Der neu erschienene Band „Rebel Girl“ zollt der 2004 verstorbenen Journalistin Tine Plesch Tribut. Freundin und Musikerin/DJ EVI HERZING alias Eve Massacre editierte das Buch mit. KENDRA ECKHORST erzählte sie vom „feministischen Versprechen“ im Pop.
Tine Pleschs Texte zu Feminismus und Popkultur haben bis heute nichts an Relevanz verloren. Auch für den Ventil-Verlag spielte die Journalistin eine zentrale Rolle – etwa bei der Herausgabe der „testcard“-Reihe. Umso näher lag die Idee für den Verlagsmitarbeiter Jonas Engelmann, gemeinsam mit Hans Plesch und Evi Herzing eine Sammlung von Tine Pleschs Texten herauszugeben.
an.schläge: Tine Plesch war eine sehr aktive Autorin, Journalistin und Moderatorin beim freien „Radio Z“ in Nürnberg. War es einfach, aus der Fülle der Materialien auszuwählen?
Evi Herzing: Anfangs war es sehr verzettelt. Die Texte waren in diversen Fanzines, in der „testcard“ oder im „Yot-Infozine“ erschienen. Bernd Distler, ihr damaliger Lebensgefährte, hatte viele Texte und auch einige Radiosendungen und Vorträge in einem Online-Archiv zusammengetragen. Die Radiosendungen konnten wir leider nicht mit aufnehmen, aber ich denke, wir haben ganz gut ausgewählt. Einig waren wir uns alle sofort bei ihrem Text „Gender Trouble – Billy Tipton und ihr Leben als Mann“ über eine Musiker_in, die in den 1930er-Jahren als Mann und Pianist, Saxofonist und Entertainer auf nordamerikanischen Bühnen auftrat.
Für mich ist Tine nicht nur die Frau, die über Feminismus geschrieben hat, sondern eine, die einen weiten Blick auf das Feld hatte und Künstlerinnen auch ein Podium gegeben sowie ihre Geschichten nacherzählt und sichtbar gemacht hat.
Die einzelnen Kapitel sind als Straßenatlas angelegt. So gibt es Vorfahrtsstraßen, in denen die Bezeichnung „Frauenband“ diskutiert wird, oder Seitenstraßen, in denen die Ambivalenz des weiblichen Humors untersucht wird. Warum habt ihr dieses Bild gewählt?
Wir saßen vor den kleinen Häufchen von Texten und wollten die Zusammengehörigkeit benennen. Gerade beim Artikel „Trinken, aber gar nicht immer übers Trinken schreiben“ kam uns das Bild des Auswegs, der Ausfahrt in den Sinn, und die weiteren Straßenbezeichnungen für die einzelnen Kapitel folgten. Gänzlich ohne Straßennamen kommt der schöne Einstiegstext „Büste und Büstenhalter“ aus, einer der wenigen persönlichen und humoristischen Texte von Tine.
Tine Plesch prangerte die männlich dominierten Geschlechterverhältnisse und sexistischen Rollen in der Popkultur an und schrieb in einer Art Spurensuche nach (feministischen) Künstlerinnen und Musikerinnen gegen diese an. Sind Frauen in den letzten zehn Jahren in diesem Feld selbstverständlicher und präsenter geworden?
Einerseits hat sich viel getan: Es ist einfacher als Frau auf Tour zu gehen, die blöden Sprüche nehmen ab, und es gibt viel mehr selbstbewusste Frauen, aus dem Do-it-yourself-Umfeld ebenso wie im Pop. Andererseits gibt es einen Backlash. Im HipHop kommen Rapperinnen oder Beatbastlerinnen kaum vor, der weiße Indie-Bereich bleibt unangetastet, und auch die Ästhetik geht zurück zu den Mädchen im Kleidchen und mit langen Haaren. Problematisch finde ich diesen Rückwurf auf die schüchterne Heimchenfigur.
Tine Plesch sprach sich für die (Selbst-)Bezeichnung als „Frauenband“ aus, gerade auch, um sie sichtbarer zu machen. Wie hältst du es mit diesem Begriff?
Ich kann das Wort nicht ausstehen und wähle lieber Umschreibungen, die weniger auf das Geschlecht reduzieren. Wenn ich eine Info für eine Veranstaltung schreibe und die Musikerin oder die Band feministische Inhalte benennt, nehme ich es auf, wenn es in den Texten oder im Auftreten keine Rolle spielt, ist es mir zu platt.
Wie war das in deiner ehemaligen Band The Flamingo Massacres, in der du zusammen mit zwei weiteren Frauen von 1997 bis 2002 gespielt hast?
Am Anfang haben wir diese Bezeichnung bewusst nicht mit aufgenommen. Nachdem allerdings in einer Review von X-Mist, unserem späteren Label, unsere Schlagzeugerin Micha als Mann beschrieben wurde, konnten wir das so nicht stehen lassen. Trotzdem blieb es für uns ein blödes Wort, und wir ließen unsere feministischen Anliegen über die Songtexte einfließen. Mittlerweile arbeite ich lieber mit dem Begriff „queer“.
In ihren Aufsätzen konstatierte Tine Plesch, zu Beginn des 21. Jahrhunderts gebe es noch immer Berührungsängste mit dem Wort Feminismus. Inwiefern gehen heute Feminismus und Popkultur zusammen?
Es ist immer noch nur eine kleine Szene, die sich auf den Feminismus bezieht. Bei den Popgrößen entscheiden weiterhin die PR-Berater, nach der Formel: „Kann ich, oder kostet es mich Fans?“ Ideelles ist bei ihnen schwerlich auszumachen. Ebenso im großen Indie-Bereich, da dreht sich heutzutage alles schnell um das Marketing. Aber dort wo Feminismus sich im Pop zeigt, gibt es mehr Schattierungen denn je; da dürfte für jede und jeden etwas dabei sein.
Wo kann heute das rebellische und auch feministische Versprechen im Pop liegen?
Im Idealfall kann Pop eine Einstiegsdroge sein, um sich mit Feminismus auseinanderzusetzen. Popfeminismus, so kritisch ich ihn lange gesehen habe, kann, weil er spielerischer und bunter herangeht, helfen, den Kopf von uralten Vorurteilen gegen Feminismus freizuwaschen. Feminismus im Pop wird in verschiedenen Szenen ganz unterschiedlich ausgeleuchtet und bietet die verschiedensten Anknüpfungspunkte.
Die Riot-Grrrl-Bewegung schwappte in den 1990er-Jahren auch nach Deutschland und inspirierte eine Vielzahl von Bands. The Flamingo Massacres war für mich eine der Bands, die diesen Funken weitergetragen hat. Danach kamen die Ladyfeste – und dann erst einmal nichts. Wie ist es heute um das Feld bestellt?
Ich bin ein bisschen raus aus den DIY-Punk-Kreisen. Aber ich sehe, dass es hierzulande viele Frauen in Konzertgruppen und spannenden DIY-Bands gibt, wie etwa Les Trucs, beißpony oder Ex-Best Friends. Jenseits des DIY-Kontextes gibt es Leute wie Emika mit ihrer düster-basslastigen Elektronik und sich offensiv um Sexualität drehenden Texten. Und es gibt in ein paar Städten wieder mehr Interesse an Theorie, Leute veranstalten neben Konzerten und Partys auch Vorträge, die kritisch das Rebellische im Pop (unter)suchen, und da wird Feminismus auch immer ein Aspekt sein.
Heute liegt der Fokus weniger auf dem reinen Frauen-Ding, sondern Feminismus verschmilzt mit queeren Aspekten. Vielleicht ging es einige Jahre lang etwas entpolitisierter zu, aber gerade über die letzten ein, zwei Jahre hinweg regt sich doch wieder etwas. Selbst im bekannteren Pop sind ja mit Leuten wie The Knife, Grimes oder Austra wieder durchaus engagierte Künstlerinnen unterwegs. Ich finde nach wie vor, dass das Rebellische im Pop nicht nur über Texte funktioniert, sondern auch in den Strukturen mitgedacht werden muss, also wie die Szene organisiert ist. Und die DIY-Kultur ist immer noch das emanzipierteste Beispiel dafür.
Tine Plesch: Rebel Girl – Popkultur und Feminismus, ediert von Evi Herzing, Hans Plesch und Jonas Engelmann, mit einem Vorwort von Michaela Melián, Ventil Verlag 2013
Evi Herzing alias Eve Massacre ist Musikerin, DJ, Veranstalterin und Bloggerin.
Kendra Eckhorst ist freie Journalistin in Hamburg.