Frauen, die ganz für sich alleine sind – und das auch noch genießen – stören die patriarchale Ordnung. Ihre Freude am Alleinsein sollten sie sich trotzdem nicht nehmen lassen. Von BRIGITTE THEISSL
Frauen wird in jeglicher Hinsicht Angst gemacht vor dem Alleinsein«, sagt Sarah Diehl.
Diehl hat dem Alleinsein ein ganzes Buch gewidmet, 2022 erschien „Die Freiheit, alleinzu sein“. „Im Grunde ist es ein Weiterdenken meines vorigen Buchs, in dem die Kinderlosigkeit von Frauen im Zentrum steht“, erzählt die Autorin im an.schläge-Gespräch. In „Die Uhr, die nicht tickt“ räumte Diehl mit dem Mythos auf, dass Frauen zwangsläufig einen Kinderwunsch hätten und nur im Muttersein ihr wahres Lebensglück finden würden.
Selbst gewählt als Single und dann auch noch ohne Kinder zu leben oder bloß allein auf Reisen zu gehen: Für Frauen ist das im Patriarchat nicht vorgesehen. „Frauen müssen zuallererst für andere da sein“, so formuliert es Sarah Diehl. Ihnen würde eine „Selbstlosigkeit und Bedürfnislosigkeit“ geradezu anerzogen. Wertvoll fühlen sie sich erst dann, wenn sie sich kümmern: um den Partner oder die Partnerin, Kinder, Pflegebedürftige, Freund*innen. Die bestärkende Erfahrung, allein und ganz bei sich zu sein, sich freizumachen von den Erwartungen anderer, ginge vielen Frauen damit unwiederbringlich verloren.
WENIGER EINSAM. Die weibliche Hinwendung zu anderen bringt allerdings durchaus auch Vorteile. Studien zeigen, dass Frauen sich seltener einsam fühlen. Das BCC Loneliness Experiment etwa, das Daten zu über 46.000 Menschen in 237 Ländern liefert, weist dementsprechend junge Männer als jene Gruppe aus, die am häufigsten von Einsamkeit berichtet. Auch Menschen in individualistischen Staaten wie Frankreich, Deutschland oder den USA verspüren mehr Einsamkeit als in Gesellschaften, in denen das Kollektiv eine große Rolle spielt. Insgesamt würden Frauen von den sozialen Netzwerken profitieren, die sie sich sozialisationsbedingt eher aufbauen als Männer, so die Studienautor*innen. Auch eine deutsche Studie aus dem Jahre 2019, die speziell die zweite Lebenshälfte in den Fokus nimmt, weist Männer mittleren Alters als
einsamer aus. Der Geschlechterunterschied schrumpft mit steigendem Alter allerdings. Im hohen Alter schließlich seien Frauen sogar einsamer als Männer – allerdings haben sie durchschnittlich auch eine höhere Lebenserwartung und übernehmen häufiger die Pflege des eigenen Partners.
TÜR ZU. Dass schon eine ungestörte heiße Dusche ein wahrer Luxus sein kann, dazu lassen sich im Netz zahlreiche Mum-Memes finden. Sie erzählen von Müttern, die Ansprechpartnerinnen in jeder Lebenssituation sind – und sich selbst eine geschlossene Klotür hart erkämpfen müssen. Umso lauter warnen Gleichstellungsexpert*innen vor dem Homeoffice, das
gerade für Frauen mit Betreuungspflichten so attraktiv erscheint: Statt sich mühsam durch den Feierabendverkehr zu kämpfen, kann das Kind schon früher aus der Krippe abgeholt werden, während des Online-Meetings läuft die Waschmaschine.
Während des ersten Coronapandemie-Jahres untersuchte Ökonomin Katharina Mader den Arbeitsalltag im Homeoffice und fand einen deutlichen Geschlechterunterschied: Frauen in Paarhaushalten mit Kindern unter 15 Jahren konnten schlechter von zu Hause arbeiten. 35 Prozent berichteten davon, ihre Arbeit daheim schlechter erledigen zu können, bei den Männern waren es nur 26 Prozent. Karl Mahrer, Obmann der Wiener ÖVP, erklärte Frauen im Zuge der Debatten ums Heimbüro sogar zum Wohnungsinventar: Im Homeoffice zu arbeiten sei schwierig, „denn daheim sind die Kinder, daheim ist die Frau, manchmal ist der Wohnzimmertisch voll, weil dort der Kuchen gebacken wird“, sagte er im Interview
mit der „Krone“.
Dass Männer zuallererst Anspruch auf den Küchen- oder Schreibtisch oder gar einen eigenen Hobbyraum haben, scheint immer noch selbstverständlich – ohne dass der männliche Territorialanspruch zur „Self Care“ erklärt wird. „Wenn Selbstfürsorge ein Thema ist, sind Frauen erst wieder in der Badewanne zu sehen – und machen sich also schick oder entspannen vom harten Familienalltag“, sagt Sarah Diehl. Jenes Alleinsein, für das Diehl in ihrem Buch eine Lanze bricht, sperrt sich mit aller Kraft gegen eine solche Selbstoptimierung. Und auch mit Egoismus oder Egozentrik habe sie wenig zu tun. „Wenn man allein ist, ist man befreit von dem Blick und Urteil eines anderen und kann schamlos etwas ausprobieren oder sich ungestört seinen Gedanken und Gefühlen hingeben“, schreibt Diehl.
IN DER DUNKLEN GASSE. Während das Alleinsein schon in den eigenen vier Wänden zum Spießrutenlauf werden kann, kommt es im öffentlichen Raum mit weiteren Fallstricken daher. Seit jeher ist der öffentliche Raum ein Angstraum für Frauen, was nicht nur ihr Sicherheitsgefühl, sondern auch ihre Bewegungsfreiheit einschränkt. Auch wenn Feministinnen
schon seit Jahrzehnten trommeln, dass sexuelle Gewalt gegen Frauen sehr viel häufiger in der eigenen Partnerschaft passiert als nachts in der dunklen Gasse. Das mulmige Gefühl – es bleibt. Von ihren schlechten Erfahrungen beim Alleinreisen zu berichten, ist für Sarah Diehl entsprechend ambivalent. Auch sie hat schon Übergriffe überlebt. „Ich muss
aber sagen, dass mein Grundvertrauen in Menschen sehr viel größer geworden ist, seit ich allein reise. Die allermeisten Begegnungen sind schön und wohlwollend.“
Allein zu reisen, ist indes für viele Frauen auch 2024 undenkbar. Selbst ins Kino oder in eine Ausstellung würden viele niemals ohne eine Begleitung gehen. „Ich denke, das hat wirklich mit diesem Bild zu tun, dass eine Frau nicht begehrt wird, nicht gewollt ist, wenn sie alleine ist. Ob jetzt von potenziellen Partner*innen oder von Freund*innen“, sagt Diehl. Verschroben, einsam, ungewollt eben. Oder auch: verzweifelt. Etwa wenn Frauen alleine im Club feiern oder auf ein Bier gehen. Hollywood hat die Szene schon tausende Male durchgespielt. „Siehst du die Frau? Denkst du, die geht in eine Bar, um ihren Drink alleine zu genießen? Die ist auf der Suche!“, erklärt etwa Parade-Aufreißer Jakob in der Hit-Komödie
„Crazy, Stupid, Love“ seinem Schützling.
Frauen, die tatsächlich gerne alleine ihren Cocktail trinken oder tanzen würden, kennen es allzu gut: sich dafür rechtfertigen zu müssen, nicht mit einem Mann sprechen zu wollen. Und selbst jene, die auf der Suche nach Flirts sind, werden in der Regel abgewertet: Allein im sexy Outfit auf der Tanzfläche? Da muss es aber eine nötig haben.
VON EINSAM ZU GEMEINSAM. Positive Bilder von einsamen Frauen existieren auch außerhalb der Nachtclubs kaum. Dem männlichen Einsiedler, der zurückgezogen und zufrieden inmitten von Wäldern lebt oder sich als tougher Cowboy auf Heldenreise begibt, stehen bloß die alte Jungfer und die Hexe gegenüber. Nur nicht alleine enden, so die Botschaft an
Frauen. „Dabei ist es ja so interessant, dass die Kleinfamilie, die uns als Rezept gegen Einsamkeit verkauft wird, viele in die Einsamkeit treibt“, sagt Sarah Diehl. Denn auch in einer lieblosen Ehe oder als Mutter könne man – abgeschnitten von Freund*innen oder anderen engen Bezugspersonen – unglaublich einsam sein. So würden auch immer mehr Menschen
neue Formen von Gemeinschaft ausprobieren, die durch die politische Bevorzugung der Kleinfamilie aber verdrängt werden.
Sich eigenen Wünschen und Ressourcen im Alleinsein bewusst zu werden, kann dabei durchaus behilflich sein. So endet schließlich auch jede Heldenreise: An den Widrigkeiten und an der Freiheit im Alleinsein wächst der Held, seine gewonnenen Erkenntnisse trägt er zurück in die Gemeinschaft – damit auch andere daran wachsen können. Zeit, dass sich auch die Heldin auf den Weg macht.
BRIGITTE THEISSL kommt manchmal zu spät, weil sie vorher noch allein auf ihre Schlafzimmerdecke
starren musste.