In Österreich gibt es keinen offiziellen Gedenktag, der an die Ermordung von Rom*nja und Sinti*ze im Nationalsozialismus erinnert. Keinen Ort, kein Denkmal. Im Rahmen der WIENWOCHE errichten Aktivistinnen unter Projektleiterin IRINA SPATARU ein temporäres Mahnmahl, das aber umso dringlicher eine nachhaltige Forderung stellt: Niemals vergessen. Von GABI HORAK
Erinnern ist wichtig, gemeinsames Erinnern kann heilsam sein. Das kollektive Erinnern an die grausamen Taten, die eine Gesellschaft an Menschen verbrochen hat, ist ein politischer Auftrag und alternativlos – keineswegs ist es aber selbstverständlich. Das Erinnern an die Ermordung Tausender Rom*nja und Sinti*ze im Zweiten Weltkrieg musste von den Überlebenden und Aktivist*innen hart erkämpft werden und wird nach wie vor nicht staatlich gewürdigt. So wurde der 2. August zwar 2015 vom Europäischen Parlament als europäischer Gedenktag festgelegt, Österreich hat diesen aber noch immer nicht umgesetzt. 1944 wurden allein in der Nacht vom 2. auf den 3. August bis zu 4300 Rom*nja und Sinti*ze in den Gaskammern von Auschwitz-Birkenau ermordet. Insgesamt waren es mindestens 500.000 Rom*nja und Sinti*ze, die von den Nationalsozialist*innen verfolgt und ermordet wurden.
Selbstorganisiertes Gedenken. Seit fünf Jahren gibt es im siebten Wiener Bezirk den Ceija-Stojka-Platz. Er ist nach der 2013 verstorbenen Romni Ceija Stojka benannt, Künstlerin, Schrift stellerin und Überlebende von drei nationalsozialistischen Konzentrationslagern. Am 2. August wird es immer ziemlich voll am Ceija- Stojka-Platz, wenn Aktivist*innen zur Gedenkveranstaltung einladen. Offizieller Gedenkort ist der Platz aber nicht.
„Es gibt keinen zentralen Ort des Gedenkens, kein Denkmal oder Dokumentationszentrum in Wien, der Hauptstadt jenes Landes, das erhebliche Mitschuld am Roma Genozid hatte und heute die Verantwortung trägt, dass dieses Verbrechen niemals vergessen wird“, sagt Irina Spataru. Sie ist eine jener jungen Aktivist*innen, die das Gedenken und den Kampf für Anerkennung und Gleichberechtigung am Leben erhalten, auch wenn die Zeitzeug*innen und Überlebenden es nicht mehr können oder bereits verstorben sind. Spataru ist Kind einer französischen Mutter und eines Vaters, der Rom ist. „Ich bin in Wien als unsichtbare Romni, aber als sichtbare Ausländerin aufgewachsen“, erzählt sie im an.schläge-Gespräch. Sie besuchte ein Gymnasium, studierte an der Universität. „Wenn jemand so privilegiert wie ich aufwächst, denken die wenigsten Menschen daran, dass es sich um Roma handeln könnte.“ Das macht viele Vorurteile sichtbar, etwa jenes, dass Rom*nja und Sinti*ze ein armes, fahrendes Volk sind. „Viele denken, dass Rom*nja und Sinti*ze sich diese Lebensweise in der Vergangenheit selbst ausgesucht haben“, erklärt Spataru. „Dabei waren sie immer gezwungen weiterzureisen, denn nirgendwo konnten sie länger bleiben, weil sie immer ,Fremde‘ waren und ihnen kein Land und keine Häuser verkauft wurden.“ Heute sind nur mehr kleine Gruppen saisonal mit Wohnwägen unterwegs. 96 Prozent haben einen festen Wohnsitz.
„Dikh he na bister!“ Das Erinnern daran, dass es noch immer keinen Gedenktag und keinen zentralen Ort zum Gedenken in Österreich gibt, kann auch künstlerische Wege gehen. Im Rahmen der WIENWOCHE leitet Irina Spataru das Projekt „Dikh he na bister! Schau und vergiss nicht!“. Gemeinsam mit anderen jungen Rom*nja und Sinti*ze hat sie das Konzept eines temporären Denkmals entwickelt. Dabei geht es vor allem darum, öffentlichen Raum zu beanspruchen, nicht am Stadtrand, sondern mitten in Wien. „Mir war es wichtig, nicht direkt zu bestimmen, wie das Denkmal aussehen soll, sondern vielmehr eine laute, sichtbare Forderung zu kreieren“, so Spataru. Das Projektteam errichtet eine Art Baustelle um ein Denkmal, das noch nicht gebaut ist. Die Baustelle wird zum Denkmal, zum Kunstobjekt. Natali Tomenko, eine junge Grafikdesignerin, wird die Fassade entwerfen.
„Mir war es wichtig, vor allem Romnja, also Frauen aus der Minderheit, in dieses Projekt zu involvieren, da gerade sie oft als Zielscheibe von Hass und Vorurteilen betroffen sind“, so Spataru. „Aber jetzt beanspruchen wir den Platz. Jetzt sind wir hier und fordern unseren Raum für unser Gedenken.“
Simonida Selimovic ist ebenfalls Teil des Projektteams. Sie hat Ähnliches schon letztes Jahr im Verein Romano Svato realisiert: ein temporäres Mahnmal im Rahmen eines Festivals. „Ich möchte endlich ein zentrales Mahnmahl für die ermordeten Roma, mehr Sichtbarkeit und Aufmerksamkeit der Mehrheitsbevölkerung“, fordert Selimovic. Durch den offenen Rassismus in Österreich seien viele Rom*nja und Sinti*ze gezwungen, ihre eigene Identität zu verleugnen.
Nicht mehr sicher. Irina Spataru kennt die Situation der Rom*nja und Sinti*ze in Österreich und Europa gut. Sie arbeitet auch in der OSCE und im ODIHR (Office for Democratic Institutions and Human Rights) mit, organisiert Polizeitrainings, Konferenzen und Seminare. Ihr Fokus liegt auf Jugendinitiativen. Immerhin sind Rom*nja und Sinti*ze mit einem Altersdurchschnitt von 25 Jahren die jüngste Volksgruppe in Europa. „Unsere Aufgabe bei der ODIHR ist es, den Mitgliedsstaaten wieder auf die Sprünge zu helfen und sie zu erinnern, wozu sie sich verpflichtet haben.“
Die Lebensbedingungen der größten Minderheit Europas seien in vielen Ländern besorgniserregend. Dikriminierung sei alltäglich, in Italien oder Ungarn habe der Rassismus ungeheure Ausmaße erreicht. Erst kürzlich hat der italienische Innenminister Matteo Salvini angekündigt, in Lagern lebende Rom*nja und Sinti*ze zu erfassen und dann auszuweisen. In Österreichs Nachbarländern Ungarn, Slowakei und Tschechien werden Kinder der Volksgruppe in segregierten Klassen unterrichtet und Mauern um ihre Siedlungen errichtet. „Es ist wirklich erschreckend, wenn man sich überlegt, wo all das schon einmal hingeführt hat“, sagt Irina Spataru. „Ich fühle mich als Romni nicht mehr sicher in Europa.“
In Österreich sind Rom*nja und Sinti*ze seit 1993 als Volksgruppe anerkannt. Vorurteile und Rassismus sind aber auch hierzulande im Aufwind. „Es ist leider immer noch gesellschaftlich akzeptiert, sich öffentlich oder halböffentlich negativ über Rom*nja und Sinti*ze zu äußern. Kaum jemand schreitet ein, wenn wir in der Öffentlichkeit beleidigt werden“, berichtet Spataru.
„Es ist immer noch ein Tabu, offen über meine Wurzeln zu reden oder meine Sprache in der Öffentlichkeit zu sprechen“, sagt Simonida Selimovic. „Ich tue es trotzdem.“