Dem Tod durch neue Technologien entkommen – darauf setzt der Transhumanismus. Die Kulturwissenschaftlerin Ute Kalender im Interview mit Clementine Engler über Kryokonservierung, Longevity und das Geschäft mit dem Wunsch nach Unsterblichkeit.
an.schläge: Der menschliche Wunsch nach ewigem Leben ist wohl so alt wie die Menschheit. Der „Transhumanismus“ verspricht, diesen durch neue Technologien schon in naher Zukunft zu erfüllen. Wie sinnvoll und wie realistisch ist das?
Ute Kalender: Das Streben nach einem erfüllten, langen Leben ist per se begrüßenswert. Allerdings scheinen mir transhumanistisch Forschende vor allem auf substanz-, gentechnologie- und technikzentrierte Forschung zu setzen und damit auf einen reduktionistischen Zugang zum Altern bzw. dessen Bekämpfung: Biogerontologie, Bioinformatik, Stammzellforschung streben an, Medikamente und Therapien wie Zellerneuerungstherapien zu entwickeln, die das physische Altern möglichst lange hinauszögern sollen. Wenn damit tatsächlich ein Paradigmenwechsel von der Bekämpfung von einzelnen Alterserkrankungen hin zur Prävention des Alterungsprozesses an sich erfolgt und wir nicht mehr unter Schmerzen altern, sondern alle Menschen überall auf der Welt irgendwann einfach schön, zufrieden und schmerzlos tot umfallen – why not. Ich hätte nichts dagegen.
Ich denke aber nicht, dass das realisierbar ist. Und dass in der Zwischenzeit viel Geld in die Erforschung dieser „technogenen Faszinosi“, wie sie die Philosophin Petra Gehring betitelt, fließen werden, statt das Geld in wirklich wichtige Forschungszweige zu investieren, die den Schmerz, die Angst, den Horror des Alterns und Sterbens erträglich machen könnten. Etwa in so unsexy Richtungen wie Versorgungsforschung, Pflegewissenschaften oder Arbeitsepidemiologie und somit in die Ausbildung von professionellen Pflegekräften für alternde Menschen mit Demenz sowie ihre angemessene Entlohnung. Wenn ich mir z. B. meine 94-jährige Nachbarin mit beginnender Demenz anschaue, die merkt, dass ihr die Welt unter den Füßen wegrutscht, die von Angst nachts nassgeschwitzt an meiner Tür klopft, weil sie alleine in ihrer Wohnung ist und nicht schlafen kann, hilft dieser Frau eine Stammzell- oder Gentherapie? Ich denke, sie benötigt eher gut ausgebildete und entlohnte Pflegekräfte, die rund um die Uhr bei ihr sind und ihr helfen, ihr beruhigend die Hand auf den Rücken legen und die immer gleichen panischen Fragen beantworten. Das sind die wirklich wichtigen Körper und Lebensgrenzen – die sozialen Begrenzungen –, die überwunden werden müssen. Sorgearbeit darf nicht an illegalisierte, prekäre Frauen aus angrenzenden Ländern ausgelagert werden und muss deutlich besser bezahlt werden. Ich sehe nicht, was der Transhumanismus zur Sichtbarmachung und Aufwertung der Arbeit für ein gutes Altern beiträgt. Und Jeff Bezos könnte das alles leicht finanzieren.
Der Transhumanismus versteht sich als technologische Weiterentwicklung des Humanismus. Welches Menschenbild verbindet die Bewegungen miteinander?
Das Schwierige am Transhumanismus und am Humanismus scheint mir zu sein, dass sie von klaren Entwicklungsstufen ausgehen und damit auch von Hierarchien zwischen unterschiedlich „entwickelten“ Menschen. Für Transhumanist:innen ist mit der technologischen Erweiterung ganz klar eine höhere Evolutionsstufe verbunden.
Besteht auch eine Nähe zu eugenischem Gedankengut?
Eine Denkrichtung, die sich kritisch mit der verantwortlichen Verschmelzung von Mensch und Maschine auseinandersetzt, muss nicht schlecht sein. Mir erscheint ein Blick auf die Disability Studies – die Erforschung der sozialen, politischen, historischen, emotionalen Bedingungen von Behinderung sowie die Befähigung und Einbeziehung der Perspektiven von Menschen mit Behinderung – hilfreich, um sich das Verhältnis von Mensch und technologischer Erweiterung anzusehen.
Können Sie das an einem konkreten Beispiel erklären?
Smart Houses könnten für Menschen mit Behinderung oder ältere Menschen bedeuten, nicht ins Heim zu müssen. Sensoren nehmen brenzlige Situationen wahr und verständigen Hilfe, etwa wenn jemand aus dem Rollstuhl gefallen ist. Allerdings stellt eben diese Verlinkung mit zentralen Rechnersystemen auch das Relais für digitale Kontrolle und weniger Intimität dar. Die Aktivitäten der Bewohner:innen werden in dem jeweiligen Haus nicht nur aufgezeichnet, es wird auch die Möglichkeit der Überwachung geschaffen – durch die Sensoren bleibt keine Bewegung länger intim.
Und: Mithilfe der Daten wird möglicherweise wieder bessere Technik geschaffen. Ihre Verkaufserlöse fließen jedoch nicht an die Menschen zurück, deren Körperregungen, Bewegungsabläufe und Emotionen in Daten transformiert wurden und die höchstwahrscheinlich viel für eine smarte Ausstattung zahlen, sondern an die Technologieentwickler, Firmen und Aktionär:innen.
Transhumanistische Zukunftsvisionen werden von Tech-Milliardären wie Tesla-CEO Elon Musk, Ray Kurzweil von Google und Amazon-Gründer Jeff Bezos vorangetrieben und können dementsprechend leicht als größenwahnsinniger, männlicher Egotrip gelesen werden. Ist der Traum von der Unsterblichkeit männlich?
Wenn wir der Tagespresse und den Sozialen Medien folgen, scheint das so. Dennoch habe ich ein Unbehagen mit der klaren Einteilung à la „Männer verfolgen einen brachialen technizistischen körperfeindlichen Transhumanismus entsprechend einer männlich-technischen Rationalität, und Frauen beschäftigen sich femininer mit den achtsamen körperfreundlichen Schönheitsmodifikationen“. Was ist z. B. mit den Kardashians? Auch sie streben ewige Jugend an, sind ein Glamour-Labour für alle möglichen Körpermodifikationstechnologien und aggressives superkapitalistisches transhumanistisches Körper-Tech-Matriarchat, das deutlich macht, dass eine transhumanistische pro-körpertechnologische Rationalität keineswegs männlich ist. Allenfalls maskulinistisch.
Das Silicon Valley gilt schon lang als Hochburg des Hightech-Kapitalismus. In den letzten Jahren hat sich hier eine Longevity-Bewegung formiert. Lässt sich mit dem Wunsch nach Langlebigkeit besonders gut Geld machen?
Ich denke ja. Longevity beginnt ja schon viel früher und bedeutet nicht nur stark invasive Technologien. Sondern wird als Trend gesehen, der viele Lebensbereiche erfasst und lenken soll. Longevity will Altern durch sogenanntes achtsames Handeln aufhalten. Damit wird das Gesundbleiben, das Nicht-Altern zu einer individuellen Angelegenheit in den reichen Gesellschaften des Globalen Nordens. Von jenen, die es sich leisten können, darüber nachzudenken. Diese Ideologie wird auch als Healthismus beschrieben: die egomane Selbstbeschäftigung mit Gesundheit und der eigenen Lebensweise, die aus den Fugen geraten ist.
Menschen lassen sich nach ihrem Tod bereits vollständig bzw. nur ihren Kopf einfrieren. Die Anhänger:innen der sogenannten Kryonik hoffen auf die Erfindung eines Verfahrens, das sie in der Zukunft wieder zum Leben erwecken soll.
Ob eine Technologie wie die Kryonik tatsächlich in Zukunft Menschen wieder zum Leben erwecken wird und ob sich das dann jeder zu Dumpingpreisen leisten kann, kann ich nicht sagen. Ich finde es eher spannender zu fragen, wie sich gesellschaftliche Normen durch die Etablierung und Verbreitung der Kryonik verändern könnten. Die Kryokonservierung von Eizellen ist ja bereits möglich und hat dazu geführt, dass sich die sozialen Anforderungen an die Einzelne und nicht die grundlegenden gesellschaftlichen Möglichkeiten von Elternschaft verbessert haben. Statt dafür zu sorgen, dass es egal ist, wann wir Eltern werden und welche Kinder wir bekommen, ohne dass wir unsere Träume aufgeben oder Armut und Abhängigkeit befürchten müssen, wird suggeriert, dass wir das biologische Kinderkriegen aufschieben können und so geplanter, besser und respektabler Kinder bekommen könnten.
Werden wir irgendwann unsterblich sein – und geht es uns dann besser?
Ich hoffe nicht, dass wir irgendwann unsterblich sein werden. Allerdings fiel mir diese Aussage leichter, als ich jünger war, und sie wird schwerer, je älter ich werde. Krank werden und sterben ist nicht schön. Anders ausgedrückt: Ich halte nicht viel von der protestantischen Aufgabe des Durcharbeitens des Alterns. Auf die Gefahr hin, jetzt wie die altersweise Omi zu klingen: Lebenswillen oder Unwillen sind immer eng an die aktuelle Situation, den Körper, die Gegenüber gebunden, und was mir vielleicht früher als fade erschien, ist es jetzt manchmal nicht mehr.