Die Politologin und Netzaktivistin ANNE ROTH wurde bereits selbst überwacht. Mit BRIGITTE THEIßL spricht sie über die Gefährlichkeit von Geheimdiensten und gibt Tipps zum Schutz der Privatsphäre.
an.schläge: Im Juli 2007 wurde Ihr Partner Andrej Holm, der als Sozialwissenschaftler zu Gentrifizierung und Stadterneuerung forscht, in Ihrer gemeinsamen Wohnung in Berlin als Terrorist festgenommen. Die Ermittlungen verliefen ergebnislos und wurden 2010 eingestellt. Sie haben auf Ihrem Blog eindrücklich beschrieben, wie es sich anfühlt, überwacht zu werden. Was sind für Sie rückblickend die prägendsten Erlebnisse aus dieser Zeit?
Anne Roth: Es gibt eine Reihe von prägenden Erlebnissen. Etwa bei der ersten Akteneinsicht zu sehen, wie die Polizei unsere Telefonate protokolliert und auch interpretiert hatte. Darunter waren etwa private Gespräche mit meiner Mutter – obwohl ich selbst nicht einmal als Verdächtige geführt wurde. Später stellte sich heraus, dass auch Andrejs Eltern überwacht worden waren. Dass ihn seine Eltern aus dem Gefängnis abholten, wurde als Nähe zu seinen vermeintlichen terroristischen Aktivitäten interpretiert. Ich fand das alles erschütternd, vor allem, weil ich den Eindruck hatte, dass wir ein völlig „normales“ Leben führten. Natürlich, wir waren beide politische AktivistInnen und gingen auch auf Demos, aber dass ganz alltägliche Dinge wie Telefonate mit den eigenen Eltern plötzlich den Verdacht der terroristischen Aktivität erhärteten, fand ich erschreckend. In Andrejs Fall haben die ersten drei Monate der Überwachung nichts ergeben. Wie die Akteneinsicht zeigte, wurde sie aber verlängert – mit der Begründung, die Beschuldigten würden sich offensichtlich besonders konspirativ verhalten. Mir ist klar geworden, dass sich unter Beobachtung plötzlich jegliches alltägliches Tun in einen Verdachtsmoment verwandeln kann.
„Wenn ich nichts Illegales mache, habe ich auch nichts zu befürchten“ ist also nicht unbedingt richtig, wie Ihr Fall zeigt.
Genau. Solche Ermittlungsverfahren kommen glücklicherweise nur sehr selten vor, die meisten Menschen haben also tatsächlich nichts zu befürchten – zumindest nicht in diesem Ausmaß. Aber wenn man in ein solches Verfahren gerät, entsteht ein Strudel, aus dem man nur sehr schwer wieder herauskommt. Wenn du tatsächlich nichts zu verbergen hast, kann selbst das gegen dich verwendet werden.
Sie sind eine Kritikerin von Geheimdiensten und sehen deren Abschaffung als erstrebenswertes, langfristiges Ziel. Ist dieses Ziel nach den Terroranschlägen in Paris in weite Ferne gerückt?
Ja, ich denke, dass Geheimdienste jetzt eher gestärkt werden. Solche Anschläge machen Angst. Eine Ausweitung der Kompetenzen von Polizei und Geheimdiensten wird nach derartigen Ereignissen regelmäßig gefordert – und sie passiert zumeist auch. Eine kritische Diskussion wird dadurch massiv erschwert. Ich würde auch nicht fordern, dass der Bundesnachrichtendienst (BND) morgen geschlossen werden soll. Aber man muss darüber sprechen, ob es nicht besser wäre, wenn demokratische Gesellschaften auf solche unkontrollierbaren Institutionen verzichten würden. Es zeigt sich immer wieder, dass Geheimdienste keiner demokratischen Kontrolle unterworfen sind und ein Eigenleben führen, in das niemand wirklich Einblick hat. Das ist schlicht gefährlich.
Sie sind als Referentin für Die Linke im NSA-Untersuchungsausschuss tätig und berichten regelmäßig darüber, wie wenig kooperativ sich die deutsche Regierung zeigt oder wie freizügig der BND Gesetze interpretiert. Warum haben PolitikerInnen so wenig Interesse an einer demokratischen Kontrolle der Geheimdienste?
Ich denke, dass PolitikerInnen mit Regierungsverantwortung keine Fehler machen und nicht dafür verantwortlich sein wollen, wenn ein großer Anschlag passiert. Wenn man Biografien von PolitikerInnen verfolgt, zeigt sich immer wieder, dass sie in der Zeit, in der sie Regierungsverantwortung haben, sehr geheimdienstfreundlich agieren, danach aber auch wieder eine kritischere Haltung einnehmen. Andererseits werden sie natürlich auch gefüttert mit den Erzählungen der Geheimdienste und können deren Angaben ja auch nicht überprüfen. Wenn man jetzt eher in eine verschwörerische Richtung geht, könnte man auch davon ausgehen, dass Geheimdienste bewusst manipulieren – auch, um ihre eigene Macht zu erhalten.
Die Enthüllungen durch Edward Snowden haben das Thema Massenüberwachung einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Ist die Gesellschaft dadurch insgesamt sensibilisiert worden?
Ja, ich denke, es gab auf jeden Fall eine Sensibilisierung. Es wird zwar gerne erzählt, dass die meisten Menschen alldem völlig gleichgültig gegenüberstehen würden, aber diesen Eindruck habe ich nicht. In den vergangenen zwei Jahren habe ich sehr viele Gespräche mit Menschen geführt, die sich mit dem Thema Überwachung auseinandersetzen. Es werden Witze über die Überwachung des eigenen Smartphones gemacht, Leute entschuldigen sich dafür, dass sie trotz besseren Wissens noch immer Googlemail oder Whatsapp benutzen. Politisch ändert sich leider nicht viel, da unserer Regierung die guten Beziehungen zu den USA wichtiger sind als der Schutz der im Grundgesetz verbrieften Grundrechte, dazu gibt es sicher auch die Furcht vor wirtschaftlichen Nachteilen. In der Bevölkerung ist das Thema aber angekommen, nur ist es leider auch mit einem Gefühl der Machtlosigkeit gepaart, nichts ändern zu können: Wenn selbst unsere Regierung uns nicht vor der Überwachung der Geheimdienste schützt, wie soll ich mich dann dagegen wehren?
Im Netz finden sich viele Tipps zum Schutz der Privatsphäre, manche raten davon ab, Dienste wie Facebook oder Twitter überhaupt zu nutzen. Wird die Verantwortung damit nicht auf den/die Einzelne_n abgeschoben?
Ja, aber ich finde, man kann diese Verantwortung auch ein Stück weit annehmen. Ich vergleiche das gerne mit dem Thema Gesundheit. Einerseits ist es wichtig, dass es eine funktionierende staatliche Krankenversicherung gibt, andererseits müssen wir uns aber trotzdem jeden Tag die Zähne putzen. Dieses tägliche Zähneputzen brauchen wir auch bei unserem Umgang mit der digitalen Kommunikation. Die Regierung könnte uns einen besseren Schutz bieten, nur hat sie leider wenig Interesse daran. Verbündete sind da eher Unternehmen, die sich selbst vor Betriebsspionage schützen wollen, diese Allianzen beobachte ich allerdings mit Skepsis.
Haben Sie Tipps für unsere LeserInnen? Was kann man konkret tun, worüber muss man – besonders als politisch aktive Person – Bescheid wissen?
Für alle, die Smartphones nutzen, empfehle ich als Einstieg verschlüsselte Messenger-Dienste. „Signal“ ist etwa ganz einfach zu installieren und erlaubt es, Nachrichten verschlüsselt auszutauschen. Ein anderer Bereich ist das sogenannte Tracking, das Sammeln von Informationen durch Werbefirmen. Hier gibt es eine Reihe hilfreicher Addons, zum Beispiel „No Script“ oder „HTTPS Everywhere“. Adblocker sind auch eine sinnvolle Sache, weil über Cookies Informationen darüber, was du interessant findest, auch an Dritte weitergegeben werden. Unternehmen erstellen Profile über Personen, die sie dann weiterverkaufen. Diese Informationen können auch falsch sein und wir haben keinerlei Einfluss darauf. Wir müssen uns bewusst sein, dass auch staatliche Dienste darauf zugreifen können, wenn sie das wollen. Politisch aktiven Personen empfehle ich die Verschlüsselung von E-Mails, hier muss man sich Hilfe holen – etwa auf CryptoPartys. Die Snowden-Enthüllungen haben allerdings gezeigt, dass Personen, die konsequent verschlüsseln, besonders interessant für Geheimdienste sind. Das ist ein Zwiespalt, mit dem jede und jeder selbst umgehen muss. Ich verschlüssele meine Kommunikation trotzdem, schon aus Prinzip – weil ich finde, dass ich ein Recht auf Privatsphäre habe.
In Österreich sind sämtliche netzpolitischen Initiativen bzw. Initiativen, die sich mit Überwachung auseinandersetzen, männlich dominiert, in den Parteien liegt diese Zuständigkeit ebenfalls meist bei Männern. Auch bei Feministinnen ist das Thema wenig beliebt. Welche Konsequenzen hat das?
Ich weiß, wie schwierig es ist, als Frau in ein männerdominiertes Feld einzudringen. Es ist aber insgesamt höchst problematisch, dass das Thema der Privatsphäre in der digitalen Kommunikation bzw. im Netz von Frauen so wenig bearbeitet wird. Das ist ein Bereich, an dem wir nicht vorbeikommen, wir können es uns nicht leisten, dieses Wissen nicht zu haben. Bei meiner Tätigkeit im NSA-Ausschuss habe ich fast ausschließlich mit Journalisten zu tun. Das hat bestimmt auch damit zu tun, dass Innenpolitik und Sicherheit prestigeträchtige Felder sind, die Männer gerne besetzen und verteidigen. Im Bereich Migration und Flüchtlingspolitik gibt es hingegen sehr viele Frauen und Feministinnen, die sich dort engagieren. Hier müsste man vielleicht die Verbindung zu Überwachung und Repression hervorstreichen, denn es braucht dringend mehr Frauen und Feministinnen, die sich für Innen- und Netzpolitik interessieren und diese Themen besetzen.
Anne Roth ist Politologin, Aktivistin, Bloggerin. Seit 2014 ist sie Referentin der Fraktion Die Linke im Geheimdienst-Untersuchungsausschuss des Bundestages. Gemeinsam mit anderen Aktivistinnen betreibt sie die Datenbank speakerinnen.org mit dem Ziel, die Zahl von Frauen auf Konferenzen und Podien zu erhöhen.