die Geburtenrate dramatisch ein. Die Unsicherheit, die die Wende mit sich brachte, hinterließ Spuren.
Vielleicht noch viel schlimmer. „Frauen haben es angepackt, trotz der widrigen Umstände“, sagt Gerda Jasper heute. Das Engagement von damals sei nicht umsonst gewesen, ist Christel Panzig überzeugt. „Wenn wir nichts gemacht hätten, wäre es vielleicht noch viel schlimmer geworden“, sagt sie. Zudem hätten sich viele ihre Erwartungshaltungen bewahrt, diese in den Westen gebracht und so, langfristig betrachtet, dazu beigetragen, dass auch dort berufstätige Frauen selbstverständlich wurden und nicht mehr wie noch vor Jahren als Rabenmütter stigmatisiert werden. Und Charlotte Gneuß von Aufbruch Ost sieht in der DDR-Frauenbewegung von 1989 Anknüpfungspunkte für die Gegenwart: „Die Protagonistinnen wollten ja die sozialistische, ökologische, feministische, multikulturelle, nicht-totalitäre und sozial gerechte Gesellschaft. Das sind Forderungen, mit denen wir uns heute auch identifizieren können.“
Nelli Tügel ist Journalistin und lebt in Berlin, sie wurde 1984 in der DDR geboren.
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