Ein Kommentar von GABI HORAK
„Das ist das brutalste Gesetz, das ich in dreißig Jahren Sozialpolitik gesehen habe.“ (Martin Schenk, Diakonie und Armutskonferenz)
„Diese Regierung tut alles, um noch mehr Armut und Spaltung in diesem Land zu produzieren.“ (Michaela Moser, FH St. Pölten und Armutskonferenz)
ExpertInnen gehen langsam die sprachlichen Superlative aus, um den Regierungswahnsinn zu beschreiben. Das neue Sozialhilfe-Gesetz ist bloß ein weiterer Mosaikstein. Die Antwort auf diesen Wahnsinn besteht oft in einer sachlichen Kritik der Maßnahmen, die deren Auswirkungen auf Menschen schildert und zeigt, wie unsozial das alles ist. Aber diese Kritik geht leider von falschen Vorannahmen aus: Der Regierung ist hier kein Fehler unterlaufen. Sie setzt nicht die falschen Maßnahmen, weil sie es nicht besser weiß oder kann. Es geht und ging ihr nie um Armutsbekämpfung – und das hat sie auch nie behauptet. Es geht nicht um Integration. Es geht nicht um Herstellung von gleichen Chancen für alle. Das scheint nur so unglaublich und dumm zu sein, dass wir es nicht glauben wollen.
„Sozialpolitik“ findet nicht mehr statt. Diese Regierung hat keine soziale Vision von einer gleichberechtigten Gesellschaft, nicht einmal als Feigenblatt. Sie macht auch keinen Hehl daraus, worum es eigentlich geht: um mehr Geld und Privilegien für die „eigenen“ Leute – die eigenen WählerInnen, die eigenen GeldgeberInnen – und um weniger für andere.
Das Sozialhilfe-Gesetz ist keine sozialpolitische Maßnahme, sondern ein Disziplinierungsgesetz für alle Menschen, die nicht arbeiten (ganz egal, ob sie können oder nicht). Das „Warum“ und „Wohin wird das führen“ interessiert nicht. Es geht gar nicht mehr darum, dass Menschen abgesichert sind und das Mindeste zum Überleben haben.
Darum dürfen wir auch nicht „Mindestsicherung Neu“ sagen, weil es das nicht mehr ist, sagen Betroffene und NGOs. Gut, nennen wir die Dinge beim Namen: Die Unsozialpolitik der Regierung funktioniert hervorragend, die Desintegrationsmaßnahmen und Armutsverschärfungsmaßnahmen werden schnell und flächendeckend wirken, sind sich die SozialexpertInnen einig.
Immer öfter zeigt sich: Der menschenrechtliche Grundkonsens ist infrage gestellt. Wenn Menschen Grundrechte verweigert werden und sie mit voller Absicht ausgehungert werden, weil man sie einfach nicht dahaben will, dann fehlt die Gesprächsbasis. An welches Menschenbild kann hier angeknüpft werden? An welches Gewissen appelliert? Wenn ich Personen in meinem nahen Umfeld die Frage stelle „Sollen denn nicht alle Menschen essen dürfen?“ und als Antwort kommt ein klares Nein, wie soll ich dann noch diskutieren?
Was würde es dann noch bringen, hier auf weitergehende Rechte wie jenes auf soziale Teilhabe zu pochen? Die „Würde des Menschen“ ist ein Grundkonsens, der nicht mehr gilt.
Auch Fakten gelten nicht mehr. Mit Zahlen und Tatsachen versucht die „radikale Linke“ (und dazu zählen mittlerweile sogar schon kirchliche Organisationen und ehemalige Christlichsoziale) der Regierung zu beweisen, wie kurzsichtig Armutsverschärfungsmaßnahmen und Desintegrationsmaßnahmen sind. Dass es nachweislich für alle schlechter ist, wenn Einzelne nicht dazugehören. Aber die Unsozialpolitik schafft ihre eigenen Tatsachen. Wissenschaft und freie Presse werden durch die Fake-News-Schreikultur ad absurdum geführt. Die Philosophin Sophie Loidolt warnt im „Standard“-Interview vor dem Angriff auf die Pressefreiheit, der „Demontage dieser Säule der Demokratie“. Es ist keine Warnung in eine ferne Zukunft, denn die Angriffe haben längst begonnen. Wenn Fakten nicht mehr zählen, wie sollen wir dann noch gegen die Demagogie ankämpfen? Auch das ist so unglaublich und dumm, dass es kaum zu glauben ist.
Sagen, was ist. „Die Forderung nach einer Arbeitspflicht für geflüchtete Menschen ist die logische Konsequenz der bisher gesetzten Maßnahmen. Ich bin mir leider sicher: Bald wird #Arbeitspflicht auch für Sozialhilfeempfänger gelten“, schreibt Judith Pühringer, arbeitplus-Geschäftsführerin, Mitte März in einem Tweet.
Sagen, was ist. Armutsbekämpfung ist nicht ihr Ziel. Integration ist nicht ihr Ziel. Gleiche Chancen für alle Kinder ist nicht ihr Ziel. Wie ändert sich unser Widerstand, wenn wir das endlich akzeptieren? Ich habe noch keine Antwort darauf.
1 Kommentar zu „Unsozialpolitik“
Ein erfolgreicher Widerstand benötigt eine entsprechende Macht, die bei aktuellen Ereignissen mehr als nur das Schlimmste verhindern kann. Diese Position ist allerdings nicht von heute auf morgen realisierbar, sie aufzubauen braucht Zeit. Wir werden sie uns nehmen müssen, damit künftige Generationen vor der geplanten “Amerikanisierung” unseres Wirtschafts- und Sozialsystems bewahrt werden.