CLAUDIA ROTH gehört zum linken Flügel der deutschen Grünen. LEA SUSEMICHEL hat mir ihr über die feministischen Mühen der Parteipolitik und die Kraft der kleinen Schritte gesprochen.
an.schläge: Was spricht dafür, als linke Feministin den vielzitierten „Marsch durch die Institutionen“ anzutreten, statt als außerparlamentarische Aktivistin Politik zu machen?
Claudia Roth: Wir brauchen natürlich die sozialen Bewegungen, wir brauchen die feministischen Bewegungen. Aber wir können zugleich die Parlamente nicht als frauenfreie Räume akzeptieren, die unsere Gesellschaft nicht repräsentieren. Deshalb haben wir damals beschlossen, eine Partei zu gründen: um in die Parlamente zu kommen, und um dort nicht zuletzt den Frauen eine Stimme zu geben. In den Regierungen und den Parlamenten wird viel entschieden – und es braucht Gesetze, damit sich etwas ändert. Deshalb haben wir uns auf diesen langen, langen Marsch eingelassen.
Gab es auch biografische Gründe für Ihre persönliche Entscheidung, in die Parteipolitik zu gehen?
Ich gehe in die Politik, so viel war mir von Anfang an klar. Ich bin in einer sehr konservativen Gegend aufgewachsen, zugleich aber in einer radikaldemokratischen Familie, in der wir nur Töchter waren. Ich bin meinen Eltern unendlich dankbar, dass sie uns nicht geschlechtsspezifisch erzogen, sondern gesagt haben: „Ihr müsst gute Menschen werden.“ Meine Mutter hat mir mal geraten: „Guck du, dass du deinen Weg machst, dass du deinen Beruf findest, binde dich nicht zu früh. Und setz dich ein für deine Rechte!“ Das hat mich geprägt.
Ich selbst bin also in keine Geschlechterrolle gedrängt worden, aber ich bin sehr wohl in einer Zeit aufgewachsen, in der das noch üblich war; in der meine Freundinnen vor dem Abitur von der Schule genommen wurden, weil es hieß, dass sie ja eh heiraten. Für mich selbst war der Weg vom Theater über die Arbeit mit der Band Ton, Steine, Scherben bis hin zu den Grünen dann ein ganz folgerichtiger – ich habe quasi die Bühne nie verlassen, zeige weiterhin Gesicht und setze mich ein für gleiche Rechte.
Was lässt Sie als Feministin verzweifeln im Bundestag? Und bei der Parteiarbeit?
Wir haben als Grüne etwas gemacht, das gesellschaftspolitisch einiges verändert hat, nämlich bei uns die Frauenquote eingeführt. So haben wir Druck ausgeübt auf die anderen Parteien, aber auch auf die Gesellschaft, auf die Gewerkschaften usw. Doch diese lange Zeit, in der ich als „reine Quotenfrau“ belächelt und bemitleidet und abfällig behandelt wurde – das war schon ganz schön hart. Und noch heute gibt es selbst von ganz jungen Männern Widerstand gegen die Quote, immer noch mit dem wirklich dummen Spruch, es müsse doch um Kompetenz statt um Quote gehen. So ein Blödsinn! Denn die Quote ist doch ein Mittel, damit Frauen endlich zeigen können, welche Kompetenzen sie haben, und diese Kompetenzen einbringen können.
Was mich außerdem sehr wütend macht – wenn auch nicht verzweifeln lässt, denn dann hätte ich ja schon aufgegeben – sind die Klischees, mit denen Frauen in der Politik konfrontiert sind. Bei Frau Merkel waren es immer die Haare, bei mir waren es die Tränen oder das Laute, das Schrille, das Nervende. Das ist schlicht frauenfeindlich. Aber ich ändere mich trotzdem nicht, obwohl es sicher leichter gewesen wäre, öfter mal still zu sein und nicht das Wort zu ergreifen.
Aber was mich wirklich ärgert, sind die vielen junge Frauen, die jetzt glauben, Feminismus sei out, weil ja vermeintlich alles erreicht sei. Als wären 21 Prozent Lohnunterschied nichts! Wir haben längst nicht alles erreicht und wir sind umringt von Demokratiefeinden. Von einem Sexisten wie Trump, der tatsächlich Präsident wird. Einem Putin, um den herum man weit und breit keine Frau sieht. Einem Erdogan und Orban. Und bei uns in Deutschland gibt es die AfD, die das traditionelle Frauenbild wiederherstellen will – so steht es in ihrem Programm. Derweil fahren die rein männlichen Autobosse die Konzerne an die Wand, und die Umwelt gleich mit. Wir sind noch lange nicht am Ziel, und Feminismus ist mega-in.
Noch mal zurück von den allgemeinen Anfeindungen zu konkreten Problemen bei der Parteiarbeit. Was waren hier die schwierigsten Momente, die größten Kompromisse, die Sie eingehen mussten? Gab es in Ihrer politischen Laufbahn einen Punkt, an dem Sie unsicher waren, ob die Konzessionen nicht zu groß sind, an dem Sie sich vielleicht auch als Feministin gewünscht hätten, lieber unabhängig zu sein und ohne Rücksicht auf die Parteilinie so radikale Forderungen stellen zu können, wie Sie möchten?
Natürlich gab es schwierige Momente. Weniger bei frauenpolitischen Forderungen, denn die sind in der Partei sehr klar, einfach weil wir starke Frauen und starke Frauengremien haben. Da gab es eher Auseinandersetzungen um den richtigen Weg zum Ziel. Aber ich habe grundsätzlich lernen müssen, dass alles viel länger dauert, als ich gedacht hatte. Beim Atomausstieg, bei der Gleichberechtigung.
Für mich persönlich am schwierigsten waren die Entscheidungen in der Außenpolitik, die Frage, ob wir einem Einsatz der deutschen Bundeswehr an internationalen Einsätzen zustimmen. Oder ob wir einem Einwanderungsgesetz zustimmen, das bei Weitem nicht hundertprozentig den grünen Ideen entsprach. Da stellt sich immer die Frage, wie weit man mitgehen kann, ohne bei einem Kompromiss die eigenen Ziele aufzugeben. Das habe ich dabei dann übrigens auch lernen müssen: meine Vision stets aufrechtzuerhalten – wie Bloch sagt: das Noch-nicht-Seiende –, um mit dieser Vision vor Augen auch die Kraft zu haben, die kleinen Schritte zu gehen.
Wie geht es Ihnen mit der aktuellen Parteiführung unter den beiden Realos Cem Özdemir und Katrin Göring-Eckardt und dem Liebäugeln mit einer Koalition mit der CDU?
Die beiden sind basisdemokratisch gewählt worden, sie haben sich durchgesetzt. Ich habe es allerdings bedauert, dass in einer Partei, die so starke Frauen hat wie wir, nur eine Frau als Spitzenkandidatin angetreten ist. Das ist gar nicht gegen Katrin Göring-Eckardt gerichtet, im Gegenteil, aber warum haben sich die vielen jungen Frauen nicht getraut? Warum hat keine gesagt: „Ich will es versuchen! Auch wenn ich nicht die Mehrheit kriege – ich habe es zumindest gewagt.“
Ich bin auch nicht per se gegen eine Regierungsbeteiligung, denn die große Koalition hat auch frauenpolitisch nichts auf die Reihe bekommen. Frauen sind weiterhin nicht in Führungspositionen, Altersarmut ist weiblich, Alleinerziehende haben keinerlei Infrastruktur, um Kind und Karriere zu verbinden. Aber wenn Regieren, dann nur mit klarer grüner Handschrift – nicht nur ökologisch, sondern auch gesellschaftspolitisch – und nicht als reiner Mehrheitsbeschaff er für eine Politik, die den eigenen Werten und Idealen widerspricht. Dann lieber Opposition, denn auch Oppositionsarbeit ist wichtig, gerade jetzt, wo mit der AfD eine rechtsextreme, rassistische und antifeministische Partei in den Bundestag einzieht.
Sie sind eine der wenigen, die die europäische Abschottungspolitik scharf und offensiv kritisieren. Wieso stimmen so viele andere Linke in den Ruf nach einer restriktiveren Flüchtlingspolitik ein? Ist mit einer offenen Flüchtlingspolitik keine Wahl mehr zu gewinnen?
Ich will gar nicht damit anfangen, mich zu fragen, was ich fordern muss, um eine Wahl zu gewinnen, welche Themen ich nach vorne spielen soll, was ich nicht sagen darf, wenn ich keine Stimmen verlieren will. So habe ich nie getickt. Das hat mir auch Kritik eingebracht, aber ich mache ja nicht Politik für die Parteiehre, sondern weil ich etwas verändern will. Ich will nicht in einer Festung Europa leben. Ich will nicht, dass jeden Tag die Werte im Mittelmeer ertrinken, auf die sich Europa bezieht. Ich will eine europäische Schutzverantwortung und keine schäbigen Deals mit Erdogan. Ich will keine lybische Küstenwache militärisch aufrüsten angesichts der schlimmen Verbrechen, die in libyschen Flüchtlingslagern geschehen. Das sind nicht unsere Partner – und das sage ich dann auch laut und deutlich. Wir haben übrigens selten so viel Zustimmung für diese Haltung bekommen – vermutlich auch, weil sich alle anderen so zurückhalten und den Populisten hinterherlaufen.
Auch mit Frauenpolitik scheint sich keine Wahl gewinnen zu lassen, sie hat im Wahlkampf jedenfalls keine große Rolle gespielt.
Ja, leider hat sie kaum eine Rolle gespielt. Merkel scheint vielen Menschen mit ihrer Raute eine Sicherheit zu geben, die meiner Meinung nach nur eine vermeintliche ist. Denn es reicht nicht aus, eine Kanzlerin zu haben – auch wenn sie ohne Wenn und Aber eine starke Frau ist –, wenn gleichzeitig keine Politik für Frauen mehr gemacht wird. Ich finde, es ist an der Zeit, dass Frauen endlich wieder viel kämpferischer werden und auf ihre Rechte bestehen. Keine Bescheidenheit, Mesdames!
Claudia Roth war die Managerin der Band Ton Steine Scherben bevor sie 1987 zu den Grünen ging. Sie war zweimal Parteivorsitzende und ist seit 2013 Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages.