Außergewöhnliche Superheldinnen mit und ohne Superkräfte. Von JEAN FISCHER, HELGA HANSEN, NURGEDANKEN, HENGAMEH YAGHOOBIFARAH
Wonder Woman
Wonder Woman ist auch bekannt als Diana, Prinzessin der Amazonen von der Insel Themyscira – ursprünglich aus Lehm geformt wie ein Golem und damit die einzige Amazone, die nicht von einem Mann abstammt. Dabei erfand die Figur ein Mann, William Moulton Marston, der in den Comics sein Interesse an Bondage auslebte: Eine ihrer Waffen ist das Goldene Lasso; wird sie allerdings selbst gefesselt, verliert Wonder Woman ihre Superkräfte.
Von Marston 1941 als feministische Ikone erdacht, entwickelte DC Comics sie in den 1950er-Jahren zu einer hausfraulicheren Diana Prince, die für die Liebe zu einem Mann ihre Superkräfte aufgibt. Mit der Frauenbewegung der 1970er (und dank magerer Verkaufszahlen) kehrte die Amazone zurück. 1972 zierte sie das Cover des ersten „Ms.“ Magazins auf Bestreben ihres Fans Gloria Steinem – die in den 1980ern auch von einem der Wonder-Woman-Zeichner als Beraterin konsultiert wurde. Trotzdem wurde Wonder Woman immer wieder neu erfunden.
Anscheinend weiß bis heute niemand richtig etwas anzufangen mit einer feministischen Superheldin, sodass bei Wonder Woman ein Kuddelmuddel an stereotyper Darstellung zu finden ist. Einerseits mit einer starken Abneigung gegen übermäßige Gewalt ausgestattet, wird sie andererseits – wie auch ihr Volk – gern als männerhassende Furie dargestellt. Im ersten gemeinsamen Comic mit Superman und Batman ist sie 2003 diejenige, die mehrfach schwach ist oder gerettet werden muss.
Ihre Heterosexualität wird durch entsprechende Liebesbeziehungen immer wieder betont, und nicht zuletzt ihr sich der Schwerkraft widersetzender trägerloser rot-blauer Body ermöglicht die stete Sexualisierung. Und manchmal darf die weiße Frau nicht näher benannte, aber schwarz verhüllte Araberinnen retten.
Mit DCs Reboot seiner Comicserien bekam Wonder Woman zuletzt 2011 einen Neustart, der ihre in der griechischen Mythologie verwurzelte Geschichte mit der Gegenwart verbindet – nun mit einem Vater. Seither steigt erneut die Hoffnung auf einen eigenen Kinofilm, der ihr, trotz des derzeitigen Superheldentrends, bisher verwehrt wurde.
Helga Hansen entdeckte im Internet ihre Comic-Leidenschaft neu. Comic-Einsteigerinnen empfiehlt sie Webcomics, da hier die häufig entstehende „Archive Panic“ (das Lesen aller je erschienenen Ausgaben) deutlich billiger ist.
Sailor Moon
Sobald ich gelernt hatte, einigermaßen lesen zu können, kaufte ich mir alle zwei Wochen von meinem Taschengeld Sailor-Moon-Comichefte. Sowohl die Comics als auch die Zeichentrickserie waren für mich sehr empowernd.
Nicht zuletzt, weil zehn individuelle, starke Frauen*charaktere die Welt retteten. Ja, richtig, Frauen* mit Sternchen! Die Figur Haruka, also Sailor Uranus, verortet sich zwar weiblich, geht mit ihrem tomboy-ishen Aussehen aber auch oft als Mann durch und genießt das Gender-Bending. Außerdem ist sie mit Michiru aka Sailor Neptun in einer lesbischen Beziehung.
Allein die Protagonistin Usagi beweist, dass ihre stereotype Mädchenhaftigkeit nicht ausschließt, dass sie es als Superheldin faustdick hinter den Ohren hat. Sie liebt es, Fastfood und Süßigkeiten zu essen, schwärmt viel von Jungs, weint immerzu, erbringt in der Schule extrem schlechte Leistungen und ist obendrein auch noch sehr tollpatschig. Es wäre zu einfach zu behaupten, dass dies eine sexistische, trivialisierende Darstellung einer jungen Frau sei. Gerade im Teenageralter, aber selbst später kann eins sich mit diesen Problemen identifizieren. Usagi mag vielleicht keine ehrgeizige, disziplinierte Frau sein und hat mehr Schwächen als Stärken, doch sie ist trotzdem eine Heldin. Und diesen Punkt verpassen viele Comic-Klassiker wie Superman.
Ihre Freundinnen weisen zudem andere Eigenschaften auf, ohne platte Klischeefiguren zu sein. Von der schüchternen Musterschülerin, der hilfsbereiten, aber konfliktfreudigen Karrierefrau, der einsamen, aber unabhängigen Leidenschaftsköchin bis hin zur kunstaffinen Femme wird eine bunte Palette an bewundernswerten Frauen*figuren präsentiert. Da lässt sich auch über die knappen Kostüme hinwegsehen.
Hengameh Yaghoobifarah ist Studentin, freie Autorin, Bloggerin auf teariffic.de und hat regelmäßig Crushes auf Comic-Heldinnen.
Action Girl
Erica Smith ist Schülerin an der Hayley Highschool in einer kleinen Stadt an der Westküste der USA. Ein bisschen gelangweilt und frustriert von den üblichen Fragen rund um Pubertät und Zukunftspläne entdeckt Erica die verbrechensbekämpfende Fliegerin der 1940er-Jahre: Action Girl. Erica beschließt, die Nachfolge als kostümierte Verbrechensbekämpferin anzutreten. Sie trägt die originale Action-Girl-Vintage-Jacke mit dem „AG“-Logo auf der Brust, kniehohe Ringerschuhe und einen ausgestellten Rock. Action Girl wird oft unterstützt von ihrer Verbündeten und Mitschülerin an der Highschool, Flying Girl, die nur widerwillig ihrer Berufung als Superheldin folgt. In Zeiten der Not kann Action Girl mit einem Signalring das Team Action – Ericas (superkraftlose) Freundinnen – zur Hilfe holen. Gemeinsam bekämpfen sie die Go-Go-Gang.
Action Girl Comics wurden als eine Comic-Anthologie von Sarah Dyer, einer US-amerikanischen Comicautorin und -künstlerin, erschaffen, um die Arbeit von Comic-Autorinnen und Künstlerinnen sichtbar zu machen. Die Reihe lief von 1994 bis 2000 und hatte 19 Ausgaben. Action Girl ist darin eine fortlaufende Geschichte. Überraschend zog die Anthologie eine gemischtgeschlechtliche Fangemeinde an. Die jugendlichen Heldinnen waren eine erfrischende Abkehr von der sehr erwachsenen-orientierten Mainstream-SuperheldInnen-Kost jener Tage.
NurGedanken ist auf Twitter anzutreffen. Sie ist verliebt in Renee Montoya, die aber als Charakter in den Comics nicht mehr vorkommt, und freut sich deshalb jeden Monat auf Kate Kane, die als Batwoman in ihrer eigenen Comic-Reihe dem Übel der Welt begegnen darf.
Storm
Die 1975 von Marvel erschaffene Storm ist eine der bekanntesten X-Men und die erste schwarze Superheldin. Ikonisch wurde ihr Punklook, den sie aktuell wieder trägt.
Ororo Munroe aka Storm ist die Tochter einer kenianischen Prinzessin und eines US-amerikanischen Fotografen. Ihre Eltern zogen mit ihr als Baby von New York nach Kairo, wo Ororo mit fünf Jahren durch einen Unfall zur Waise wurde. Dieses Trauma lässt sie jahrelang mit Klaustrophobie kämpfen. Zunächst schlägt sich Ororo als Diebin durch, bis sie als Teenager in die Serengeti wandert und dort zum ersten Mal ihre Mutanten-Kräfte der Wettermanipulation entdeckt. Ororo wird von einer Priesterin aufgenommen und von den Einheimischen als Regengöttin verehrt – bis Professor X(avier) sie für seine X-Men rekrutiert. Ororo Munroe nimmt den Codenamen Storm an, wird ein wichtiges Mitglied und immer wieder auch Anführerin der X-Men. Für viele der jüngeren Mutanten ist sie eine Mutterfigur.
Als sie zeitweise die X-Men verlässt und nach Afrika zurückkehrt, beginnt sie eine Beziehung mit ihrer Jugendliebe T’Challa, auch bekannt als Superheld Black Panther und König des (fiktionalen) Staates Wakanda. Nach ihrer Hochzeit tritt das Königspaar einige Zeit den Fantastic Four bei. Allerdings führen die Verpflichtungen von Storm und T’Challa auf unterschiedlichen Kontinenten zum Scheitern ihrer Ehe. Aktuell ist Storm Co-Direktorin der Jean Grey School for Higher Learning und führt ihr eigenes (rein weibliches) X-Men-Team an.
Jean Fischer lebt mit ihren beiden Katzen und einem Haufen Comics in Berlin. Wenn es ihre Zeit erlaubt, bloggt sie als eincomicleben.
Batwoman
DC hat Batwoman in den 1950er-Jahren erfunden, um Gerüchten, Batman sei schwul, entgegenzuwirken. 2006 wurde eine neue Version der Figur eingeführt, die sogar die Ehre hatte, Batmans Titel „Detective Comics“ für einige Zeit zu übernehmen.
Kate Kane aka Batwoman stammt aus einer Militärfamilie, was für sie zunächst vor allem Leid bedeuten sollte. Mit zwölf verliert sie ihre Zwillingsschwester Beth und ihre Mutter bei einer Entführung. Der Wunsch, ihrem Land als Soldatin zu dienen, wird jäh beendet, als sie die Militärakademie West Point verlassen muss, nachdem man sie küssend mit einer anderen Soldatin erwischt hat – und Kate sich weigert zu verleugnen, dass sie (Kate) lesbisch ist, und damit unehrenhaft zu handeln. Es dauert lange, bis Kate wieder einen Sinn im Leben findet. Ausgerechnet ein Überfall in einer dunklen Gasse, den sie selbst abwehren kann, und eine kurze Begegnung mit Batman bringen Kate auf die Idee, ihrer Stadt zu dienen. So beginnt sie – gemeinsam mit ihrem Vater – Batwoman zu entwickeln und für ein Leben als Superheldin zu trainieren. Nach dem Relaunch von DC ändert sich Kates Geschichte langsam, um sie dem neuen Universum anzupassen. Inzwischen ist sie mit Maggie Sawyer von der Gotham Police verlobt. Die Verlobung sorgte für Kontroversen, denn das Kreativteam der Serie kündigte mit der Begründung, DC würde beide Frauen nicht heiraten lassen wollen. Inzwischen gibt es aber Andeutungen, dass die generelle „Anti-Ehe-Politik“ des Verlages auf der Kippe steht.
Jean Fischer
Kamala Khan
Kamala Khan ist die neueste Superheldin von Marvel und eine der wenigen Figuren, die von einer anderen Superheldin (Carol Danvers, frühere Ms. Marvel und derzeitige Captain Marvel) zu ihren Taten inspiriert wird und deren Namen annimmt.
Das Leben als Teenager ist nicht leicht, als Teenager zwischen zwei Welten ist es noch schwieriger: Kamala ist ein 16-jähriges Mädchen aus Jersey City, das zwischen der konservativen Welt ihrer pakistanischen Eltern und ihrer US-amerikanischen Heimat hin- und hergerissen ist. Sie ist ein Avengers-Fangirl und ein Nerd, die ihre Freizeit damit verbringt, Fanfiction zu schreiben und wie jeder Teenager nichts lieber tun möchte, als Partys zu besuchen und mit den populären Kids abzuhängen – oder eben Superheldin sein. Ihr Wunsch erfüllt sich, als New York von einem geheimnisvollen Nebel eingehüllt wird. Es stellt sich heraus, dass Kamala von den Inhumans abstammt und der Nebel ihre gestaltenwandlerischen Kräfte aktiviert hat. Fortan wird sie als neue Ms. Marvel New Jersey beschützen und sich den alltäglichen Kämpfen mit ihrer Familie stellen. Unterstützt wird sie von ihrem Freund Bruno, dessen Arbeitsplatz im Supermarkt zu ihrem heimlichen Unterschlupf wird. LeserInnen können Kamala in ihrer neuen Serie dabei begleiten, wie sie vom ganz normalen Mädchen zur Superheldin wird.
Jean Fischer
Hit-Girl
Ein lila Kostüm ohne Hypersexualisierung an einer Superheldin, die trotz jungen Alters die meisten Fähigkeiten in den „Kickass“-Comics vorweisen kann? An feministischem Potenzial mangelt es Hit-Girl nicht.
Mindy Macready ist Tochter eines ehemaligen Polizisten und lernt von ihrem Vater den Umgang mit Schwert- und Schusswaffen. Noch dazu ist sie körperlich so fit, dass sie auch ohne übernatürliche Kräfte auskommt. Dass sie eine Vorliebe für Comics und Hello Kitty hegt, schließt ihre Abgeklärtheit in puncto Blut, Gewalt und Tod nicht aus. Auch sprachlich kommt sie hart daher: Sie flucht sehr viel, bedient sich allerdings auch sexistischer Sprache. Dabei kann jedoch in den Raum gestellt werden, ob ihre Verwendung von Begriffen wie „cunt“ nicht als wiederaneignend verstanden werden könnte.
In dem nach ihr benannten Spin-Off liegt der Fokus stärker auf ihrem Zivilleben. Das Hineinpassen in Mädchengruppen und Freundinnenschaften werden thematisiert – allerdings: Wie authentisch dies von zwei Autoren gezeichnet werden kann, ist fragwürdig. Mindy wird von den populären Mädchen gemobbt und würde ihren Außenseiterinnenstatus gern reduzieren. Indessen ist sie sich bewusst, dass sie dafür ihre Superheldinnenidentität aufgeben müsste. Diese wiederum ist ein Überbleibsel ihres verstorbenen Vaters. Hallo Gewissenskonflikt! Aber war es überhaupt richtig, sie so viel Brutalität auszusetzen? Hat er Mindy nicht die Kindheit und die Chance auf ein „gewöhnliches Leben“ genommen?
Interessanterweise ist Hit-Girl nicht nur die einzige Superheldin in ihrer ursprünglichen Welt, dem „Kick Ass“-Universum, sondern auch die einzige Identität mit Geschlechtskategorie („Girl“) im Namen. Ein solches Othering der einzigen weiblichen Figur steht ihrem feministischen Potenzial dann doch entgegen.
Hengameh Yaghoobifarah
Alternative Superheld_innen
Wer legt eigentlich die Kriterien für Superheld_innen fest? Steht das „Super“ für Übernatürliches? Nicht alle Comic-Superheld_innen haben derartige Kräfte, populäre Figuren wie Catwoman oder Batwoman kommen ohne sie aus. Ihre körperlichen Fähigkeiten sind zwar enorm, doch sie könnten auch in der realen Welt von Normal-sterblichen erlernt werden – wobei an dieser Stelle fraglich ist, welche Körper dabei von vornherein ausgeschlossen werden und welche Technologien dazu nötig sind.
Sind es die Outfits? Liegt es an den geheimen Identitäten? In Marjane Satrapis autobiografischer Graphic Novel „Persepolis“ kämpft die Protagonistin schließlich auch mit Identitätsfragen und gegen die unterdrückenden Systeme. Und auch Enid aus „Ghost World“ trägt eine Kostümierung: Ihre im Sexshop erworbene Katzenmaske weckt sofort Assoziationen mit Catwoman. Hothead Paisan bekämpft in ihrem Comic das Patriarchat mit militärischen Mitteln – macht sie das nicht auch zur Superheldin?
Anstatt Allegorien in Parallelwelten zu konstruieren, beziehen sich diese Figuren explizit auf die Gesellschaft, retrospektiv oder gegenwärtig. Sie bieten viel Raum für Identifikation, insbesondere in solchen Fällen, in denen der tägliche Kampf sich nicht gegen Kriminelle und klassische Bösewichte, sondern gegen reale Missstände richtet. Als Antagonist_innen treten Systeme oder einzelne Unterdrückende auf, der Gegenwind kann auch in den Held_innen selbst stecken.
Zusätzlich geht es um Repräsentation. Mut und Antrieb werden von klassischen Superheld_innen in einem sehr epischen Stil ausgeführt. Die meisten von uns haben nicht die Kraft, mal eben ein internationales Drogenkartell zu entlarven oder über die Dächer von Großstädten zu springen. Überhaupt wohnen nicht alle von uns in Großstädten und viele haben ohnehin Höhenangst.
Durch Subversion – wie groß das Maß auch sein mag – gegen das System zu rebellieren, ist stattdessen ein wahrlicher Held_innenakt.
Hengameh Yaghoobifarah