Ältere Frauen werden unsichtbar gemacht, ihre Sexualität erst recht. Verena Kettner hat mit Gabriele Schweiger und Christa Wagner über Lust und neue sexuelle Freiheiten im Alter gesprochen.
„Fuckability“, wörtlich übersetzt die „Fickbarkeit“, ist in unserer patriarchalen Gesellschaft einer der wichtigsten Werte, über die eine Frau verfügen kann. Ihre sexuelle Attraktivität macht einen großen Teil ihres Kapitals aus – ob sie das nun will oder nicht. Ältere Frauen hingegen verlieren dieses Kapital. Manche Frauen berichten davon, bereits mit vierzig diese Form der Anerkennung verloren zu haben – „wenn die Blicke dann auf einmal weg sind“ –, andere erleben die Veränderung erst mit sechzig. Fest steht, dass die klassische Schönheitsnorm sehr eng mit Jugendlichkeit verknüpft ist und ältere Frauen nicht nur als nicht mehr sexuell begehrenswert gelten, sondern am besten bitte auch überhaupt keinen Sex mehr haben sollten. Obwohl ältere Frauen auf Pornoplattformen eine sehr begehrte Kategorie sind, gilt Sex im Alter im realen Leben als Tabuthema, das oft sogar mit Ekel assoziiert ist. Wobei es hier selbstverständlich den typischen Unterschied in der Bewertung von Frauen und Männern gibt: Wenn ältere Männer sexuell aktiv sind, unterstreicht das ihr Image als „Lebemann“ und wird durchaus positiv wahrgenommen. Ältere Frauen werden hingegen für ihre sexuellen Aktivitäten verurteilt – das „gehört sich nicht“.
Bei manchen Frauen führt dieses Stigma dazu, dass sie sich schämen, ihre Lust auszuleben. Bei anderen lässt die Libido nach. Doch es gibt auch Erzählungen von Frauen, die ihre Sexualität ganz anders wahrnehmen und im Alter nochmal sehr viel mehr Freude und Lockerheit empfinden.
Unkomplizierter Sex. Gabriele Schweiger kennt sich mit weiblicher Sexualität im Alter aus. Bereits 2010 produzierte sie den Dokumentarfilm „Die Lust der Frauen“, in dem fünf ältere Frauen über ihr Sexleben berichten. Das Thema hat Gabriele Schweiger überhaupt erst zum Film gebracht, da Sex immer einen hohen Stellenwert in ihrem Leben hatte und sie bereits früh anfing, darüber nachzudenken, was der Alterungsprozess mit weiblicher Sexualität anstellt – bzw. was die Gesellschaft damit anstellt. In den dreizehn Jahren, die seither vergangen sind, habe sich leider wenig getan: „Dass ältere Frauen Lust empfinden und Sex haben, ist immer noch genauso verpönt.“ Mittlerweile zählt Gabriele Schweiger sich selbst zur Gruppe der „älteren Frauen“, sie ist nun Anfang sechzig. Vor drei Jahren hat sie ihre letzte Partnerschaft beendet. Da sie mittlerweile überhaupt keine Lust mehr habe, sich mit fürsorgebedürftigen Männern herumzuärgern, die ihre Bedürfnisse und Emotionen nicht artikulieren können, ist es vor allem unkomplizierter Sex, den sie sucht. In ihrer Altersgruppe sei das aber gar nicht so einfach, berichtet Schweiger, und auf junge Männer stehe sie leider gar nicht. Online-Dating bietet eine Möglichkeit, um Sexpartner kennenzulernen, aber auch hier werden ältere Frauen diskriminiert: Auf Tinder beispielsweise müssen sie mehr für ihre Profile bezahlen als jüngere Altersgruppen.
Mehr Spaß am Sex. Abgesehen von den Männern, die durch ihre Defizite in Sachen Kommunikationen und Emotionen das Beziehungs- und auch Sexleben verkomplizieren, ist Gabriele Schweiger mit ihrer Sexualität sehr zufrieden. Sie hat sogar mehr Spaß am Sex als früher: „Natürlich, der Körper verändert sich, da muss man halt damit klarkommen, dass die Brüste nicht mehr so straff und überall Dellen sind. Aber dieses Annehmen des eigenen Körpers nimmt mir auch viel von so einem absurden Leistungs- und Performancedruck“. Auch die über die Jahre gewonnene Selbstsicherheit macht es ihr mittlerweile leichter, ihre Bedürfnisse beim Sex klarer wahrzunehmen und zu kommunizieren und weniger darauf zu achten, nur dem Partner zu gefallen. Es geht ihr nicht mehr darum, irgendeinen „Mann zu halten“, sondern ihre Lust voll auszuleben. Auch körperlich könnte Gabriele Schweiger nicht behaupten, dass ihre Lust abnehmen würde: „Manchmal bin ich einfach geil, das wird auch nicht weniger. Und ich werde dann auch feucht, das hat sich ebenfalls nicht verändert.“ Die über die Jahre gewonnene Selbstsicherheit und auch Unabhängigkeit ermöglichte Gabriele Schweiger auch, ihrem sexuellen Interesse an Frauen mehr nachzugehen. Aber wieder sei es schwierig, passende Sexpartnerinnen zu finden: „Die meisten lesbischen Frauen in meinem Alter sind wahrscheinlich in fixen Beziehungen und Orte für queeres Dating in Wien für Frauen ab sechzig sind mir leider nicht bekannt.“ Hinzu kommt noch eine wohlbegründete Angst vor Biphobie, die auch in der queeren Szene auftritt und die Angst davor, als bisexuelle ältere Frau von lesbischen Frauen nicht begehrt zu werden.
Der beste Sex des Lebens. Christa Wagner ist 78 Jahre alt und lebt im Burgenland. Obwohl ihr Leben auf dem Land sich sehr von Gabrieles Stadtleben unterscheidet, hat sie eine ähnliche Einstellung zu ihrer Sexualität. Für Christa war die Menopause eine große Befreiung, weil sie danach Sex endlich ohne die ständige Angst vor ungewollter Schwangerschaft genießen konnte. Auch sie hat sehr viel Lust auf Sex, aber sehr wenig Lust auf einen Mann, um den sie sich ständig kümmern muss. Momentan führt sie eine Fernbeziehung mit einem um einige Jahre jüngeren Mann. Jedes Jahr verbringt Christa zwei Monate bei ihm und hat den besten Sex ihres Lebens, „weil bei uns auch einfach die Kommunikationsbasis stimmt. Wir können über alles reden“. Obwohl es nicht immer einfach für Christa ist, zehn Monate ohne ihn zu verbringen, findet sie die Fernbeziehung in Ordnung, da sie sich in der gemeinsamen Zeit richtig ausleben kann: „Es braucht immer ein bisschen Anlaufzeit, aber dann treiben wir es manchmal dreimal am Tag!“ Obwohl Christa in einem sehr kleinen Dorf lebt, wo alle Menschen einander kennen, wird sie nie darauf angesprochen, dass sie sehr offen mit ihrer Sexualität umgeht und auch über ihre Beziehung zu einem jüngeren Mann spricht. Gelästert würde eher hinter verschlossenen Türen. Selten gäbe es Anfeindungen, aber auch das pralle an ihr ab. Schließlich verdanke sie dieser sexuellen Befreiung auch ihre neue Lebensfreude – und die will sie sich auf gar keinen Fall wieder nehmen lassen. •
Verena Kettner hat bisher nicht so viel über das Altern nachgedacht, findet die Aussicht darauf nun aber gar nicht so übel.