NFT steht für Non Fungible Tokens – einzigartige, digitale Zertifikate, die als fälschungssicher gelten. In der Kunstwelt haben sie einen regelrechten Hype ausgelöst. Zurecht? Brigitte Theißl hat bei Anne Zühlke nachgefragt.
an.schläge: Die Künstlerin Alicja Kwade verkauft ihren DNA-Code geteilt in über 10.000 digitale Stücke, eines davon kostet 300 Euro. Warum sollte ich ein solches Stück besitzen wollen?
Anne Zühlke: Darin schwingt die Frage mit, wieso Kunst generell gekauft bzw. besessen werden soll. Mit der Besonderheit, dass NFT-Kunstwerke immer immateriell sind. Man kann sie weder aufhängen noch dekorativ hinstellen. Ist man privat kein exzessiver Fan dieser Künstlerin und ihrer Ästhetik oder eingefleischte_r Tech-Utopist_in, gibt es kaum Gründe. Es gibt lediglich die Vorstellung, durch den Kauf Teil einer aktuellen Fortschrittserzählung zu werden. NFT-Dateien lassen sich platzsparend aufbewahren, stellen ein Stück Zeitgeschichte dar und ihre Wertsteigerungen können rasant sein – so könnte die Argumentation lauten. Kunstwerke sind heute genauso Investmentinstrumente wie Immobilien oder Aktien und NFT-Kunst ist aktuell die Schnittstelle zwischen Kunstmarkt und Kryptomarkt bzw. der Tech-Industrie, aus der sich auch der größte Anteil der Käufer_innen von NFT-Kunst speist.
NFTs werden aktuell hitzig diskutiert. Liegt das vor allem an den Millionen-Beträgen, die einzelne Kunstwerke bereits erzielt haben?
Nicht nur. Als das Auktionshaus Christies eine NFT-Arbeit von Beeple für 69 Millionen Dollar versteigert hat, ist das Thema an die breite Öffentlichkeit geraten. Aber alle Punkte, die in der NFT-Debatte diskutiert werden, waren schon vorher Streitthemen in der Kunstwelt und werden in der aktuellen Debatte zugespitzt. Die Preisbildung ist ein Aspekt, der miserable ökologische Fußabdruck und die Unberechenbarkeit der Kryptomärkte ein anderer. Ein NFT selbst ist kein Kunstwerk, sondern lediglich ein Echtheitszertifikat für eine Datei. Eine digitale Datei kennt kein Original im gleichen Sinne wie ein Gemälde und eine beliebige Version von ihr wird durch die Ersteller_innen mithilfe des NFT-Zertifikats zum Original erklärt. Diese Vorgehensweise steht im diametralen Gegensatz zum traditionellen Kunstverständnis der meisten Menschen, zeichnet sich ein Kunstwerk doch durch seine Einzigartigkeit aus. Die Illusion, dass Kunstwerken aufgrund ihrer Originalität tatsächlich ein ganz konkreter, monetär bestimmbarer Wert innewohnt, der nur von Kunstexpert_innen erkannt werden kann, wurde einmal mehr und sehr öffentlichkeitswirksam als normative Setzung entlarvt.
Hat NFT-Kunst das Potenzial, die elitäre Kunstwelt ein Stück weit zu demokratisieren?
Eher nicht und das hat mehrere Gründe. Für einen kurzen Moment hat es den Anschein gemacht, dass das Phänomen „NFT“ insbesondere Galerien und Händler_innen als Schnittstelle zwischen Künstler_innen und Käufer_innen überflüssig machen könnte – mithilfe der Online-Plattformen, auf denen die häufig als „Creators“ bezeichneten Künstler_innen ihre Arbeiten selbst vertreiben. Es hat sich aber gezeigt, dass sowohl die Vertriebsplattformen oft zu großen Internet-Monopolisten gehören, als auch, dass die ohnehin schon etablierten Galerien und Künstler_innen die starken Umsätze machen. Die große Mehrheit von Galerien und Auktionshäusern hatte vor der Corona-Pandemie, in der das Phänomen so stark geworden ist, digitale Kunst häufig nicht mal im Portfolio und ist nun um ein Marktsegment reicher geworden. Personen wie Beeple sind eine Ausnahme, die schnell zur Mythenbildung führt. Der Zentralisierung von ökonomischer und Informationsmacht vor allem im digitalen Raum haben NFTs nichts entgegengesetzt. Eher im Gegenteil.
Kryptowährungen sind Männersache, zeigen Studien. Ist das auch bei NFT-Kunst so?
In absoluten Zahlen, ja. Die Mehrheit der sogenannten „Drops“, also Veröffentlichung der NFT-Arbeiten auf den Online-Plattformen erfolgt durch männliche Künstler. Auch die höchsten Verkaufspreise haben bisher Werke von Männern erzielt und diese wurden öfter in den wichtigen Fachzeitschriften etc. besprochen. Aber wie überall gibt es auch in der digitalen Kunst eine große Anzahl weiblicher und queerer Positionen, die mindestens genauso stark sind und genauso viel Aufmerksamkeit verdienen würden. Der NFT-Markt reproduziert seine eigenen Bedingungen. Er ist aus einer teilweise sexistischen, rassistischen und sehr kompetitiven, marktliberalen Reddit-Internet-Kultur erwachsen. Viele weibliche und/oder queere Positionen sind zwar oft unterrepräsentiert und finanziell leider nicht so erfolgreich, aus kunstwissenschaftlicher Sicht aber wesentlich interessanter, weil sie sich in ihren Arbeiten mit den gesellschaftspolitischen Untiefen der NFT-Welt auseinandersetzen. •
Anne Zühlke ist Kuratorin des DOCK 20 und Kunsthistorikerin. Sie lebt und arbeitet in Wien.