Welche Publikationen gibt es für lesbische Jugendliche am deutschsprachigen Buchmarkt? Und welche Themen werden in lesbischen Jugendbüchern behandelt? Eine Auswahl von PAULA BOLYOS.
Als im September 2011 Rachel Manija Brown und Sherwood Smith ihr postapokalyptisches Jugendbuch „Stranger“ einem großen US-amerikanischen Verlag anboten, wurden sie von diesem aufgefordert, einen der Hauptcharaktere zu „heterosexualisieren“. Kurz darauf führte die Autorin Melinda Lo eine Studie durch, in der sie zu einem markanten Ergebnis kam: Weniger als ein Prozent der US-amerikanischen Jugendliteratur featuret lesbische, schwule, bisexuelle, transsexuelle oder queere Figuren als Protagonist_innen.(1) Für den deutschsprachigen Raum gibt es diesbezüglich keine bekannte Studie, allerdings kann mit Blick auf die Verlagsprogramme angenommen werden, dass die Zahlen ähnliche sind.
Nur in einigen wenigen Büchern werden bereits kleinen Kindern differenzierte Lebensweisen nahegebracht, wie zum Beispiel in „Alles Familie“ von Alexandra Meixner und Anke Kuhl oder in „Inga und der verschwundene Wurm“ von Dirk Zehender. Beide Bücher zeigen die Vielfalt von Familienmodellen und die verschiedenen Möglichkeiten des Zusammenlebens auf und halten damit gerade für LGBTIQ-Kinder und -Jugendliche, denen es in einer heteronormativ geprägten Umwelt in vielen Bereichen an Vorbildern mangelt, positive Identifikationsangebote bereit.
Im Folgenden sollen anhand einiger thematischer Schwerpunkte beispielhaft Jugendbücher vorgestellt werden, in denen junge Lesben als Role Models auftauchen. Denn auch in Jugendbüchern gibt es sie – sie auch zu finden, gestaltet sich allerdings noch immer schwierig. Nur auf den Seiten der einschlägigen Verlage ist explizit von Lesben die Rede, bei Kinder- und Jugendbuchverlagen, die sich nicht auf queere Lebensweisen spezialisieren, sind Lesben – wenn überhaupt vorhanden – gut versteckt.
Lesbische Romantik. Der Carlsen-Verlag bewirbt Über ein Mädchen von Joanne Horniman auf seiner Homepage als „romantische Liebesgeschichte über zwei junge Menschen, die noch ihren Platz in der Welt suchen“. Tatsächlich handelt es sich bei diesem soeben ins Deutsche übersetzten Roman um eine klassische lesbische Liebesgeschichte. Anna hat sich schon immer zu Mädchen hingezogen gefühlt, aber ihre erste richtige Liebe ist Flynn. „Ich bin ‚every little thing‘“, sagt Flynn schüchtern ins Mikrofon, bevor sie die Bühne verlässt – da ist Anna ihr schon hoffnungslos verfallen. In Rückblenden erfährt die Leserin von Annas Lebensgeschichte, warum sie Canberra und ihre Familie hinter sich gelassen hat, wie sie in eben dieser Stadt, in dieser Buchhandlung gelandet ist. Coming-out und die Unsicherheit, in einer heterosexistischen Gesellschaft lesbisch zu sein, werden zwar thematisiert, stehen aber nicht im Mittelpunkt. Und damit wird der Tatsache Rechnung getragen, dass junge Lesben Liebesgeschichten lesen wollen, in der sie sich selbst wiederfinden können und die nicht nur zum wiederholten Mal das Coming-out durchkauen, das viele schon hinter sich haben.
Romantische lesbische Liebesgeschichten stellt auch der Elles-Verlag in den Mittelpunkt seines Programms, nach dem Motto „Was das lesbische Herz begehrt“. Die dreibändige Serie WG zum Verlieben etwa ist nette Unterhaltung, die sich gut als Entspannungsliteratur für junge Leserinnen eignet. Darin erzählen die Mitbewohnerinnen abwechselnd von Lust und Leiden des WG-Lebens und -Liebens.
Coming-out. Natürlich bleibt das Coming-out nach wie vor relevantes Thema für viele junge Frauen. Im deutschsprachigen Raum sticht Karen-Susan Fessel mit ihren Jugendbüchern ganz besonders hervor, wenn es um einfühlsames und authentisches Erzählen über das Outing in jungen Jahren geht. Hier sind vor allem Jenny mit O und Steingesicht hervorzuheben. In beiden Romanen gelingt Fessel die Nachzeichnung jugendlicher lesbischer Identitätssuche, die stets wesentlich mehr umfasst als den bloßen Aspekt des Coming-outs. Hinzu kommt, dass Armut und ökonomische Unterschiede in beiden Romanen eine relevante Rolle einnehmen. Die Schwierigkeiten, die die beiden jungen Frauen in ihren Herkunftsfamilien haben, sind also nicht bloß auf das Lesbischsein bzw. auf Homophobie zurückzuführen. Leo, die von ihrer Tante Wanda „Steingesicht“ genannt wird, weil sie sich ihre Gefühle nicht anmerken lässt, wird erst nach dem Tod der Mutter und dem Umzug zur fröhlichen Tante klar, dass sie sich zu Mädchen hingezogen fühlt. Sie zweifelt an sich und weiß nicht, was sie mit ihren Gefühlen anfangen soll, merkt aber bald, dass sich auch ihre Tante immer nur mit Frauen umgibt.
Ähnliche Themen behandelt auch Adriana Stern in Pias Labyrinth. Pia ist 15, sie ist ein Arbeiter_innenkind unter reichen Mitschüler_innen. Pia muss nicht nur mit ihrer Armut zurechtkommen, als Kind war sie außerdem sexualisierter Gewalt ausgesetzt. Schließlich landet sie in einer psychiatrischen Klinik, wo sie zusammen mit einem spindeldürren Mädchen in einem Zimmer liegt. „‚Magersucht‘, sagt die Dünne, ohne dass Pia irgendwas gefragt hätte. ‚Und du?‘ ‚Arbeiterkind‘, sagt Pia. ‚Das ist doch keine Diagnose!‘“ Pia findet schließlich ihren Weg, sie lernt Mädchen kennen, mit denen sie sich anfreundet, outet sich und verliebt sich.
Auch Miriam Münteferings Flug ins Apricot und Ahima Beerlages (inzwischen leider vergriffener Roman) Sterne im Bauch sind Beispiele für lebensnahe, sensible Erzählungen über das Coming-out und das Erwachsenwerden. In beiden Büchern wird neben der ersten Liebe auch das Jungsein in ländlicher Gegend dargestellt, die Sehnsucht nach dem Entkommen und dem Erwachsensein.
Zwischen romantischer Liebes- und Coming-out-Geschichte steht Marsmädchen von Tamara Bach. Weil der Deutsche Taschenbuch Verlag „lesbisch“, „Lesbe“ oder „Homosexualität“ nicht als Suchbegriff kennt, muss sich die Leserin anhand des Klappentextes die tiefere Bedeutung des Titels zusammenreimen: „Am liebsten hätte Miriam Laura ganz für sich allein …“ Ganz so ist es nicht, aber Miriam verliebt sich in die Neue in der Klasse, ist verunsichert, erlebt den ersten Kuss und hat mit Rückschlägen zu kämpfen. Ganz so wie es das erste „richtige“ Verliebtsein mit sich bringt. Coming-out ist ein Thema, geht jedoch ganz problemlos vonstatten und zeigt, wie „normal“ es sein kann, lesbisch zu sein – auch für Mama und den großen Bruder Dennis.
Lesben in Nebenrollen. In Von Wahrheit, Schönheit und Ziegenkäse will Owen romantische Komödienfilme drehen, in denen Schwule als Nebenrollen vorkommen, wie in den 1950er- und 1960er-Jahren: „Nur dürfte sich Rock Hudson in meinen Filmen outen.“ Diese Idee setzt Megan Frazer in ihrem 2012 bei Carlsen in der deutschsprachigen Übersetzung erschienenen Roman auch selbst um. Eigentlich geht es um Schönheit und die Frage, was als „schön“ gilt. Dara ist zu dick, wie sie findet. Als Sechsjährige gewann sie den Beautywettbewerb der „Little Miss Maine“, aber seitdem wurde sie immer dicker und fühlt sich nur noch als Versagerin. Dara hat eine ältere Schwester, die noch vor ihrer Geburt abgehauen ist und deren Existenz die Eltern zu verdrängen versuchen. Nach einem Eklat nimmt Dara Kontakt zu ihr auf und wird sofort auf deren Ziegenfarm eingeladen.
Die Jezabel-Farm ist ein Zufluchtsort für Lesben, die von ihrer Familie verstoßen wurden. Auch Owen lebt dort, der nach seinem Outing von seinen Eltern rausgeschmissen wurde. Dara findet in Owen einen Freund und auf der Farm ihrer Schwester ein neues Zuhause. Lesbischsein, Coming-out, Homophobie und auch (lesbisches und heterosexuelles) Verliebtsein – all das ist in dieser Erzählung wichtig, aber die Hauptsache ist die, dass Dara beginnt, sich wieder zu mögen und ihr Dicksein nicht mehr als Schwäche zu sehen.
Happy End? Bei Verlagen, die explizit lesbische Literatur im Programm anführen, wie Krug und Schadenberg, Quer Verlag, Elles oder der Argument Verlag, findet sich immer wieder etwas für Jugendliche. Jene Verlage, die sich auf Kinder- und Jugendliteratur spezialisieren, scheinen hingegen vor der Publikation und Bewerbung von Büchern mit lesbischen bzw. LGBTI*-Themen zurückzuschrecken.
Das Coming-out ist ein wichtiges Thema in vielen Romanen für junge Lesben, weil es die Lebensrealität junger Frauen widerspiegelt – die Verwirrung der ersten Liebe vermischt mit der Angst vor der Reaktion von Eltern und Freund_innen, die das Verliebtsein zu einem viel größeren „Aufwand“ macht. Trotzdem wären für die Zukunft Jugendromane wünschenswert, die die alltäglichen Probleme von Jugendlichen selbstverständlich auch aus lesbischer Sicht zeigen, mit ganz vielen Lesben in Nebenrollen.
Paula Bolyos ist feministische Aktivistin, eine von zwei ChickLit-Gründerinnen und schmökert in der Buchhandlung lieber in der Kinder- und Jugendabteilung als die Steuererklärung zu machen.
Fußnoten:
1 ww.malindalo.com/2011/09/i-have-numbers-stats-on-lgbt-young-adult-books-published-in-the-u-s
Buchtipps:
Tamara Bach: Marsmädchen. DTV 2005
Ahima Beerlage: Sterne im Bauch. Krug und Schadenberg 1998
Corina Ehnert: Eine WG zum Verlieben (3 Bände, 2009–2011)
Karen-Susan Fessel: Jenny mit O. Querverlag 2005
Karen-Susan Fessel: Steingesicht. Querverlag 2012
Megan Frazer: Von Wahrheit, Schönheit und Ziegenkäse. Carlsen 2012
Joanne Horniman: Über ein Mädchen. Carlsen 2013
Mirjam Müntefering: Flug ins Apricot. Krug und Schadenberg 2010
Adriana Stern: Pias Labyrinth. Argument Verlag 2003
2 Kommentare zu „Von Marsmädchen und Sternen im Bauch“
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Eine sehr schöne Übersicht über die vorhandene Literatur. Ich würde mich über Kommentare freuen, falls jemand noch weitere Titel empfehlen kann.