Gebären oder nicht – diese Frage stellt sich die Autorin seit ihrer Kindheit. Von SOPHIA KRAUSS
»Alle meine Freundinnen, die Kinder haben, gehen durch die Hölle. Ich kenne niemanden, der heutzutage Kinder hat und glücklich ist«, sagt Popstar Chappell Roan bei ihrem Auftritt im Hype-Podcast „Call Her Daddy“ ungerührt. Ihr Statement reiht sich ein in eine lange hitzig geführte Debatte, die aktuell auch auf Social Media boomt. Es ist eine Diskussion rund um die doch sehr intime Frage, ob man gebären will oder nicht, Kinder großziehen will oder nicht – eine Diskussion über das Für und Wider von Elternschaft im Allgemeinen und Mutterschaft im Besonderen. Ich selbst bin erst Mitte zwanzig, trotzdem drängten sich mir diese Fragen seit meiner frühen Kindheit auf – und immer wieder stieß ich auf neue Antworten. Für diesen Text sprach ich mit Freundinnen und habe mich dabei der existenziellen Frage angenähert: gebären oder nicht?
Meine Recherche beginnt bei meiner Mutter. Ich frage sie: „Wann hast du entschieden, Kinder zu bekommen?“ Sie wuchs in einem katholisch geprägten Dorf in Bayern auf. „Dein Vater und ich hatten eine schöne Zeit“, sagt sie, „wir haben ein Haus gebaut, Familie geplant. Und wenn man einmal den Wunsch verspürt, Kinder zu bekommen, dann wägt man nicht mehr ab. Ich dachte damals, mit diesem Mann werde ich mein Leben verbringen, er wird der Vater meiner Kinder.“ Irgendwann wurde sie von diesem Mann verlassen. Sie war fortan alleinerziehend, ihr Leben war geprägt von prekären Lohnarbeitsverhältnissen und nie enden wollender Care-Arbeit. So wie meiner Mutter geht es vielen alleinerziehenden Frauen. Im Jahr 2023 war mehr als jeder dritte Ein-Eltern-Haushalt in Wien, bei denen es sich zumeist um Mütter mit ihren Kindern handelt, armutsgefährdet. Familien in Ein-Eltern-Haushalten stellen die am meisten armutsbetroffene Personengruppe in Österreich dar, die Problematik hat sich in den letzten Jahren immer weiter verschärft. Wenn ich mich selbst frage, ob ich einmal Kinder haben möchte, lässt sich die Antwort niemals von meiner Erfahrung als Tochter einer alleinerziehenden Mutter trennen, die in Armut und emotionale Selbstaufgabe gedrängt wurde. Auch meine Freundin Sophia wuchs bei einer alleinerziehenden Mutter auf: „Ich habe früh überlegt, ob ich Kinder haben möchte. Die Antwort war immer: Nein. Ich hatte meine Mutter vor Augen. Ich will nicht mein eigenes Leben opfern müssen, um meine Kinder großziehen und ihnen ein gutes Leben garantieren zu können. Ich will nicht, dass all meine Wünsche und Träume sekundär und andere Menschen immer wichtiger sein werden als ich selbst. Dass meine Mutter so alleine war mit unserer Erziehung, ist vielleicht einer der prägendsten Gründe, warum ich heute keine Kinder will. Manchmal denke ich mir trotzdem, ich wäre gerne so eine coole Mutter, wie meine es war.“
Wenig Forschung. Warum sich Personen, die schwanger werden können, gegen Kinder entscheiden, ist bislang wenig erforscht. 2023 publizierten Forscherinnen der Dualen Hochschule in Gera eine Studie zu gewollter Kinderlosigkeit, bei der rund 1.100 cis Frauen interviewt wurden. Die Studienergebnisse lassen hierbei jedoch nicht die These zu, dass die Rollenmodelle der Herkunftsfamilie einen Einfluss auf den ausbleibenden Kinderwunsch haben. Es lässt sich zudem erkennen, dass etwa drei Viertel der gewollt kinderlosen Frauen ihr Aufwachsen in der eigenen Herkunftsfamilie als glücklich bis sehr glücklich bewerteten. Die Ursachen für die gewünschte Kinderlosigkeit lagen stattdessen für achtzig Prozent der Befragten in den größeren Möglichkeiten der Selbstverwirklichung, für 73 Prozent in der Freiheit von Verantwortung und für 64 Prozent in den finanziellen Vorteilen.
Sophie, die vor zwei Jahren Mutter wurde, berichtet von dem großen Druck, ihr eigenes Leben, ihre eigenen Wünsche, ihre Bildung, ihren Beruf und ihr Kind miteinander zu vereinbaren. „Das ist mein größtes Problem.“ Und es ist immer noch ein weibliches: Allgemein haben Frauen in Deutschland im Jahr 2022 pro Woche durchschnittlich rund neun Stunden mehr unbezahlte Arbeit geleistet als Männer. Frauen mit Kindern leisteten in der Woche knapp 39 Stunden unbezahlte Arbeit.
Egoismus. Sophia sagt: „Vielleicht ist es egoistisch, so sehr an sich selbst zu denken.“ Clara meint: „Ich weiß nicht, ob ich Kinder bekommen will, denn ich liebe mein Leben so wie es gerade ist, dafür habe ich lange gebraucht. Die Chance, dass mein Leben durch ein Kind ein schlechteres wird, existiert. Und ehrlich gesagt, finde ich beides auf seine jeweils eigene Art egoistisch: Kinder zu bekommen oder eben nicht.“ Die Autorin Sheila Heti formuliert in ihrem Roman „Mutterschaft“ ähnliches: Vielleicht ist eben auch der Wunsch nach eigenen Kindern ein egoistischer, denn in ihm steckt das Bedürfnis, der Welt seinen Stempel aufzudrücken, sie nach seinem Bild zu formen. Auch Frauen müsse es möglich sein, zum reinen Selbstzweck zu existieren, schreibt Heti. Trotzdem hadert sie: „Manchmal bin ich überzeugt davon, dass ein Kind allem, was ich tue, Tiefe und Bedeutung geben wird.“ Beiden Entscheidungen, die für oder gegen Elternschaft, liegt der egoistische Wunsch nach Selbstverwirklichung inne. Die eine kommt nur ohne Kinder aus. Auch die Sängerin Charli XCX verhandelt diese Gefühle in „I think about it all the time“: „Should I stop my birth control? ‘Cause my career feels so small in the existential scheme of it all.” Oft übt auch das familiäre Umfeld großen Druck aus – eigene Kinder seien doch notwendiger Teil eines jeden Lebensentwurfs. Sophia sagt: „Meine Großeltern sind aus allen Wolken gefallen, als ich meinte, dass ich keine Kinder will. Sie sagten dann, dass sich das sicher noch ändern werde.“
A baby might be mine. Charli XCX singt: „I finally met my baby. And a baby might be mine.“ Wie auch schon bei meiner Mutter spielt auch hier die romantische Paarbeziehung eine fundamentale Rolle, wenn man sich für oder gegen Elternschaft entscheidet. Meine Mutter verliebte sich damals eben nicht nur in einen Partner, sondern auch in den potenziellen Vater ihrer Kinder. Manchmal denke auch ich, dass es eines der romantischsten Gefühle sein muss, mit einem anderen Menschen ein Kind zeugen zu wollen – und erkenne unerwartet meine Mutter in mir. Sheila Heti schreibt in ihrem Roman viel über die Beziehung zu einem Mann, und wie die romantische Liebe und ihre Gedanken über Mutterschaft miteinander interagieren: „Wie erotisch ich es fand, ein Kind auszutragen, das zur Hälfte von ihm wäre.“ Und doch muss partnerinnenschaftliche Liebe nicht zwangsläufig zu Kindern führen. Die Studie aus Gera belegt, dass es gewollt kinderlosen Frauen keinesfalls an Partnerinnen mangelt. Sie entschieden sich vielmehr aufgrund der hohen Zufriedenheit in jenen Paarbeziehungen gegen Kinder. Clara sagt: „Mein jetziger Partner wäre eine unglaublich tolle Elternperson. Aber ich will einfach kein Kind in einer klassischen heteronormativen Familie großziehen. Und ich glaube ehrlich gesagt, man denkt sich immer: So werde ich bestimmt nicht, und am Ende wird man dann genau so.“ Mara ergänzt: „Ich finde es wichtig, dass wir in queeren und feministischen Communities Heterobeziehungen so stark hinterfragen. Und dazu gehört vielleicht auch, stärker zu hinterfragen, ob man in diesen Heterobeziehungen Kinder haben will.“
In eine Welt wie diese? Fast alle meine Freundinnen beschäftigt auch die Frage: „Sollte man in eine Welt wie diese Kinder gebären?“ Laut der Studie aus Gera entscheiden sich z. B. fünfzig Prozent der Befragten aus umweltbezogenen Gründen gegen Kinder. Viele meiner Freundinnen und ich selbst sind dabei vergleichsweise privilegiert, oftmals weiß, überwiegend cis, akademisiert, wir leben in europäischen Großstädten. Trotzdem sagt Vinya: „Ich möchte kein Leben erschaffen, wenn es in einer so schlechten Welt leben muss. Was ist mit dem eskalierenden Faschismus? Und trotzdem würde ich niemanden vom Kinderkriegen abhalten wollen. Wenn wir eine lebenswerte Welt erkämpft haben, dann muss ja auch jemand in dieser Utopie leben.“
Und ja, vielleicht wird es einmal eine Welt geben, in der Chappell Roans Freund*innen glückliche Mütter sein können. Bis es so weit ist, werde ich es wiederum mit Sheila Heti halten, die in einem Interview mit ihrer eigenen Mutter sagte, dass ihr Leben vermutlich mit oder ohne Kinder ein glückliches sein könnte.
Allerdings gilt leider auch, was meine Freundin Clara sagt: „Ich habe jedenfalls krasse Angst, diese Entscheidung – wie sie auch ausfallen mag – eines Tages zu bereuen.“