In großen Teilen der USA sind Schwangerschaftsabbrüche fast völlig verboten. Organisationen, die diskret Abtreibungspillen versenden, helfen. Von Lisa Wölfl
„Ich habe vor ein paar Tagen herausgefunden, dass ich schwanger bin“, schreibt eine US-amerikanische Userin auf der Plattform Reddit. Erst hatte sie einen Arzttermin vereinbart, dann entschieden, dass sie die Schwangerschaft abbrechen will. Das ist in ihrem Bundesstaat aber verboten. Sie fragt nach Rat: Soll sie den Termin absagen? Behaupten, sie habe eine Fehlgeburt gehabt? „Ich habe Angst, angezeigt zu werden.“
Im Juni 2022 kippte der Oberste Gerichtshof der Vereinigten Staaten die Grundsatzentscheidung Roe v. Wade, die bundesweit ein Recht auf Abtreibung einräumte. Bundesstaaten mit konservativen Regierungen haben seitdem den Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen stark eingeschränkt.
In zwölf Staaten ist Abtreibung mittlerweile fast völlig verboten. Texas etwa stellt alle Abbrüche unter Strafe, außer das Leben der Schwangeren ist in Gefahr. Andere Ausnahmen, etwa bei Vergewaltigung, gibt es nicht. Weitere fünf Bundesstaaten haben eine Frist von sechs Wochen festgelegt, in der ein Abbruch straffrei möglich ist. Ein Zeitraum, in dem viele die Schwangerschaft noch gar nicht bemerken.
Strenge Gesetze und drohende Strafen zwingen ungewollt Schwangere dazu, lange Wege auf sich zu nehmen oder eine Abtreibung selbst durchzuführen. Selbstabtreibungen können durchaus effektiv und sicher sein, doch häufiger wird auf potenziell gefährliche Methoden zurückgegriffen.
Abtreibungspillen auf Twitter und Ebay. „Manche haben gesagt, ich bin wahrscheinlich die einzige Person, mit der sie jemals darüber sprechen werden“, sagt Melissa Madera, Co-Autorin einer Studie zu Abtreibung via Telemedizin, im Interview via Zoom. Seit neun Jahren beschäftigt sie sich mit Schwangerschaftsabbrüchen. Ihre Motivation? „Ich wollte andere Menschen treffen, die Abtreibungen gehabt haben“, sagt sie.
Eine der wichtigsten Ergebnisse der Studie ist, wie schwierig es ist, schnell an seriöse Informationen zu kommen, sagt Madera. Befragte erzählten, dass sie nicht sicher waren, welchen Seiten sie vertrauen konnten. „Manche haben gesagt, sie hätten Tabletten auf Ebay gefunden“, sagt Madera.
Unseriöse Angebote für Abtreibungspillen gibt es in sozialen Netzwerken zuhauf. Verschiedene User*innen mit generischen Profilbildern bieten etwa auf Twitter Abtreibungspillen an. Die Posting-Texte sind ident, Informationen über Medikamente, Versand und Kosten gibt es keine.
Nachfrage nach Abtreibungspillen. Wo der Staat ungewollt Schwangere im Stich lässt, springen Non-Profit-Organisationen wie Aid Access ein. Die Organisation verschickt seit 2018 Tabletten zur medikamentösen Abtreibung in alle US-Bundesstaaten. Ihren Sitz hat sie in Österreich.
Gründerin von Aid Access ist die niederländische Ärztin und Aktivistin Rebecca Gomperts. Sie ist eine der wichtigsten Stimmen im Kampf um Zugang zu Abtreibungen weltweit, gründete mehrere Organisationen, führte Abbrüche in internationalen Gewässern durch und half dabei, Drohnen mit Abtreibungspillen nach Nordirland zu schicken.
Im Jahr 2019 forderte die US-Behörde für Lebens- und Arzneimittel FDA Gomperts auf, das Versenden von Medikamenten über Aid Access einzustellen. „Ich werde nicht aufhören, Frauen zu helfen, die meine Hilfe brauchen“, erwiderte sie damals gegenüber NBC News.
Der Dienst von Aid Access ist nun wichtiger denn je. Die Nachfrage nach Medikamenten zur selbstständig durchgeführten Abtreibung ist nach dem Fall von Roe deutlich gestiegen. Ersten Studien zufolge gab es nach der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs 160 Prozent mehr Anfragen an Aid Access als im Vergleichszeitraum. Zum größten Zuwachs an Anfragen kam es in Bundesstaaten mit Abtreibungsverboten.
Rezepte aus Europa, Tabletten aus Indien. Dort, wo Abbrüche und Telemedizin legal sind, verschickt Aid Access innerhalb der USA. Das kann bis zu fünf Werktage dauern. Betroffene in Bundesstaaten, die Abtreibung zur Straftat gemacht haben, bekommen die Tabletten von europäischen Ärzt*innen verschrieben und aus Indien zugeschickt. Wer es sich leisten kann, zahlt dafür bis zu 105 Dollar – und damit deutlich weniger als Abbrüche durch das Gesundheitssystem kosten. Bei finanziellen Problemen hilft die Organisation und es gibt die Pillen für weniger Geld oder sogar kostenlos.
Gerade bei medikamentösen Abtreibungen ist Zeit von entscheidender Bedeutung. Die Tabletten sollen in den ersten zehn Wochen der Schwangerschaft eingenommen werden. Der Versand dauert laut eigenen Angaben zwischen einer und drei Wochen. Das Warten ist für viele psychisch belastend.
Geheimhaltung. Wie zufrieden Betroffene mit dem Dienst der Organisation dennoch sind, zeigt eine neue Studie. Forscher*innen haben dafür achtzig Personen befragt, die im Jahr 2019 mithilfe von Aid Access eine medikamentöse Abtreibung hatten. Manche erzählten von Wartezeiten bis zu fünf Wochen. Alle Befragten konnten den Abbruch dennoch durchführen und berichten von ihren Erfahrungen als durchwegs positiv.
Zum Befragungszeitpunkt waren Abtreibungen noch bundesweit erlaubt. Die Gründe, sich trotzdem für eine medikamentöse Abtreibung zu entscheiden, waren vielfältig.
Befragte gaben etwa an, dass die Organisation oder Finanzierung einer Abtreibung in einer Klinik unmöglich schienen. Einzelne mussten die Abtreibung vor Familie und Ehemann geheim halten.
Die 24-jährige Angela aus Florida begründet ihre Entscheidung so: „Ich bin ein privater Mensch. Ich wollte nicht, dass es andere wissen. Ich wollte mich selbst darum kümmern. Mir gefiel, dass ich es zu Hause machen konnte, alles planen, mein Umfeld aussuchen. Das war wichtig für mich, meinen Ehemann dabei zu haben, in jedem Moment.“ *
Ineffektive, gefährliche Methoden. Betrügerische Websites machen einen im Grunde sicheren und einfachen Vorgang zum Spießrutenlauf. Auch deshalb greifen viele auf gefährliche Methoden zurück, um eine Schwangerschaft abzubrechen.
Etwa sieben Prozent aller Frauen in den USA versuchen im Laufe ihres Lebens, eine Schwangerschaft selbst abzubrechen. Am häufigsten kommen Kräuter (38 Prozent) und Medikamente (29 Prozent), die nicht für Abbrüche zugelassen sind, zum Einsatz. „Personen erzählen auch, dass sie sich in den Bauch geschlagen oder Objekte in die Vagina eingeführt haben“, sagt Lauren Ralph, Autorin der Studie zur Prävalenz von Selbstabtreibungen.
„Ich war ziemlich verzweifelt damals. Ich habe gelesen, wenn du von bestimmten Kräutern viel isst, dass es dabei hilft, eine Abtreibung zu verursachen. Ich habe das tatsächlich probiert, verrückt, wie es klingt, und es hat natürlich nicht funktioniert. Ich habe versucht, mir selbst in den Bauch zu boxen. Ich habe einen Freundin gebeten, mich zu treten“, berichtet Kendra, 29, aus Missouri .*
Die Ergebnisse legen nahe, dass der Zugang zu Abtreibungen in Kliniken auch vor dem Fall von Roe eingeschränkt war. „Wir müssen darüber reden, wer besonders stark von den Abtreibungsverboten betroffen sein wird“, sagt Ralph. „Junge Frauen, Women of Color und arme Frauen.“ Diese Frauen würden schon in ihrem gesamten Leben Diskriminierungen im Gesundheitssystem erleben.
Trotzdem sind sich die Expertinnen Madera und Ralph einig, dass die Situation um einiges besser ist als in den Zeiten, in denen der Kleiderhaken das Symbol für gefährliche illegale Abtreibungen wurde. „Wir haben die Technologie, die Medikamente und die Informationen“, sagt Madera. „So sind Selbstabtreibungen sicher.“ •
Lisa Wölfl ist Journalistin und Podcasterin in den USA.
1 Kommentar zu „USA: Abtreibung selbst in die Hand nehmen“
Vielen Dank für diesen Beitrag zum Thema Abtreibungen. Ich finde es schade, dass dieses Recht den Frauen in den USA künftig untersagt werden soll. Ich bin aktuell auf der Suche nach einer Ärztin für Abtreibungen.